Die Natur kennt keine Abfälle. Alle organischen Stoffe münden in Kreisläufe. Nach diesem Vorbild will die Bioökonomie organische Stoffströme für neue Verfahren und Produkte erschließen. Insbesondere die vermeintlichen Abfälle einer Metropolregion sind im Visier eines unkonventionellen Freiraumes, dem "Innovationsraum Bioökonomie im Ballungsraum - BioBall". Die vom Bundesforschungsministerium geförderte Maßnahme will aus dem Rhein-Main-Gebiet bis 2040 ein vorbildliches Modell für nachhaltige bioökonomische Wertschöpfung machen. „Wir bringen Menschen zusammen“, erklärt der Projektkoordinator Professor Thomas Bayer die Idee der Innovationsräume, „wenn man ein gemeinsames Ziel hat, ist der Aufwand viel kleiner.“
Lösungen für eine hoch industrialisierte Region
Das Ziel ist es, speziell angepasste Lösungen für einen hoch industrialisierten Ballungsraum zu finden. Eine Besonderheit ist der hohe Anteil des produzierenden Gewerbes. Daher habe BioBall nicht die Rohstoffe vom Feld im Visier. „Im Fokus sind Abfälle“, sagt Bayer, Vizepräsident Forschung der Provadis Hochschule. „Derzeit ist das Einsammeln vielfach noch zu teuer, um die Abfälle zu verwerten.“ Doch man wolle die Abfälle nicht wie vielfach üblich als Kompost nutzen oder Energie durch Verbrennen gewinnen. „Unser Ziel ist die stoffliche Verwertung. Wir schließen Kreisläufe und sparen CO2 ein.“ Indem man zum Beispiel das massenhaft in der Industrie entstehende CO2 direkt verwendet, entweicht es nicht mehr als Treibhausgas in die Atmosphäre. Gleichzeitig stehen nach der Verwertung in Bioraffinerien oder durch mikrobielle Elektrosynthese der Industrie wertvolle Basischemikalien zur Verfügung.
Das zeigt beispielhaft das im Februar gestartete Projekt GreenToGreen, eines der vier bislang geplanten Leitprojekte von BioBall. Die Ressource ist hier kommunaler Grünschnitt, bestehend aus Gras und Sträuchern, der an Wegrändern, Sportflächen, aber auch Friedhöfen anfällt. Häufig bleibt er einfach liegen, denn die Entsorgung kostet Geld. Oder er wird lediglich energetisch genutzt, etwa als Biotreibstoff im Verkehr und zum Heizen. „Spannend ist schon die Frage, welche Logistik die Verwertung des Grünschnitts überhaupt bedeutet. Mit welchen Verunreinigungen müssen wir rechnen? Stören etwa miteingesammelte Grabschleifen“, erklärt der Projektleiter Professor Dirk Holtmann von der TH Mittelhessen. Dazu tausche er sich regelmäßig mit Praxispartnern wie mit den Frankfurter Entsorgungsbetrieben und dem Grünflächenamt aus.
Bioraffinerien und Kohle-Elektroden
GreenToGreen erforscht drei Möglichkeiten, wie sich Gras und Zweige nachhaltig und gewinnbringend verwerten lassen. In Bioraffinerien kann man Grünschnitt extrahieren und etwa Aminosäuren gewinnen, die wiederum als Viehfutter dienen. Als Futter für Mikroorganismen in biotechnischen Anlagen lassen sich zudem Zuckermoleküle aus diesen Bioraffinerien nutzen. Ziel ist es, neuartige Bioraffinerien mit nachwachsenden Rohstoffen zu versorgen, der für die Erzeugung von Chemikalien, Werkstoffen oder Bioenergie geeignet ist. Auf diesem Weg will man kommunale Stoffströme an die „grüne“ chemische Industrie anbinden.
Eine zweite Möglichkeit ist die sogenannte Karbonisierung des Grünschnittes, „ähnlich wie Köhler aus Holz Holzkohle herstellen“, sagt Holtmann. „Damit erhalten wir günstige Elektroden für die Elektrobiotechnologie – die heute meist verwendeten Platin-Elektroden sind viel zu teuer.“ Auf diesen Kohle-Elektroden lassen sich Mikroorganismen ansiedeln und Biobrennstoffzellen bestücken. Solche Biofilme sind in der Lage, in Kläranlagen Abwasser zu reinigen und gleichzeitig Strom zu erzeugen.
Elektroaktive Mikroorganismen für hochwertige Produkte
Eine dritte spannende Möglichkeit aus dem vermeintlichen Abfall Neues zu schaffen, ist die mikrobielle Elektrobiosynthese. Dabei wachsen elektroaktive Mikroorganismen auf den Elektroden. Mit Hilfe von geringen Mengen Strom – idealerweise aus regenerativen Quellen – wandeln sie das Abgas CO2 in hochwertige Produkte um. Solche Produkte könnte man gewinnbringender verkaufen als Strom, glauben die beteiligten Forscher. Wie diese Prozesse funktionieren und wie stabil sie sind, sind zentrale Fragen des GreenToGreen-Projektes.
Gerade in einen Industrieraum fallen große Mengen an CO2 an und die gewonnenen Stoffe finden in unmittelbarer Nähe Abnehmer. Holtmanns Team erzeugt in dem Forschungsprojekt insbesondere Terpene, die vielfältige Anwendung in der Industrie finden, etwa bei kosmetischen und pharmazeutischen Produkten. Für Holtmann ist es wichtig, dass drei Industriepartner das Projekt GreenToGreen begleiten: „Wir wollen an der Praxis dranbleiben“. Es genüge nicht, dass es im Labor traumhaft klappt.
„Im Ballungsraum rund um Frankfurt finden wir eine industrielle Komponente und eine Forschungskomponente“, beschreibt der Koordinator Bayer. Diese und weitere Akteure will der Innovationsraum zusammenbringen. „Mit im Boot sind auch gesellschaftspolitische Player wie die Stadt Frankfurt oder die Wirtschaftsförderung Frankfurt.“ Man wolle sich mit Politik und Multiplikatoren treffen. Ein bisschen ist es auch wie auf einem Basar: Mancher Teilnehmer sucht in dem Kreis einen Rohstoff oder einen Abnehmer.
Innovationsräume organisieren sich selbst
Das Bundesforschungsministerium stellt dem Innovationsraum BioBall innerhalb von fünf Jahren bis zu 20 Mio. Euro zur Verfügung. Voraussetzung dafür ist, dass das Konsortium private Mittel einwirbt, sodass ein Anreiz entsteht, auch Industrie und Unternehmen an Bord zu holen. So soll die Förderaktivität nicht nur Freiraum für kreative Forschung schaffen, sondern auch für daraus entstehende Innovationen. Die Förderinitiative ist im November 2019 gestartet und bezweckt, dass fortlaufend weitere Partner dazu stoßen. Die Innovationsräume sollen sich selbst organisieren und selbstlernende Systeme darstellen.
Aktuell nehmen rund 60 Teilnehmer in den Projekten unter dem Dach von BioBall teil. „Weitere Interessenten sind herzlich willkommen“, betont Bayer. Der Innovationsraum BioBall versteht sich als Treiber des Strukturwandels zu einer nachhaltigen, biobasierten Wirtschaft unter den spezifischen Bedingungen einer dicht besiedelten und industrialisierten Metropolregion mit rund fünf Millionen Menschen. Regional angepasste Lösungen sind ein wichtiges Ziel der neuen Bioökonomiestrategie der Bundesregierung. Ein wesentlicher Schlüssel für den Erfolg der Bioökonomie liegt in passgenauen Lösungen.
Autorin: Ulrike Roll