„Mikroalgen auf Fassaden können die Stadt begrünen“
Linus StegbauerBeruf:
Chemiker und Materialwissenschaftler
Position:
Leiter Chemie bio-inspirierter Strukturmaterialien am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart
Beruf:
Chemiker und Materialwissenschaftler
Position:
Leiter Chemie bio-inspirierter Strukturmaterialien am Institut für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart
Linus Stegbauer will mithilfe von Mikroalgen das Stadtklima verbessern und Fassadenelemente für Gebäude entwickeln, die mit einem speziellen Biofilm aus lebenden Mikroalgen beschichtet sind.
Mikroalgen sind ein Hoffnungsträger für die Bioökonomie. Nicht nur die Hersteller von Lebens- und Futtermitteln setzen auf sie. Auch für die Herstellung von Biosprit und neuen Kunststoffen gewinnen Mikroalgen zunehmend an Bedeutung. Linus Stegbauer will die talentierten Einzeller nun im Bausektor etablieren. Dafür will der Stuttgarter Chemiker biointelligente Fassadenelemente für Gebäude entwickeln, die mit einem speziellen Biofilm aus Mikroalgen beschichtet sind. Stegbauer ist überzeugt: Algenbasierte Hauswände könnten nicht nur das Stadtklima verbessern, sondern auch für ein besseres Mikroklima in Räumen sorgen.
Welche Eigenschaften machen Mikroalgen für den Einsatz im Bausektor so interessant?
Mikroalgen stellen weit geringere Anforderungen an ihre Umgebung und ihre benötigten Nährstoffe als viele höhere Pflanzen. So können Mikroalgen auch in den Hochalpen überleben und sind damit prädestiniert für die harschen Bedingungen auf Fassaden. Sie wachsen viel schneller als andere Pflanzen und können auch nach kompletter Austrocknung wieder gedeihen.
Biofilme sind in der Regel unerwünscht – auch an der Hausfassade. Was verbirgt sich konkret hinter einem Biofilm aus Mikroalgen und in welcher Form soll dieser zum Einsatz kommen?
Wir möchten für die Mikroalgen einen künstlichen Biofilm, so etwas wie einen Nährboden, schaffen, der es erlaubt, Wasser zu speichern, Nährstoffaustausch zu ermöglichen und das Wachstum der Algen lokal zu limitieren, sodass wir das Wachstum kontrollieren können. Er sollte lichtdurchlässig sein, damit die Mikroalgen durch Photosynthese wachsen können.
Welche Funktionen sollen die Mikroalgen im Biofilm übernehmen?
Für den Einsatz in Gebäudefassaden sprechen die Fähigkeit der Algen, Kohlendioxid oder Schadstoffe wie Stickoxide aus der Luft aufzunehmen und verwerten zu können. Ebenso wird Wasser von den Algen zurückgehalten und kann zusammen mit der Verschattung durch Begrünung für eine lokale Kühlung oder auch Isolierung im oft heißen und trockenen Städteklima sorgen.
Welches bioökonomische Potenzial bietet die Technologie dem Bausektor neben der Schutzfunktion noch?
Die Stickoxid- und Schadstoffbelastung der Luft in Städten stellt seit Jahren eine Gesundheitsgefahr dar. Mikroalgen auf Fassaden könnten da helfen, da sie bisher ungenutzten Platz in der Stadt „begrünen“. Ebenso könnten Kosten bei den Klimaanlagen und Heizungen gespart werden, da die Algen einen Teil davon übernehmen würden.
Es gibt eine Vielzahl von Algen: Haben Sie schon bestimmte Kandidaten im Visier?
Grundsätzlich möchte ich auf einzellige Algen zurückgreifen, auch Mikroalgen genannt. Dabei gibt es mehrere Tausend Arten und wir haben insbesondere jene ins Visier genommen, die robust sind und auch mal austrocknen können, damit sie dem rauen Leben auf der Fassade standhalten könnten.
Welche Herausforderungen sehen Sie bei der Entwicklung des mikroalgenbasierten Biofilms?
Die größte Herausforderung liegt momentan in der Entwicklung des Nährbodens, der auch die harschen Bedingungen auf der Fassade aushalten soll. Natürliche Biofilme enthalten häufig sehr viele Bestandteile und wir setzen deshalb auch auf eine Kombination mehrerer Biopolymere.
Wie ist der aktuelle Entwicklungsstand?
Frühere Arbeiten zu künstlichen Biofilmen haben sich meist ausschließlich mit Bakterien beschäftigt, deshalb müssen wir viele Grundlagen aufbauen. Momentan erforschen wir gerade, welche Kombination aus Nährboden und Mikroalge sich besonders gut eignet. Dafür testen wir das Wachstum verschiedener Mikroalgen auf verschiedenen Nährböden, um die optimalen Bedingungen zu finden.
Interview: Beatrix Boldt