„Wir wollen die Bioökonomie in die Gesellschaft hineintragen“

„Wir wollen die Bioökonomie in die Gesellschaft hineintragen“

Beatrice Großjohann

Beruf:
promovierte Biochemikerin und Hochschullehrerin

Position:
Leiterin des BioÖkonomiezentrums Anklam, Geschäftsführerin der Food & Pharma Services Anklam GmbH (FPS GmbH), der BioResQ gGmbH, Geschäftsführerin der Micromun GmbH, Lehrerin an der Hochschule Neubrandenburg

 

Prof. Dr. Beatrice Großjohann
Vorname
Beatrice
Nachname
Großjohann

Beruf:
promovierte Biochemikerin und Hochschullehrerin

Position:
Leiterin des BioÖkonomiezentrums Anklam, Geschäftsführerin der Food & Pharma Services Anklam GmbH (FPS GmbH), der BioResQ gGmbH, Geschäftsführerin der Micromun GmbH, Lehrerin an der Hochschule Neubrandenburg

 

Prof. Dr. Beatrice Großjohann

Als Leiterin des BioÖkonomiezentrums Anklam bringt Beatrice Großjohann Innovationen aus Wirtschaft und Forschung zur Bioökonomie zusammen, um den Strukturwandel in Mecklenburg-Vorpommern voranzutreiben.

Ob Ackerfrüchte, Schilf oder Algen – Land, Moor und Meer bieten Mecklenburg-Vorpommern einen reichen Fundus an pflanzlichen Ressourcen und damit günstige Voraussetzungen für eine biobasierte und nachhaltige Wirtschaft. Die vorhandenen Potenziale der Bioökonomie in der Region sichtbar und nutzbar zu machen, dieser Aufgabe hat sich Beatrice Großjohann verschrieben. Als Leiterin des BioÖkonomiezentrums (BÖZ) Anklam bringt die promovierte Biochemikerin Innovationen aus Wirtschaft und Wissenschaft zusammen – mit dem Ziel der optimalen Verwertung sowie Mehrfachnutzung von Rohstoffen und Produkten. In Anklam haben sich bereits 18 Unternehmen angesiedelt, darunter viele aus der Pharmabranche, aber auch Spezialisten für analytische Dienstleistungen. Reststoffe wie Apfeltrester oder Zuckerrübenschnitzel dienen hier als Rohstoffe für neue biobasierte Produkte. Unter dem Namen HELIX hat die Expertin für Lebensmittel- und Bioprodukttechnologien zudem ein Unternehmens- und Forschungskonsortium initiiert, das sich auf die Entwicklung und Vermarktung biobasierter Gesundheitsprodukte aus heimischen Pflanzen wie Hanf, Heilkräutern oder Lupinen fokussiert.

Frage

Warum setzen die Hansestadt Anklam und das östliche Mecklenburg-Vorpommern auf die Bioökonomie? Wo liegen die Stärken in Wirtschaft, Wissenschaft und Ausbildung?

Antwort

Vorpommern bietet durch die Vielfalt biomasseproduzierender Flächen eine exzellente Basis zur Herstellung hochwertiger Produkte aus nachwachsenden Rohstoffen und hat damit gute Voraussetzungen, um Modellregion für die Umgestaltung des bisherigen erdölbasierten Wirtschaftssystems zu einer bio- und wissensbasierte Wirtschaftsweise zu werden beziehungsweise zu sein. In der Region gibt es neben landwirtschaftlichen Nutzflächen Moore und Küstengewässer der Ostsee. Neben der Ressourcenvielfalt schaffen eine Forschungslandschaft aus Universitäten, Hochschulen und außeruniversitären Forschungsinstituten sowie eine Bandbreite an innovationsfreundlichen Unternehmen und Start-ups beste Voraussetzungen für regionale Wertschöpfung und wirtschaftliches Wachstum. Und ich habe den Eindruck gewonnen: Die vielen Akteure, insbesondere hier um Anklam herum, sind hochmotiviert und engagiert. Sie wollen vorn mit dabei sein. In und um die Hansestadt Anklam gibt es zahlreiche Unternehmen, wie die Cosun Beet Company (Zuckerfabrik), die Reststoffe nutzen, um daraus neue biobasierte Kraft- und Wertstoffe zu gewinnen.

Frage

Welche Idee steckt hinter der Gründung des BioÖkonomiezentrums Anklam (BÖZ), wo ist der Standort und welches Ziel wird verfolgt?

Antwort

Aus einer ehemaligen Großschlachterei entstand, durch die private Initiative der Unternehmerfamilie Braun, ein Kompetenzzentrum für nachhaltiges Wirtschaften. Das Motto des BioÖkonomiezentrums Anklam (BÖZ) ist: „Wirtschaft trifft angewandte Bioökonomie!“ Es ist ein Ort, an dem bioökonomischer Innovationsgeist und Forschungsdrang unterschiedlicher Wissenschafts- und Wirtschaftssektoren direkt mit den universitären Einrichtungen des Landes zusammenarbeiten. Das Zentrum sieht seine Aufgabe darin, bioökonomische Konzepte in die Zivilgesellschaft hinein- und zum Verständnis sowie zur Akzeptanz in der breiten Bevölkerung beizutragen. Es soll vermittelt werden, dass die Bioökonomie das Potenzial hat, nachhaltige Lösungen zu entwickeln, Ressourcen zu schonen und gleichzeitig Wohlstand zu schaffen. Ziel des Zentrums ist es, zum Aufbau einer in Teilen regionalen Kreislaufwirtschaft beizutragen, die durch eine optimale Verwertung sowie Mehrfachnutzung von Rohstoffen und Produkten Ressourceneffizienz und Nachhaltigkeit möglich macht. Dabei werden Arbeitsplätze geschaffen und mit innovativen Produkten und Dienstleistungen zusätzliche Umsätze generiert, die – wir können es derzeit auf den Straßen sehen – auch dringend notwendig sind.

Frage

Das BÖZ will weiterwachsen: Welche Kapazitäten haben Sie noch und was sollten interessierte Unternehmen wissen?

Antwort

Die FPS Anklam GmbH bietet als Betreiber des Standortes auf dem Gelände auch Büro-, Lager, Außen- und Produktionsflächen zur Vermietung an. Von den 13.000 m2 vermietbarer Fläche warten noch etwa 3.000 m2 auf eine neue Nutzung. Dies sind Lager- und Büroflächen sowie Flächen für die industrielle Nutzung. Im BÖZ können Konferenzräume unterschiedlicher Größe mit 10 bis 100 Plätzen angemietet werden. Dieses Angebot wird rege genutzt. Geboten werden günstige Mietkonditionen, Unterstützung beim Ausbau der Flächen und attraktive Fördermöglichkeiten für Investitionen.

Die Kernkompetenz der FPS Anklam GmbH liegt jedoch im Bereich analytischer Dienstleistungen für die im BÖZ ansässigen Unternehmen und Kunden aus der Region, aber auch als bewährter Partner in Forschungsverbünden. Die Herausforderung besteht in einem gesamtgesellschaftlichen Strukturwandel mit dem Ziel, ökonomisches Wachstum mit ökologischer Verträglichkeit zu vereinen. Dieser Aufgabe stellen sich hier zahlreiche Akteure. Sie wollen mit ihren Ideen in die Region Vorpommern investieren und finden hierfür im BÖZ einen fruchtbaren Nährboden. Wie es für einen Schmelztiegel typisch ist, begegnen sich hier vielfältiges Know-how und Fachkompetenzen in großer räumlicher Nähe, wodurch – teilweise auch überraschend neue – Synergieeffekte entstehen.

Frage

Welche bioökonomischen Innovationen (Forschung und Entwicklung) werden im BÖZ konkret vorangetrieben?

Antwort

Das erste Projekt, das initial dazu beitrug, die Gründungsidee des BÖZ umzusetzen, hatte das Ziel, Schweinegalle nutzbar zu machen. Der Reststoff aus den Schlachthöfen sollte hier als Ausgangsstoff zur Herstellung des Arzneiwirkstoffs Ursodesoxycholsäure dienen, der bei Leberfunktionsstörungen und Gallensteinleiden angewendet wird. Dieses komplexe Thema wurde in einem Forschungsverbund mit der Universität Greifswald bearbeitet. Im Ergebnis konnten Synthesewege zur Umwandlung aller drei Schweine-Gallensäuren entwickelt, zum Patent angemeldet und publiziert werden. Das hatte einen Sogeffekt. Das Düsseldorfer Unternehmen AnLu Pharma und die britische Firma Cenote siedelten sich im BÖZ an, um weiter zu Medikamenten auf innovativer, bioökonomischer Basis zu forschen.

Bei der Suche nach einem weiteren Reststoff stießen wir auf Apfeltrester. Aus den Pressrückständen der Apfelsaftproduktion lässt sich ein regionaler, wertvoller, umweltschonender Soja-Ersatz gewinnen. Denn auf Apfeltrester können Pilze wachsen, die als alternative Proteinquelle dienen und in Joghurt und Käse verarbeitet werden könnten. Seit 2023 forschen die Food & Pharma Services Anklam und das Zentrum für Ernährung und Lebensmitteltechnologie Neubrandenburg (ZELT) an Pilzprotein. Der Apfeltrester kommt von einer Mosterei aus Lassan, die nur 12 km entfernt ist.

Auch Nutzhanf ist für uns ein Kernthema, da er vielseitig verwendbar ist und die Bodenqualität signifikant verbessern kann. Gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Nutztierbiologie (FBN), der Hochschule Neubrandenburg wird am BioÖkonomiezentrum Anklam seit 2022 Nutzhanf als Zwischenfrucht erforscht. Er wird auf Praxisfeldern der Region angebaut, Pflanzen und Böden werden beprobt und analysiert. Ein weiterer aktueller Forschungsgegenstand sind Zuckerrübenschnitzel, ein Reststoff der Zuckerproduktion steht im Fokus eines Forschungsprojektes, das in diesen Tagen am BÖZ Anklam begonnen hat. Am Ende soll daraus hochreiner Bioethanol in Pharmaqualität werden.

Frage

Mit HELIX haben Sie ein Unternehmens- und Forschungskonsortium der Bioökonomie für Gesundheit gegründet und in das BÖZ integriert. Was steckt dahinter?

Antwort

Im BÖZ Anklam bildet sich derzeit die Initiative „HELIX -BioÖkonomie für die Gesundheit aus MV“ zur Vermarktung und Erforschung regionaler Gesundheitsprodukte, unter anderem aus Hanf, Heilkräutern und Botanicals, Heilkreide, Tonerdemineralien und Lupine. Die Fortis Pharma mit ihrer Niederlassung am BÖZ Anklam, FPS Anklam GmbH, Mamahanf und die Speed Care Minerals sind neben der BioResQ gGmbH Hauptakteure dieser Initiative. Ein Ziel der HELIX-Initiative besteht darin, für die vielfältigen biogenen Gesundheitsmittel aus dem Bundesland Mecklenburg-Vorpommern ein Regionalkennzeichen beziehungsweise eine zertifizierte Dachmarke zu etablieren. Unter der HELIX-Dachmarke ist bereits in diesem Jahr die Vermarktung der Produkte in einem Onlineshop sowie auf einer Fachmesse geplant. Der Onlineshop wird mit einem Lager und einer Warenwirtschaft am BÖZ verbunden. Auch diese neue Struktur wird alle Unternehmer am Standort stärken. Weitere Forschungsaktivitäten zu regionalen Gesundheitsprodukten sind in Planung.

Interview: Beatrix Boldt / Philipp Graf