Rotwild-Tuberkulose: Schleichende Gefahr im Visier

Rotwild-Tuberkulose: Schleichende Gefahr im Visier

In den vergangenen Jahren ist Tuberkulose bei Wildtieren im Alpenraum zunehmend zu einem Problem geworden. Ein europäisches Forschungsprojekt hat nun bessere Überwachungs- und Diagnosemethoden entwickelt.

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Im Rotwild hat der Tuberkulose-Erreger offenbar ein zusätzliches Reservoir gefunden, sodass das Ansteckungsrisiko vom Rind steigt.

Die Wildtier-Tuberkulose ist eine schleichende Krankheit: Von der Ansteckung bis zum Ausbruch vergehen oft Monate oder Jahre. Genügend Zeit, in der die Krankheit vom Wild- auf ein Nutztier überspringen kann. Wegen der zunehmenden Beliebtheit von Rohmilchprodukten könnte die Tierkrankheit dann – zum Beispiel über infizierte Kühe –auch für den Menschen zur Gefahr werden. Im Rahmen des europäischen Netzwerks EMIDA hatten Forscher aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz das Auftreten von Tuberkulose bei Rotwild in den gefährdeten alpinen Regionen untersucht. Ziel von "TB Alpine Wildlife": Eine länderübergreifende Gesundheits- und Kontrollstrategie entwickeln sowie die zur Verfügung stehenden diagnostischen Methoden verbessern.

Rinder und Wildtiere können an Tuberkulose (Tb) erkranken, wenn sie sich mit dem Erreger Mycobacterium bovis oder Mycobacterium caprae infizieren. Durch den Kontakt mit erkrankten Tieren oder den Verzehr von kontaminierten Lebensmitteln sind auch Ansteckungen von Menschen möglich. „Speziell in alpinen Regionen werden Rohmilchprodukte wieder als Premiumartikel beworben. Dadurch steigt die Gefahr der Übertragung auf den Menschen", berichtet Mathias Büttner, Chef-Virologe des Bayerischen Landesamts für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit und einer der deutschen Partner im Forschungsverbund "TB Alpine Wildlife".

Pasteurisierung verhindert Ansteckung über die Milch

Die Infektion durch erkranktes Milchvieh spielt in Deutschland inzwischen keine Rolle mehr. „Früher gab es ein Sprichwort: Rindertuberkulose ist Kindertuberkulose", erinnert sich Büttner. Anfang der fünfziger Jahre war Rinder-Tb weit verbreitet. Über die Milch infizierter Kühe hatten sich zahlreiche Kinder angesteckt. Erst nachdem verbreitet pasteurisierte Milch konsumiert wurde, gingen die Infektionsraten zurück. Zeitgleich wurde die Tb auch in den Rinderherden zurückgedrängt. Seit den sechziger Jahren sind dort nur noch vereinzelt Erkrankungen nachzuweisen. Seit 1997 ist Deutschland amtlich anerkannt TB-frei. Da die Tierbestände in den vorangegangenen zehn Jahren zu 99,9% frei von M. bovis waren, wurden die flächendeckenden Tuberkulintests daraufhin eingestellt. „Die TB-Überwachung wird seitdem über die amtliche Fleischuntersuchung gewährleistet", erläutert Büttner.

Die Tuberkulose-Erreger sind kleine stäbchenförmige Bakterien.

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Reservoir in Wildtieren

Offenbar haben die Tb-Erreger jedoch in Wildtieren ein zusätzliches Reservoir gefunden. Dies belegen zumindest Zahlen der jüngsten Vergangenheit. So stiegen die Fallzahlen bei Weiderindern nach der Sömmerung auf den Almen wieder an – ein Hinweis darauf, dass sie sich bei Wildtieren angesteckt haben könnten. „Durch die Einengung der Lebensräume haben Nutz- und Wildtiere auf der Alm unmittelbaren Kontakt", sagt Büttner. Im Jahr 2010 hatten die Alpen-Anrainer-Staaten Deutschland, Österreich, Italien und die Schweiz daher ein systematisches Überwachungsprogramm gestartet, um die Verbreitung von Tb in Rotwildbeständen zu dokumentieren und die Erreger zu charakterisieren. An den Untersuchungen in den deutschen Alpengebieten beteiligten sich das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL), das Staatliche Tierärztliche Untersuchungsamt Aulendorf, die Technische Universität (TU) München und die EMC Microcollections GmbH. Sie wurden im Rahmen des europäischen Netzwerks EMIDA im Projekt „TB Alpine Wildlife" bis 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit rund 550.000 Euro unterstützt. EMIDA wurde durch 23 europäische Partner ins Leben gerufen, um Forschungsaspekte von Tierkrankheiten, die auch Relevanz für den Menschen haben, europaweit gemeinsam anzugehen. Insgesamt 40 Millionen Euro Förderung sind bis 2013 in zwei Ausschreibungsrunden geflossen. Inzwischen wurde EMIDA vom Netzwerk "Animal Health and Welfare" (ANHIWA) abgelöst.

EMIDA

Im europäischen Netzwerk European Research on Emerging and Major Infectious Diseases of Livestock (EMIDA) waren 23 Partner aus 17 Ländern vertreten, darunter BMBF und BMEL. Mehr als 40 Millionen Euro Fördergelder sind geflossen. Neue Projekte zu Gesundheitsthemen von landwirtschaftlichen Nutztieren werden inzwischen über das Netzwerk ANHIWA (Animal Health and Welfare) gefördert.

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Feincharakterisierung ermöglicht Aufklärung der Infektionskette

Die am Projekt "TB Alpine Wildlife" beteiligten Forscher hatten über mehrere Jahre tausende Stück Rotwild in der Region untersucht. Auch in der jüngsten Jagdsaison 2013/2014 wurden wieder Proben von insgesamt 1.368 erlegten Tieren analysiert. In zwölf Kulturen fand sich der Tb-Erreger. Gemeinsam mit der Ludwig-Maximilians-Universität wurde das Erbgut der Erreger mittels Genomsequenzierungen entziffert. „Wir haben herausgefunden, dass es drei verschiedene Varianten von Mycobacterium caprae gibt, die sowohl in Rinder- als auch Wildtierpopulationen auftreten", berichtet Büttner. „Durch eine Feincharakterisierung auf molekularer Ebene möchten wir nun noch aufklären, wer wen angesteckt hat und so die Infektkette rekonstruieren." Die von den Projektpartnern erarbeiteten Daten bilden die Grundlage für die Planung weiterer Kontrollstrategien. „Es gilt jetzt, Prävention zu betreiben. Einer der Hauptfaktoren für die zuletzt wieder vermehrt auftretenden TB-Infektionen liegt an der hohen Populationsdichte des Rotwilds", sagt Büttner. Vor allem in Regionen mit besonders zahlreichem Rotwild, beispielsweise im oberen Lechtal in Österreich, seien nun zusätzliche Hegemaßnahmen durch Jäger erforderlich.

Autor: Bernd Kaltwasser