Den Saugreflex von Kälbern verstehen
Jörn BennewitzBeruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Professor für Tiergenetik und Züchtung am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim
Beruf:
Agrarwissenschaftler
Position:
Professor für Tiergenetik und Züchtung am Institut für Nutztierwissenschaften der Universität Hohenheim
Der Hohenheimer Tiergenetiker Jörn Bennewitz untersucht den Trinkreflex bei Kälbern. Dieser ist vor allem beim Braunvieh relativ häufig gestört und verursacht bei den Tieren gesundheitliche Probleme.
Alle Säugetiere haben eines gemein: sie sind nach der Geburt auf die Versorgung mit Muttermilch angewiesen, da diese wichtige Nährstoffe enthält. Um diese Versorgung zu gewährleisten, sind die Jungen unter gesunden Umständen mit einem Trink- bzw. Saugreflex ausgestattet. Doch ausgerechnet bei der Milchviehrasse Braunvieh fehlt dieser Reflex häufig oder ist stark verringert. Das mindert nicht nur die Überlebenschancen der Jungtiere, sondern auch den wirtschaftlichen Gewinn für die Milchbauern. Jörn Bennewitz erforscht deshalb die Ursachen des gestörten Trinkreflexes.
Warum ist es so wichtig, dass der Trinkreflex bei Kälbern vollständig funktioniert?
Kälber sind darauf angewiesen, innerhalb der ersten Lebensstunden das Kolostrum aufzunehmen. Diese erste Milch enthält eine spezielle Immunglobulin- und Nährstoffzusammensetzung, die sowohl der passiven Immunisierung des Kalbes dient, als auch den Abgang des sogenannten „Darmpechs“ fördert. In der Regel nimmt die Darmpassagerate bei Kälbern für Immunglobuline nach etwa sechs Stunden deutlich ab. Dies bedeutet, dass Kälber mit einem unzureichenden oder fehlenden Saugreflex zu Beginn ihres Lebens keine ausreichende Immunisierung erhalten und daher ihr Leben lang eine höhere Krankheitsanfälligkeit oder gar eine Lebensschwäche aufweisen.
Mit welchen Methoden wollen Sie die Grundlagen des fehlenden Reflexes herausfinden?
Es wurden im Verlaufe des Projektes bisher sowohl quantitativ-genetische als auch genomische Analysen durchgeführt und die Vererbung des neu definierten Merkmals Saugreflex geschätzt. Hierfür wurden von über 9.000 neugeborenen Kälbern die Stärke des Saugreflexes auf einer vierstufigen Skala von den Betriebsleitern erfasst. Zusätzlich wurden weitere Merkmale der Kälber wie der Geburtsverlauf, die Größe und Vitalität des Kalbes, der Zeitpunkt des ersten Tränkeversuchs und das Trinkverhalten notiert. Mithilfe der Abstammung der Tiere konnten dann über statistische Verfahren die Erblichkeit des Saugreflexes und somit der züchterisch nutzbare genetische Einfluss geschätzt werden.
Handelt es sich hierbei um eine besondere Fehlbildung beim Braunvieh oder tritt dies auch in anderen Milchviehrassen auf?
Dieser Defekt des Saugreflexes kann zwar auch vereinzelt bei anderen Rassen wie Fleckvieh oder sogar Holstein beobachtet werden, jedoch ist er hauptsächlich beim Braunvieh vertreten und sorgt in dieser Rasse auch für wirtschaftliche Probleme.
Inwieweit werden Sie durch Partner aus Industrie und Wirtschaft bei Ihren Untersuchungen unterstützt?
Der Förderverein für Bioökonomieforschung (FBF) in Bonn ist maßgeblich an der Koordination des Projektes beteiligt, sowie auch die Landwirtschaftliche Rentenbank, die dieses Projekt zu einem großen Anteil fördert. Die Rinderunion Baden-Württemberg stellte sowohl Mitarbeiter zur Verfügung als auch die Akzeptanz unter den Betriebsleitern und deren Mitwirkenden am Projekt her. Das Landesamt für Geoinformation und Landentwicklung Baden-Württemberg (LGL) hat ebenfalls einen großen Beitrag zum Gelingen des Projektes geleistet.
Was steht als nächstes an?
Um noch weitere Informationen zur genetischen Fundierung des Saugreflexes gewinnen zu können, sind in den nächsten Monaten Genotypisierungen der Mütter der im Projekt enthaltenen Kälber geplant. Hierdurch erhoffen wir uns einen Einblick auf maternale Effekte, welche den Saugreflex möglicherweise auch beeinflussen können. Ebenso sind eine noch tiefergehende Analyse der teilnehmenden Betriebe und eine genauere Differenzierung der unterschiedlichen Betriebseffekte geplant. Letztendlich werden die Ergebnisse dieses Projektes genutzt, um eine Zucht-Strategie zur Reduzierung des Anteils der Kälber mit einem unzureichenden Saugreflex zu erarbeiten und diese in die Zuchtpraxis zu implementieren. Dabei muss jedoch immer bedacht werden, dass ein Großteil der Variation des Merkmals durch Umwelteffekte erklärt wird.
Interview: Judith Reichel