Artenvielfalt in Flüssen stagniert
Bis 2010 hat sich die Artenvielfalt in europäischen Flüssen erholt – doch seither verharrt diese Entwicklung. Besonders flussabwärts von urbanen Räumen und Ackerland gerät die Biodiversität unter Druck, wie eine internationale Studie belegt.
Wirbellose Tiere wie Fluginsekten spielen eine Schlüsselrolle im Ökosystem Süßwasser: Sie filtern Wasser, transportieren Nährstoffe und zersetzen organisches Material. Diese Fähigkeiten machen sie seit langem zu einem Indikator für die Wasserqualität. In einer Langzeitstudie hat ein internationales Forscherteam untersucht, wie sich die Artenvielfalt in europäischen Flüssen entwickelt hat. Unter der Leitung des Senckenberg Forschungsinstituts und Naturmuseums Frankfurt analysierte das Team Flüsse in 22 europäischen Ländern über einen Zeitraum von 1968 bis 2020 und verfolgte die Entwicklung von 2.648 Arten wirbelloser Süßwassertiere.
Regeneration der Flüsse stagniert seit 2010
Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass die biologische Vielfalt in den Flüssen im Untersuchungszeitraum zwar zugenommen hat. Seit 2010 sind jedoch keine Fortschritte mehr zu verzeichnen. Im Gegenteil: Der positive Trend stagniere und viele Flusssysteme hätten sich nicht vollständig regenerieren können, berichten die Forschenden im Fachmagazin Nature.
Die Zunahme der biologischen Vielfalt in den 1990er und 2000er Jahren ist demnach auf die Verbesserung der Wasserqualität und auf Renaturierungsprojekte zurückzuführen. „Als Reaktion auf den schlechten Zustand der Gewässer in den 1950er und 1960er Jahren wurden zur Wiederherstellung von Süßwasserlebensräumen beispielsweise mit dem ‚US Clean Water Act‘ von 1972 und der EU-Wasserrahmenrichtlinie von 2000 wichtige Gegenmaßnahmen ergriffen“, erklärt Senior-Autorin Ellen A.R. Welti, vormals Senckenberg-Wissenschaftlerin und nun Forschungsökologin in den USA am Smithsonian’s Conservation Ecology Center. „Diese Maßnahmen führten zu einem deutlichen Rückgang der organischen Verschmutzung und der Versauerung ab etwa 1980.“
Bisherige Maßnahmen sind unzureichend
Der Studie zufolge erholten sich Süßwassergemeinschaften flussabwärts von Staudämmen, städtischen Gebieten und Ackerland weniger schnell. Zudem verzeichnete die Fauna an Standorten mit schnellerer Erwärmung geringere Zuwächse in der Artenvielfalt, der Häufigkeit der Individuen und der funktionellen Diversität. In 70 % aller untersuchten Flussabschnitte wurden zudem nicht-heimische Arten gefunden. „Es ist außerdem zu beobachten, dass sich die eingewanderten Tiere in städtischen Gebieten und stärker belasteten Lokalitäten besser zurechtfinden als die heimische Fauna. Dies könnte zu einem Verlust seltener und empfindlicher einheimischer Arten führen“, so Welti.
Erhebliche Investitionen zum Schutz der Artenvielfalt gefordert
Die Forschenden mahnen daher, dass erhebliche Investitionen erforderlich seien, um die Artenvielfalt in den Flüssen wieder zu verbessern. So sollten Abwassernetze ausgebaut und Kläranlagen verbessert werden, um ein Überlaufen bei Starkregen und damit den Schadstoffeintrag in die Flüsse zu verhindern. Darüber hinaus plädiert das Forschungsteam dafür, vor allem Einträge von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln aus der Landwirtschaft zu reduzieren und die Flusssysteme an künftige klimatische und hydrologische Bedingungen anzupassen.
„Künftig sollte zudem die Überwachung der biologischen Vielfalt in Verbindung mit der parallelen Erhebung von Umweltdaten erfolgen. Nur so können wir die zeitlichen Veränderungen innerhalb der Artenvielfalt wirksam beschreiben, umweltbedingte Faktoren und stark gefährdete Gebiete ermitteln und den Schutz der biologischen Vielfalt maximieren“, so Erstautor der Studie Peter Haase vom Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum Frankfurt.
bb