Phytinsäure ist biobasiert und überraschend vielseitig

Phytinsäure ist biobasiert und überraschend vielseitig

Eigentlich suchte ein Forschungsteam vor allem ein biobasiertes Flammschutzmittel – doch es fand weit mehr.

Weizenfeld
Weizen diente im Projekt NPBioPhos als Rohstoff für Phytinsäure.

In der Pflanzenforschung und der Lebensmittelindustrie ist sie gut bekannt, doch industrielle Anwendungen gibt es bislang kaum: Die Rede ist von Phytinsäure, einem Molekül, das viele Pflanzen produzieren, um Phosphor zu speichern, und das beim Menschen die Verdauung stören kann, weil es als sogenannter Komplexbildner Metalle unlöslich bindet und so deren Aufnahme über die Verdauung behindert. Doch in dem Molekül scheinen lange Zeit unerkannte Talente zu schlummern, wie das Forschungsprojekt NPBioPhos zutage gefördert hat.

Eigentlich war das Projektteam auf der Suche nach einem phosphorhaltigen Molekül, das sich als Flammschutzmittel verwenden lassen könnte und das aus nachwachsenden Rohstoffe gewonnen werden kann. „Wer natürliche Dämmstoffe wie Hanf und Flachs nutzt, möchte ja auch natürliche und nachhaltige Flammschutzmittel nutzen“, erläutert Maik Orth vom Innovations- und Bildungszentrum Hohen Luckow e.V. (IBZ) die Ausgangsmotivation. Bislang kommen zu diesem Zweck meist Halogene zum Einsatz. Die wollte das Team aus IBZ, Institut für Getreideverarbeitung GmbH (IGV), Deutsches Textilforschungszentrum Nord-West gGmbH (DTNW) und Institut für Energie- und Umwelttechnik e.V. (IUTA) durch eine umweltfreundliche Alternative ersetzen. Die Wahl fiel auf Phytinsäure oder ihre Salzform Phytat, denn diese ist zwar seit 1942 als Flammschutzmittel bekannt, wegen ihrer Wasserlöslichkeit und ihres Säuregehalts aber nie für Textilien genutzt worden. Rund 800.000 Euro Fördermittel stellt das Bundesforschungsministerium von Januar 2019 bis September 2022 zur Verfügung, um unter anderem auch dieses Problem zu lösen.

Wasser von Schwermetallen reinigen

Weil Phytinsäure ein Komplexbildner ist, hat sich das Team zudem eine zweite Anwendung näher angeschaut: Als Komplexbildner könnte das Molekül geeignet sein, um Schwermetalle aus Wasser herauszufiltern. Doch zunächst musste geklärt werden, aus welchem Rohstoff sich Phytinsäure am besten gewinnen lässt. Dazu zählen die Fragen, welche Extraktionsmethoden erforderlich sind, ob die Reststoffe sich weiter nutzen lassen und ob die Phytinsäure in einem Zustand gewonnen werden kann, in dem sie stabil und lagerfähig ist.

„Phytinsäure ist nur in bestimmten Pflanzenteilen drin“, erklärt Orth. Deshalb hat das Team unterschiedliche vom IGV aufbereitete pflanzliche Materialien zur Extraktion im Labormaßstab herangezogen, darunter die Kleie von Gerste, Weizen und Roggen, aber auch Bohnenschalen. Am Ende überzeugte Weizenkleie am meisten. „Wir haben dabei festgestellt, dass der Phytinsäuregehalt des Weizens stark abhängig ist von Sorte und Anbaubedingungen“, berichtet Orth. „Bioweizen hat einen viel höheren Gehalt als konventionell angebauter.“ Einen Anteil an der Trockenmasse der Weizenkleie von bis zu 7 % konnten die Forschenden messen. Damit böte sich eine einheimische Alternative zur bisher dominierenden Quelle für Phytinsäure. Bislang muss man sie am asiatischen Markt kaufen, wo sie aus Reiskleie gewonnen wird. Zwar unterscheidet die Statistik in Deutschland nicht zwischen Weizenkleie und sonstigen Mühlenresten, doch zusammen kommen diese auf jährlich rund 1,6 Mio. Tonnen, hat Orths Kollege Luis Alberto González recherchiert – eine Menge Potenzial.

Weizenschrotkleie, Ackerbohnenschalen und Haferkleie
Weizenschrotkleie (links), Ackerbohnenschalen (Mitte) und Haferkleie (rechts) wurden als Rohstoffe erprobt.

Extraktionsprozess optimieren

Anschließend ging es an die Optimierung des Extraktionsprozesses. „Stärke und Eiweiß sind im Produkt nicht gewünscht, daher haben wir die Weizenkleie vorbereitet und gereinigt“, erklärt Orth. Vor allem zählt zum Eiweiß das Enzym Phytase, das den Phosphorgehalt der Phytinsäure reduziert. Durch die Vorbereitung sei das Ergebnis schon viel besser gewesen. Außerdem zeigte sich, dass große Partikel aus der Aleuronschicht – einer Randschicht der Getreidekörner – einen viel höheren Phytinsäuregehalt haben als kleine, die zudem reicher an Stärke und Eiweiß sind. Nach Tests unterschiedlicher Methoden und Extraktionslösungen ist es dem Team gelungen, Lösungen mit mehr als 80 % Phytinsäuregehalt zu produzieren – zunächst im Labormaßstab mit 200 Gramm Ausgangsmaterial, später mit mehr als 10 Kilo Weizenkleie.

Das Problem, dass die Phytinsäure beim Waschen ausgespült wird, will das Projektteam lösen, indem es durch stickstoffhaltige Verbindungen die Bindung der Phytinsäure stärkt. Im Projekt wird dazu Polyvinylamid genutzt, doch denkbar wäre, dieses durch das biobasierte Chitosan zu ersetzen, verweist González auf ein künftiges Forschungsziel.

Flammschutztest verlief erfolgreich

Im DTNW schließlich haben die Fachleute um Klaus Opwis die Phytinsäurelösung und das Polyvinylamid schichtweise aufgetragen. Der Prozess war erfolgreich: Auch nach mehreren Wäschen war der Flammschutz vergleichbar mit etablierten Flammschutzmitteln. Doch der Prozess ist langwierig. „Das schichtweise Auftragen ist ein Nachteil und dass eine hochreine Lösung Phytinsäure benötigt wird“, erläutert González. Würde der Prozess künftig auch mit der Salzform der Phytinsäure funktionieren, „dann würde es einfacher und billiger“ – ein weiteres To-do auf der Liste der Projektteams.

Die ist sowieso bereits sehr lang, denn auf ihrem Weg haben die Beteiligten eine Reihe interessanter Entdeckungen gemacht. So ließe sich ein Textil mit Polyvinylamid bereits in der Filtersäule bei der Extraktion der Phytinsäure als Filter einsetzen – und könnte dann eventuell bereits direkt imprägniert sein. Dass das grundsätzlich so geschieht, hat das Team bereits gezeigt, doch bislang war keine Zeit, diesen Ansatz weiterzuentwickeln.

Weitere Anwendungen werden erprobt

„Im IUTA schließlich haben Dr. Kube und Herr Grüning auch gezeigt, dass die Aufreinigung von Wasser funktioniert hat“, berichtet González. Dabei sei aufgefallen, dass Phytinsäure eine superhydrophile Oberfläche erzeugt. „Da haben wir sofort an mögliche Anwendungen mit einer Selbstreinigungsfunktion oder als Antibeschlagmittel gedacht“, sagt González. Außerdem soll die Anwendung als Flammschutz auf Holz ausgeweitet werden. Und nicht zuletzt ließe sich Phytinsäure in Kosmetika als Antioxdationsmittel verwenden. „Das ist ein richtiges Supermolekül“, freut sich Orth. Und ebenso freut ihn, dass das komplette Projektteam auch nach Projektende gemeinsam an den vielen neue Ideen und offenen Fragen weiterarbeiten will, falls eine entsprechende Förderung möglich sein wird.

Autor: Björn Lohmann