Diskussion: Bioökonomie zwischen Irrweg und Revolution

Diskussion: Bioökonomie zwischen Irrweg und Revolution

Ist die Bioökonomie ein Irrweg oder eine industrielle Revolution. Darüber wurde Ende Juni in Berlin mit rund 100 Gästen aus Politik und Wirtschaft diskutiert.

Streiter für die Bioökonomie: (v.l.n.r) Holger Zinke (BRAIN AG), Ralf Fücks (Heinrich-Böll-Stiftung), Martina Fleckenstein (WWF), Franz-Theo Gottwald (Buchautor), Andreas Mietzsch (Moderator/BIOCOM AG)
Streiter für die Bioökonomie: (v.l.n.r) Holger Zinke (BRAIN AG), Ralf Fücks (Heinrich-Böll-Stiftung), Martina Fleckenstein (WWF),

Erst Anfang Juli hat die Gruppe der sieben führenden Industrieländer ehrgeizige Klimaziele festgesetzt und hierbei die Bioökonomie als einen Baustein auf diesem Weg genannt. Anderseits sind große Teile der Wirtschaft noch immer erdölbasiert und Klima- sowie Umweltpolitik heiß diskutierte Themen. Bei einer öffentlichen Podiumsdiskussion in Berlin kamen Ende Juni Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zusammen, um über aktuelle Herausforderungen bei der Umsetzung einer nachhaltigen Wirtschaft zu diskutieren. Ist die Bioökonomie ein Irrweg oder eine industrielle Revolution – dies war die Leitfrage der von der BIOCOM AG und dem Industrieverbund Weiße Biotechnologie (IWBio) gemeinsam organisierten Veranstaltung.

Schon zu Beginn der Veranstaltung wurden die aktuellen Herausforderungen in einem Film klar umrissen: So werden im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen auf der Erde leben, die ernährt, bekleidet und untergebracht werden müssen. Bis dahin sei die zur Verfügung stehende landwirtschaftliche Fläche jedoch um ein Drittel geschrumpft. Gleichzeitig jedoch gibt es in der Wirtschaft ein stetiges Wachstum – zuletzt mit rund 3,8 Prozent im Jahr – und damit einen wachsenden Bedarf an Rohstoffen. Dies wiederum belastet die Umwelt: Allein in den vergangenen 25 Jahren sei die Erdölförderung um 33,8 Prozent gestiegen – und mit ihr auch der Ausstoß an schädlichen Klimagasen wie Kohlenstoffdioxid.

G7-Ziele erfordern radikales Umsteuern

Dass diese Entwicklung nicht so weitergehen kann, ist auf höchster politischer Ebene inzwischen angekommen. Bereits Ende 2010 hat die Bundesregierung  eine auf sechs Jahre angelegte Nationale Forschungsstrategie Bioökonomie aufgelegt, darüber hinaus wurde 2013 eine Politikstrategie Bioökonomie beschlossen. Zudem hat sich die Gruppe der sieben führenden Industrieländer (G7) nei ihrem jüngsten Zusammentreffen Anfang Juli in Elmau zur Bioökomomie bekannt. Bis 2050 sollen die globalen Kohlendioxid-Emissionen auf 30 Prozent der Menge von 2010 gedrückt werden. Im Jahr 2100 schließlich soll die Weltwirtschaft ganz ohne Erdöl, Kohle und Gas auskommen. „Um dieses Ziel zu erreichen, ist ein radikales Umsteuern nötig“, sagte Boris Mannhardt, Vorstand der BIOCOM AG, in seiner Eingangsrede vor den rund 100 Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft, die am 23. Juni zur Podiumsdiskussion in die Konrad-Adenauer-Stiftung nach Berlin gekommen waren. Denn: Nur 565 Milliarden Tonnen Kohlendioxid dürften bis 2050 maximal ausgestoßen werden, wenn die Erderwärmung auf zwei Grad Celsius begrenzt werden soll.

Aber: Weltweit haben die Rohstoffproduzenten bereits Rohstoff-Lagerstätten in ihre Bilanz genommen, die beim vollständigen Verbrauch mehr als 745 Milliarden Tonnen Kohlendioxid freisetzen würden. Würden alle heute bekannten Lagerstätten ausgebeutet, stiege der Wert sogar auf 2.795 Milliarden Tonnen.„Lassen Sie uns herausarbeiten, welche Rolle die Bioökonomie bei der Lösung dieser Probleme spielen kann“, gab Moderator Andreas Mietzsch, Gründer der BIOCOM AG und Herausgeber des Life-Sciences-Magazins |transkript als Ziel für die Diskussion vor. Eher nüchtern betrachtete Franz-Theo Gottwald, Autor des Buches “Irrweg Bioökonomie”, den Beitrag der Bioökonomie: „Es wäre schön, wenn es gelänge, eine politische Vorgabe, wie das Zwei-Grad-Ziel, Schritt für Schritt auch in konkrete wirtschaftspolitische Maßnahmen umzusetzen. Es muss ein ‚weg vom Öl’ geben. Aber, ob dass heißt ‚hin zur Biomasse’ das ist noch offen.“

„Überzeugt von der Mächtigkeit der Idee“

Wesentlich aufgeschlossener zeigte sich der Biotech-Unternehmer Holger Zinke, Vorstand der Brain AG. „Ich bin beseelt von dem Gedanken und überzeugt von der Mächtigkeit der Idee“, gab sich Zinke optimistisch und verwies auf die Aufgabe des Unternehmers, nach pragmatischen Lösungen für wirtschaftlichen Erfolg zu suchen. Dass die Wirtschaft – und hier inzwischen auch zahlreiche deutsche Firmen – bereits etliche biobasierte Produkte und Verfahren vorweisen kann, wurde gerade erst auf einer Ausstellung auf der ACHEMA zur Ob Reifen aus Löwenzahn, Kleider aus Milchresten, Speiseeis aus Lupinenproteinen oder biobasierte Inhaltsstoffe für Kosmetika – zahlreiche Produkte haben inzwischen den Markt erreicht. Gleichwohl waren Experten vor zehn Jahren davon ausgegangen, dass die Biologisierung der Wirtschaft heutzutage schon weiter fortgeschritten ist. Andererseits, so Zinke, konnten sich auch Geschäftstätigkeiten entwickeln, an die früher niemand gedacht hätte. Zum Beispiel im Enzymbereich. So würden einige Firmen dort Ebit-Margen von mehr als 27 Prozent erreichen. „Davon ist die Chemieindustrie weit entfernt“, sagte Zinke.

Nachhaltigkeit von Anfang bedenken

An die Verantwortung der Unternehmer appellierte wiederum Martina Fleckenstein, Leiterin EU-Politik, Landwirtschaft und Biomasse bei der Umweltorganisation WWF: „Sie haben die Möglichkeit, die im Zuge der Diskussion um Biokraftstoffe gezogenen Lehren anzuwenden.“ Sie betonte, dass man von Anfang darauf achten müsse, woher die Rohstoffe kommen, und wie sie angebaut werden. Nur so können eine echte Nachhaltigkeit im gesamten Wirtschaftskreislauf gewährleistet werden.

Primat der Ernährungssicherheit

Auch die Tank-Teller-Betrachtung wurde bei der Podiumsdiskussion in Berlin angesprochen. „Es muss ein absolutes Primat für die Ernährungssicherheit geben“, sagte beispielsweise Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung. Die industrielle Nutzung biogener Rohstoffe dürfe erst an zweiter Stelle kommen. „Wir werden wieder eine stärkere Verzahnung von Lebensmittelwirtschaft und Industrie sehen“, lautete seine Prognose. Die Podiumsdiskussionsteilnehmer waren sich einig, dass die Bioökonomie hier passende Konzepte liefert: etwa bei der Kaskadennutzung und bei dezentralen Bioraffinerien. Gleichwohl seien noch weitere Forschungsanstrengungen nötig.  Gottwald kritisierte den oftmals zu engen Forschungsfokus auf biotechnologische High-Tech-Lösungen. „Es wird nicht wirklich in agrarökologische Forschung investiert. Hier braucht es ein schnelles Erwachen“, gab er zu Bedenken.

Bioökonomie ist Realität

Am Ende war klar: Es gibt eine gesellschaftliche Dynamik in Richtung Nachhaltigkeit, die auch von Seiten der Wirtschaft nicht ignoriert wird und auch nicht ignoriert werden kann. Die Rahmenbedingungen sind jedoch noch nicht klar umrissen. „Die Weichen werden erst noch gestellt“, sagte Fleckenstein. Immerhin gebe es auch in der Wirtschaft Lerneffekte aus den Erfahrungen mit Biokraftstoffen der ersten Generation. „Typisches Merkmal einer Revolution ist, dass das eine oder andere ins Kraut schießt“, bilanzierte Karl-Heinz Maurer, Vorsitzender des Mitveranstalters IWBio. Als gemeinsames Fazit wurde festgestellt: Die Bioökonomie ist nicht länger Vision, sondern bereits Realität. Sie zu gestalten, sei jedoch eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.