„Unser Biomaterial kann schwer recycelbares Plastik ersetzen“
Anne LampBeruf:
promovierte Verfahrenstechnikerin
Position:
Gründerin und Geschäftsführerin des Hamburger Start-ups Traceless Materials
Beruf:
promovierte Verfahrenstechnikerin
Position:
Gründerin und Geschäftsführerin des Hamburger Start-ups Traceless Materials
Anne Lamp will mit ihrem Hamburger Start-up Traceless Materials ein innovatives Biomaterial auf den Markt bringen, das vollständig kompostierbar ist.
Im September 2020 hat die Verfahrenstechnikerin Anne Lamp in Hamburg gemeinsam mit Johanna Baare das Start-up Traceless Materials gegründet. Die Idee: Landwirtschaftliche Reststoffe in ein Biomaterial verwandeln, das in kurzer Zeit biologisch abbaubar und vor allem für Verpackungen und Einwegprodukte geeignet ist. Dafür hat das Start-up vor Kurzem eine Millionenförderung des Europäischen Innovationsrats (EIC) erhalten und kann nun die Produktion des innovativen Biomaterials weiter ausbauen.
Worin unterscheidet sich das Biomaterial von Traceless von anderen Biokunststoffen?
Erst einmal unterscheidet es sich in der besseren biologischen Abbaubarkeit. Viele Biokunststoffe sind auf industrielle Kompostierungsanlagen ausgelegt – unser Material ist dagegen unter natürlichen Bedingungen kompostierbar. Traceless basiert auf natürlichen Polymeren, welche die Natur selbst produziert hat. Die natürlichen Mikroben, die bei der Kompostierung aktiv werden, sind daher bereits bestens auf diese Biopolymere angepasst und können sie gut abbauen. Ein weiterer Unterschied zu Biokunststoffen ist das Ausgangsmaterial. Viele Biokunststoffe basieren auf Stärke oder Zucker und stehen so in gewisser Konkurrenz zur Nahrungsmittelproduktion. Wir dagegen arbeiten mit Reststoffen der Agrarindustrie, zum Beispiel aus der Getreideverarbeitung, und vermeiden dadurch mögliche Landnutzungsänderungen. Insgesamt war es unser Ziel, eine Alternative zu Kunststoff zu entwickeln, die ganzheitlich nachhaltig ist, und alle Wirkungsindikatoren berücksichtigt.
Kann das Traceless-Material hinsichtlich seiner technischen Eigenschaften mit herkömmlichen Kunststoffen mithalten?
Traceless gehört ja zu einer ganz neuen Generation von Biomaterialien – statt Kunststoffe eins zu eins zu imitieren, versuchen wir, ihre vorteilhaften Eigenschaften auf dieses neue Feld zu übertragen. Obwohl es ein komplett biozirkuläres Material ist, ist Traceless in vielen Punkten durchaus mit herkömmlichen Kunststoffen vergleichbar – es ist lagerstabil, hat gute Barriereeigenschaften, und auch die mechanischen Eigenschaften wie Zugfestigkeit sind mit denen vieler Kunststoffe vergleichbar. Was uns bei der Entwicklung besonders wichtig war: Traceless lässt sich ähnlich wie Kunststoffe weiterverarbeiten, beispielsweise mit thermoplastischen Verfahren wie Extrusion oder Heißsiegeln. Mit natürlichen, unschädlichen Farbstoffen können wir unser Material auch einfärben und bedrucken.
Für welche Anwendungen ist das Traceless-Material geeignet?
Gerade für Produkte, die eine kurze Nutzungsdauer haben, ist Traceless eine wirklich nachhaltige Alternative zu Kunststoff. Ein Beispiel dafür sind Einwegverpackungen. Traceless kann Plastik auch dort ersetzen, wo das Kunststoffrecycling schwierig ist – beispielsweise bei Klebstoffen oder dünnen Beschichtungen aus Kunststoff, die beinahe unsichtbar auf Papier oder Pappe aufgebracht sind, um die Barriereeigenschaften zu verbessern oder das Papier heißsiegelfähig zu machen. Langfristig sehen wir Potenzial auch in Produkten, die automatisch als Mikroplastik in die Umwelt gelangen, beispielsweise als Abrieb von Bremsbelägen.
Eine erste Pilotanlage zur Herstellung des neuen Biokunststoffgranulats wurde 2021 errichtet. Wie steht es um den Bau der Großanlage, die mittels der EU-Förderung realisiert werden soll?
Damit wir so viel Plastik wie möglich durch unser Biomaterial ersetzen können, müssen wir schnell in großen Mengen produzieren und so auch preislich konkurrenzfähig werden. Das Thema Technologie Scale-up war für uns also von Anfang an essenziell. Unsere eigens entwickelte und zum Patent angemeldete Technologie ist auf Skalierbarkeit ausgelegt: Das Verfahren ist sehr effizient und umweltfreundlich, und der Reststoff, mit dem wir arbeiten, ist weltweit in großen Mengen verfügbar. Dennoch geschieht der Aufbau großer Produktionskapazitäten nicht über Nacht. Auf unserer Pilotanlage können wir nun erste größere Mengen Material produzieren, unsere Prozesse weiter optimieren, und erste Pilotprodukte auf den Markt bringen. Mit unserer nächstgrößeren Anlage können wir dann bereits preislich mit Biokunststoffen konkurrieren. Für diesen Schritt ist die Förderung durch den Europäischen Innovationsrat natürlich eine wichtige finanzielle Unterstützung!
Wie groß ist das Interesse der Industrie? Gibt es erste Kunden und aus welchen Bereichen kommen sie?
Das Interesse ist riesig! Wir hatten das große Glück, von Anfang an Kunden zu haben, die die Potenziale von Traceless gesehen haben. Aktuell entwickeln wir mit einigen Leuchtturm-Kunden aus Handel und Konsumgüterindustrie Prototypen aus unseren Materialien, die wir bald als Pilotprodukte auf den Markt bringen möchten. Aber auch unsere direkten Kunden aus der kunststoffverarbeitenden- und Verpackungsindustrie zeigen bereits großes Interesse. Und nicht nur auf Kundenseite ist die positive Resonanz da – wir arbeiten bereits mit einigen weiteren Partnern, um gemeinsam eine biozirkuläre Wertschöpfungskette aufzubauen.
Interview: Beatrix Boldt