Mikroalgen sind ein Hoffnungsträger für die Bioökonomie. Nicht nur die Hersteller von Lebens- und Futtermitteln setzen auf die proteinhaltigen Organismen. Auch für die Herstellung von Biosprit, neuen Kunststoffen oder als Abwasserreiniger gewinnen sie zunehmend an Bedeutung. Ein Problem dabei ist jedoch, dass Aufzucht und Aufbereitung der Mikroalgen bisher noch nicht effizient genug sind. Vor allem die Extraktion relevanter Inhaltsstoffe wie Proteine, Fette oder Feinchemikalien ist eine Herausforderung.
Im Verbundprojekt “ABiRe: Entwicklung und Implementierung einer innovativen aquatischen Bioraffinerie für die Mikroalge Chlorella sorokiniana sowie die Wasserlinse Lemna minor” arbeiten Forscher der Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH) und der Sea & Sun Organic GmbH mit russischen Partnern seit dreieinhalb Jahren an einem Verfahren, um diese Hürden zu meistern. Die Arbeit des Teams wird im Rahmen der Fördermaßnahme Bioökonomie International seit 2017 vom Bundesforschungsministerium mit 700.000 Euro gefördert.
Grundstoffe für Lebens-und Futtermittelindustrie
Im Fokus des Vorhabens stehen nicht nur Mikroalgen, sondern auch Wasserlinsen, die ebenfalls reich an Proteinen sind. „Die Idee ist, auf der Basis von Mikroalgen und Wasserlinsen eine Bioraffinerie aufzubauen, die Grundstoffe für die Lebensmittel- und Futtermittelindustrie liefert und die Reststoffströme, wie in einer klassischen Raffinerie, weiterzunutzen“, erklärt Kerstin Kuchta, Projektkoordinatorin an der TUHH. Anvisiert wurde jeweils die weitere Nutzung der Reststoffströme zur Energiegewinnung mit dem Ziel, CO2-Neutralität zu erreichen. Darüber hinaus sollte ein Substrat zur Abwasserbehandlung aus Wasserlinsen gewonnen werden. Während Kuchtas Kollegen vom Hamburger Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft die Mikroalge Chlorella sorokiniana dafür ins Visier nahmen, widmeten sich die russischen Partner der Wasserlinse Lemna minor.
Kultivierung und Extraktion optimieren
Dem ABiRe-Team ging es vor allem um die Entwicklung eines innovativen Ansatzes zur Optimierung des Kultivierungs- und des Extraktionsprozesses, um so die Rentabilität einer aquatischen Bioraffinerie zu verbessern. Zunächst mussten die Forscher einen Weg finden, große Mengen an Mikroalgen zu produzieren. Hier konnten die Hamburger auf frühere Erfahrungen in der Algenzucht zurückgreifen. Unter anderem wurde der Erntezyklus verfahrenstechnisch optimiert.
In Panel Airlift-Reaktoren erfolgte die Freilandkultivierung von Mikroalgen in geschlossenen Systemen.
Neuland betrat das Team hingegen bei der Extraktion der Inhaltsstoffe. „Der Downstream-Prozess war ein Herausforderung. Denn Mikroalgen sind sehr fein und lassen sich nicht so leicht abfiltern", erklärt Kuchta. Im Fokus des Aufreinigungsprozesses standen vor allem Proteine, aber auch Fette und Carotine. „Mit einem sehr breiten Ansatz der Methoden zur Extraktion von Stoffen, über lösemittelbasierte Extraktion und kritische CO2-Extraktion, haben wir ein chemisches Extraktions- und Fällungsverfahren entwickelt, das den Prozess kostengünstig macht", resümiert die Projektkoordinatorin.
CO2 als Lösungsmittel für Extraktion genutzt
Der Anteil der Proteine in Algen liegt zwischen 35% und 40%, während Feinchemikalien etwa 2% bis 3% der Biomasse ausmachen. Im Rahmen des Projektes konnte das Team aus 50 Kilogramm Algentrockenbiomasse etwa 6 Kilogramm Proteine gewinnen. Der Anteil der extrahierten Pektine und Carotine war mit bis zu 2% eher gering. Entscheidender ist jedoch, dass eine Vielzahl an Proteinen extrahiert werden konnte, die auch für Lebensmittelprodukte geeignet sind. "Die Lösemittel, die für die Extraktion bisher eingesetzt wurden, waren oft nicht lebensmitteltauglich und bekamen keine Zulassung. Wir haben hingegen mit CO2 gearbeitet", berichtet Kuchta. Im Ergebnis konnte das Team einen neuen verfahrenstechnischen Prozess aufsetzen, der eine Proteingewinnung aus Mikroalgen für Futter- und Lebensmittel auch wirtschaftlich macht.
Effizienz durch energetische Nutzung der Reststoffe
Zur Effizienz des Prozesses trug vor allem die Nutzung der Reststoffe bei, die nach der Extraktion übrigblieben. Die restliche Biomasse sei direkt energetisch genutzt worden, so Kuchta. "Die Biomasse wurde in unserem Blockheizkraftwerk vor Ort verbrannt und das im Abgas enthaltene CO2 in unserer Outdooranlage zur Kultivierung der Algen wiederverwendet."
Aus 50 Kilogramm Algentrockenbiomasse konnten etwa 6 Kilogramm Protein gewonnen werden.
Mikroalgen überzeugen bei technischer Nutzung
Während des Projektes standen die Hamburger Forscher stets im Kontakt mit den russischen Partnern, der Peter der Große Polytechnischen Universität St. Petersburg und der Hochschule für Biotechnologie und Schultechnologie. So bekam das Team um Kuchta Wasserlinsen zum Testen und im Gegenzug das russische Team Mikroalgen, um die Ergebnisse abzugleichen. Dabei zeigte sich, dass die Hamburger Algen der bessere Kandidat für eine aquatische Bioraffinerie sind.
Kultivierung der Wasserlinsen problematisch
"Die Wasserlinsen waren unheimlich schwer zu kultivieren und auch schwierig in der technischen Nutzung. In den Reaktoren zeigte sich, dass sie sehr anfällig sind für Bakterien. Im Ergebnis war auch die Ausbeute nicht so gut", berichtet Kuchta. Im Laufe des Projekts konzentrierten sich die Projektpartner daher mehr und mehr auf die Mikroalge, die nicht nur bei der Kultivierung, sondern auch bei der technischen Verarbeitung und energetischen Nutzung vielversprechende Ergebnisse zeigte.
Die Vorteile einer aquatischen Bioraffinerie liegen auf der Hand: Mikroalgen sind proteinreich, wachsen schnell und das unabhängig von Bodenqualität und Fläche. Sie bilden damit keine Konkurrenz zur Landwirtschaft. Mit dem neuen verfahrenstechnischen Ansatz der ABiRe-Forscher ist ein entscheidener Schritt in Richtung nachhaltige Mikroalgen-Bioraffinerie getan. "Wir können nun neben der energetischen Nutzung weiter 30% der Biomasse als Futter- oder Lebensmittelgrundstoff liefern. Das ist wesentlich für die Ernährung der Zukunft", so Kuchta.
Autorin: Beatrix Boldt