Digital und biobasiert
Digitalisierung und Robotik waren die Topthemen auf der Hannover Messe 2017. Aber auch die Bioökonomie hat in der Industrie 4.0 ihren Platz. Ein Messerundgang und Videobericht.
Die Hannover Messe ist Europas größte Messe für Industrieinnovationen – und hat damit ihren festen Platz im Terminkalender der Wirtschaft gefunden. Rund 6.500 Aussteller aus über 70 Nationen präsentierten vom 24. bis 28. April neueste technische Entwicklungen – über verschiedenste Branchen hinweg. Es ging um Robotik, Prozessabläufe und Effizienz, aber auch um innovative Materialien und digitale Vernetzung.
Was die Wissenschaft für die Wirtschaft zu bieten hat – das wurde vor allem in Halle zwei deutlich. Hier konzentriert das Forschungsknow-how – fast alle Bundesländer zeigen Flagge und stellen ihre Forschungseinrichtungen zur Schau, die Bundesregierung ist über große Stände des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) sowie des Bundesministeriums für Wirtschaft (BMWi) präsent, etliche Großforschungseinrichtungen wie die Fraunhofer-Gesellschaft oder das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) sind ebenfalls vor Ort.
Mehr als zwanzig biobasierte Innovationen wurden beim Gemeinschaftsstand "Schaufenster Bioökonomie" von PTJ, FNR und BIOPRO präsentiert.
Schaufenster Bioökonomie mit biobasierten Innovationen
Und inzwischen hat sich hier auch die Bioökonomie einen festen Platz erobert. Bereits zum vierten Mal ist das „Schaufenster Bioökonomie“ vor Ort, eine gemeinsame Initiative der Landesgesellschaft BIOPRO Baden-Württemberg GmbH sowie dem Projektträger Jülich und der Fachagentur für nachwachsende Rohstoffe, die jeweils im Auftrag des BMBF sowie des Bundesministeriums für Landwirtschaft (BMEL) rund 20 biobasierte Innovationen aus Deutschland vorstellen, die mithilfe öffentlicher Förderung ihren Weg von der Idee in den Markt finden sollen. Die inhaltliche Bandbreite reicht von Automobilbau, Digitalisierung und Bauwesen über Architektur und Materialien bis hin zu Produktion – in all diesen Themenbereichen gibt es inzwischen erfolgsversprechende Ideen für biobasierte Produkte oder Prozesse.
Hightech-Spürsonde in Erbsengröße
So präsentieren Mikroelektronikexperten einen erbsengroßen Hightech-Sensor, mit dem sich bei Flüssigkeiten im Bioreaktor verschiedene Parameter wie Temperatur, Sauerstoff- oder PH-Wert in Echtzeit digital messen lassen und drahtlos aus dem Bioreaktor sendet. „Auf diese Weise können biobasierte Produktionsprozesse leichter und schneller minimal-invasiv überwacht werden“, erläutert Tassilo Gernandt von der IMST GmbH. Die Firma ist einer der Partner im Projekt „Sens-o-Shperes“, das vom Team um Felix Lenk von der TU Dresden koordiniert und in der Fördermaßnahme „Neue Produkte für die Bioökonomie“ unterstützt wird. Schon nach den ersten Messetagen zeigte sich das Entwicklerteam der Mini-Spürsonden zufrieden mit der Messe: „Wir hatten schon zahlreiche gute Gespräche“, so Lenk.
Bioökonomie.de war auf der Hannover Messe am Stand "Schaufenster Bioökonomie" vertreten.
Kaffeesatz als Rohstoff für Biokunststoff
Auf großes Interesse stößt auch der Biokunststoff aus Kaffeesatz, den die Firma advanced biomass concepts (abc) GmbH aus Köln am Bioökonomie-Stand vorstellt. „Aus Resten der Instantkaffee-Produktion erhalten wir einen Füllstoff, der gemischt mit Bioplastik zu einem hochwertigen Biokunststoff verarbeiten lässt“, erläutert Alexander Schank, Geschäftsführer Deutschland der abc GmbH. Dieses Material ist vor allem für Hersteller von Kaffeeprodukten zur Erweiterung der Produktlinie, aber auch für Kunststoffabnehmer wie die Autoindustrie interessant, hieß es in Hannover. Man sei bereits mit Industriepartnern im Gespräch, so Schank. Aktuell erhalten die Projektpartner, zu denen auch das Institut für Biokunststoffe und Bioverbundstoffe an der Hochschule Hannover gehört, ebenfalls eine BMBF-Förderung in der Initiative „Neue Produkte für die Bioökonomie“.
Nachhaltige Baumaterialien gefragt
Die Hannover Messe zeigte auch: vor allem nachhaltige Produkte für die Bauindustrie – ob Holzbeton, biobasierte Dämmmaterialien und Klebstoffe oder eine Faserverbundwerkstoffe für Außenfassaden von Häusern – standen im Publikumsinteresse auf dem Schaufenster Bioökonomie. „Biobasierte Baumaterialien sind unter Architekten zunehmend ein Thema “, berichtet Hanaa Dahy. Die Juniorprofessorin kann inzwischen einen eigenen Fachbereich für Biomaterialien in der Architektur-Fakultät der Universität Stuttgart vorweisen und entwickelt unter anderem, unterstützt durch das BMEL, gemeinsam mit Industriepartnern innovative Sandwichpanele zur Innenraumdämmung.
DKFI-Forscher Wolfgang Maaß erläutert Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries das Smart Farming Projekt am Stand des Ministeriums.
Digitale Kartoffel zur Ernteüberwachung
Das Megathema Digitalisierung hat auch für die Bioökonomie eine Relevanz, wie am Stand des BMWi deutlich wurde. Forscher des Deutschen Zentrums für künstliche Intelligenz (DKFI) stellen hier ihr Projekt „Smart Farming“ vor, an dem Landtechnikhersteller wie Claas und Grimme, aber auch die Deutsche Telekom beteiligt ist. „Uns geht es um eine intelligente Vernetzung unterschiedlicher Daten, die bei den Landwirten anfallen, sodass sie am Ende Handlungsempfehlungen für ihre betriebswirtschaftliche Arbeit erhalten“, erklärt Professor Wolfgang Maaß vom DKFI. Am Beispiel einer digitalen Kartoffel – einem Bioplastik-Gehäuse ausgestattet mit Handyortung – sollen während des Erntepozesses die Stöße und Rotationen in Echtzeit erfasst werden, sodass bei übermäßiger Beschädigung direkt eingegriffen werden kann. Maaß: „Bislang merken die Landwirte erst zwei Monate nach der Ernte und Einlagerung, dass ihre Kartoffeln zu stark beschädigt wurden, um sie hochwertig zu verkaufen.“
Tomatenernte im Doppelpack
Um eine sinnvolle Verwertung der Blätter der Tomatenpflanze geht es wiederum Forschern an der Universität Bonn, die als Teil des Bioökonomieforschungszentrums BioSC daran arbeiten, interessante Inhaltsstoffe aus Tomatenblättern zu gewinnen, die sich beispielsweise in der Kosmetikindustrie einsetzen lassen. „Wir wollen dahinkommen, dass wir nicht nur Tomaten, sondern auch die Blätter ernten. Bislang werden diese einfach verbrannt“, so die Bonner Wissenschaftlerin Simone Schmittgen. Allerdings sei es bislang noch eine Herausforderung, die Pflanzen dazu zu bringen, gleichzeitig sowohl qualitativ hochwertige Tomaten als auch genügend grüne Biomasse für die Stoffproduktion herzustellen.
Das Stadtauto der Zukunft wurde am Stand der Deutschen Bundesstiftung Umwelt von der Onyx composites GmbH aus Osnabrück vorgestellt: Ein ultraleichtes Bio-Hybrid-Modell, das künftig auch aus Bioplastik hergestellt werden soll.
Rollator aus Holzverbundwerkstoff
Auf dem Weg zum weltweit ersten nachhaltigen Rollator sind Forscher um Moritz Sanne von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung in Eberswalde. Ausgehend von einem holzbasierten Fahrrad haben sich die Wissenschaftler das Fortbewegungsmittel für Senioren vorgenommen, um bestehende Defizite von bisherigen Geräten mithilfe biobasierter Materialien zu umgehen: „Im Gegensatz zu Stahl zeigt unsere Bauweise beispielsweise eine bessere Haptik und Dämpfung. Denn vielfach haben Nutzer bisheriger Rollatoren große Probleme auf unebenen Gehwegen, die dann gemieden werden.“ Nun soll im Projekt "Woodwalker" gemeinsam mit Industriepartnern zunächst ein Prototyp entwickelt werden. Gefördert wird die Entwicklung im Rahmen der BMBF-Initiative "Neue Produkte für die Bioökonomie".
Bioökonomie-Fahrzeug der Zukunft
Schon weiter in der Entwicklung ist das Bio-Hybrid-Auto "Onyx Mio" der Osnabrücker Onyx composites GmbH – ein aus Kunststoff hergestelltes, ultraleichtes Elektrofahrzeug mit Solardach, das 2018 erstmals auf deutschen Straßen fahren könnte. „Derzeit arbeiten wir noch an der Karosserie aus Biokunststoff, aber die meisten Industriepartner haben wir an Bord“, berichtet Nicolas Meyer, Geschäftsführer der Leichtbau-Firma. Auf der Hannover Messe sucht das Unternehmen noch weitere Investoren, die gemeinsam das Stadtauto der Zukunft in den Markt bringen wollen. Die Anschubfinanzierung und Entwicklungsarbeiten wurden durch eine Förderung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt realisiert. An deren Stand waren die innovativen Fahrzeugbauer stets vom Messepublikum umringt – das Thema nachhaltige Mobilität steht bei Ingenieuren offenbar hoch im Kurs.
SW