Enzyme sind Biokatalysatoren, die dafür sorgen, dass Lebensmittel besser verdaulich sind oder die Wäsche sauberer wird. Um die gewünschte spezifische biochemische Wirkung zu entfalten, müssen Proteine jedoch in reiner und konzentrierter Form vorliegen. In der industriellen Enzymherstellung ist die „Aufreinigung“, der sogenannte Downstream-Prozess, ein oftmals extrem aufwendiger und teurer Schritt. Im Rahmen des Projektes „Technologieplattform Innovative Downstream-Prozesse“ haben Forscher der Technischen Universität Dortmund nun zwei bisher kaum genutzte Verfahren zur Aufreinigung biotechnologisch hergestellter Produkte, unter anderem auch Enzyme, untersucht und für die industrielle Nutzung weiterentwickelt. Im Fokus der fünfjährigen Forschungsarbeit standen die Methoden der Zerschäumung und der Begasungskristallisation. Das Vorhaben wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit insgesamt drei Millionen Euro gefördert.
Mindestens 50 verschiedene Aufreinigungsverfahren gibt es, um beispielsweise Enzyme in Reinstform für die Arzneimittelherstellung zu gewinnen. Doch auch hier gilt: Wer die Wahl hat, hat die Qual. Diverse Laborversuche sind erforderlich, um für das jeweilige gewünschte Enzym die richtige Aufreinigungsmethode zu finden, denn die industrielle Aufarbeitung nimmt nicht nur viel Zeit in Anspruch. Bis zu 80 Prozent der Herstellungskosten gehen auf dieses Konto. Damit sind Downstream-Prozesse ein entscheidender Faktor für die Wirtschaftlichkeit eines biotechnologischen Herstellungsprozesses. Ein Fakt, der bisher oft vernachlässigt wurde. In dem vom BMBF geförderten Projekt „Technologieplattform Innovative Downstream-Prozesse“ haben Wissenschaftler der Technischen Universität Dortmund daher nach effektiven und betriebsökonomisch günstigen Verfahren der Aufreinigung geforscht. Aus der Vielzahl der vorhandenen Methoden nahmen sie zwei bisher eher wenig genutzte Technologien unter die Lupe und entwickelten diese weiter.
Enzyme aus Schaumbläschen fischen
Im Zentrum der fünfjährigen Forschungsarbeit, die unter dem Dach des Technologie-Clusters "CLIB2021" durchgeführt wurde, standen die Zerschäumung und die Begasungskristallisation. Die Zerschäumung ist ein Verfahren, das bei der Säuberung großer Fischteiche bereits verwendet wird. Hier nutzt man einen Apparat, in den Luftblasen eingebracht werden, um das Wasser des Teichs zum Schäumen zu bringen. Der oben schwimmende graue Schaumteppich wird einfach abgeschöpft. Denn in den Bläschen sammelt sich der Unrat. Diese Methode haben die Dortmunder Forscher nun in umgekehrter Weise für die Enzymaufreinigung genutzt. „Wir haben Schaum benutzt, um mit sehr wenig Energie diese Proteine schonend abzutrennen“, erklärt Projektleiter Gerhard Schembecker. Dafür erzeugten sie Blasen, an deren Oberflächen Proteine andockten. Ähnlich wie in einer Badewanne brauchten die Forscher dann nur noch den Schaum abzuschöpfen, um an das gewünschte Proteinprodukt zu gelangen. „Da wir den Schaum mit Unterdruck zerstören, platzen die Blasen und übrig bleiben etwas Flüssigkeit und die konzentrierten Enzyme“, so der Experte.
Die Methode scheint simpel. Doch bis dahin war es ein langer Weg. Zunächst musste das Dortmunder Team Grundlagenforschung betreiben und die physikalisch-chemischen Hintergründe des Zerschäumungsprozesses verstehen. „Man hat bisher nicht verstanden, wie das Andockverhalten an die Blasenoberfläche mit den Stoffeigenschaften der Enzyme zusammenhängt. Denn die Zerschäumung klappt nicht bei allen Proteinen“, sagt Schembecker. Mithilfe eines Hightech-Messgeräts nahmen sie buchstäblich jedes einzelne Molekül unter die Lupe und beobachteten, wie sie sich an den Phasengrenzflächen verhalten.
In der "Schaumanlage" erzeugten die Forscher Blasen, an deren Oberflächen Proteine andockten.
Türöffner für neue Biokatalysatoren
Um die Zerschäumung zu testen, wählten die Forscher zwei Enzymklassen: die fettsäurespaltenden Lipasen sowie die Cutinasen, die unter anderem von einigen pflanzenpathogenen Pilzen und Bakterien gebildet werden. „Es ging um den Zugang zu neuen Biokatalysatoren. Und die Cutinase ist auch ein Enzym, das die Wachsschicht von Blättern aufspaltet“, erläutert der Wissenschaftler. Bei der Nutzung nachwachsender Rohstoffe für Produkte der Bioökonomie liefert das Enzym daher wertvolle Hilfestellung, denn es arbeitet als eine Art Türöffner, um die Blattinhaltsstoffe für biotechnologische Prozesse besser nutzbar zu machen. Mit der Zerschäumung haben die Forscher der Industrie nun ein wirksames neues Aufreinigungswerkzeug an die Hand gegeben, das schnell und effektiv diese nützlichen Proteine herstellen kann.
Luft steuert Kristallisationsprozess
Auch bei der Begasungskristallisation musste das Team um Gerhard Schembecker zunächst Grundlagenforschung betreiben. Kristallisationsprozesse seien relativ aufwendig und extrem schwierig zu steuern, erklärt Schembecker. Wenn man bedenkt, dass ca. 80 Prozent aller chemisch und biotechnologisch hergestellten Produkte in fester Form als Kristalle anfallen, dann wird schnell deutlich, warum sich die Forscher diesem Thema gewidmet haben. Der Grund für die komplizierte Prozessführung: wenn man eine Produktlösung einfach abkühlt, um Kristalle zu erhalten, dann ist die Größe der Kristalle nicht zu kontrollieren. „Mutter Natur macht quasi, was sie will“. Für die Abtrennung der Kristalle ist es aber erforderlich, dass sie zum Beispiel nicht zu klein sind und eine regelmäßige Form haben. Deshalb gibt man dem Prozess sogenannte Impfkristalle zu. Diese sind allerdings extrem aufwändig herzustellen und bieten immer die Gefahr einer Verunreinigung des Prozesses, was insbesondere bei der Herstellung von Medikamenten unter allen Umständen vermieden werden muss. Bei der Begasungskristallisation versuchte das Team nun ohne die Impfkristalle auszukommen. „In Vorgängerarbeiten haben wir rausgekriegt, dass man durch Einpusten von Luft solche Kristallisationsprozesse steuern kann. Wir pusten für ein paar Sekunden Luft rein und bekommen ein anderes Produkt“, beschreibt der Projektleiter. Nach zahlreichen Versuchen wissen die Forscher nun ziemlich genau, welche Bedingungen einzustellen sind, um einen optimalen Effekt für die Steuerung einer solchen Kristallisation zu erreichen. „Wir sind zwar ein großes Stück weiter. Wir wissen aber trotzdem noch vieles nicht“. Diese Lücken hoffen die Wissenschaftler in Nachfolgeprojekten schließen zu können.
Cluster CLIB2021
zur Webseite: hier klicken
Großes Potenzial für Naturstoffherstellung
Auf dem Gebiet der Downstream-Prozesse hat sich die Technische Universität Dortmund im Laufe der fünf Jahre international einen Namen gemacht. Viele Firmen aus dem Bereich der Naturstoffherstellung sind auf das Team zugekommen und haben Interesse gezeigt und sich Rat eingeholt. „Wir haben gezeigt, dass es besser geht und mit weniger Aufwand“. Während das Prinzip der Zerschäumung bereits Interessenten aus der Pharma- und Lebensmittelbranche überzeugt hat, wird die Methode der Begasungskristallisation von Anwendern bisher noch erprobt.
Summerschool punktet mit neuen Ideen
Darüber hinaus konnte die Forschungsgruppe um Gerhard Schembecker fast 200 Nachwuchsforscher für das Thema Downstream-Prozesse begeistern. Im Rahmen einer dreitägigen Summerschool, die ebenfalls im Projekt „Innovative Downstream-Prozesse“ angesiedelt war, kamen Doktoranden und Postdocs aus den Bereichen Biologie, Chemie, Physik und Mathematik zusammen, um gemeinsam mit Vertretern renommierter Unternehmen wie BASF, Evonik oder Boehringer Ingelheim über das Thema zu debattieren und Verfahren zu testen. Schembecker ist daher zuversichtlich, dass durch dieses Event der bisher eher vernachlässigte betriebsökonomische Aspekt der Aufreinigung mehr Aufmerksamkeit erfahren wird. Sechs neue Ideen junger Forscher zu Downstream-Verfahren wurden bei der Summerschool mit einer Anschubfinanzierung von 50.000 Euro auf den Weg gebracht.
Autorin: Beatrix Boldt