Bioökonomie-Kongress in Stuttgart
Wie kann die Industrie von morgen aussehen? Darüber haben rund 350 Experten beim zweiten Internationalen Bioökonomie-Kongress in Stuttgart diskutiert.
Wie kann die Industrie von Morgen nachhaltiger gestaltet und der Wandel in Richtung Gesellschaft kommuniziert werden? Dies waren nur einige der großen Fragen und Themenkomplexe, die auf dem zweiten Internationalen Bioökonomie-Kongress Mitte September in Stuttgart-Hohenheim diskutiert wurden.
Der zweitägige Kongress wurde vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg, der Universität Hohenheim und der BIOPRO Baden-Württemberg GmbH ausgerichtet. Die Veranstaltung bot mit 62 Vorträgen und 88 Posterbeiträgen ein dicht gepacktes Programm - sowohl für Experten aus Industrie und Wissenschaft als auch für die zahlreich erschienenen Nachwuchswissenschaftler. Dabei ging es vor allem darum, Ergebnisse aus dem seit 2014 aufgelegten Forschungsprogramm Bioökonomie der Landesregierung Baden-Württemberg zu präsentieren. Hierbei werden Wissenschaftler in den Themenfeldern Biogas, Lignozellulose und Mikroalgen unterstützt. Darüber hinaus gibt es ein übergreifend angelegtes Kompetenznetz "Modellierung der Bioökonomie" und ein standortübergreifendes Graduiertenprogramm. Die Veranstaltung bot vor allem den zahlreichen Nachwuchswissenschaftlern eine Plattform, ihre Arbeiten in Posterbeiträgen oder Vorträgen wvorzustellen. Die Themen hierbei reichten von nachhaltiger Produktion von Biomasse, der Nutzung alternativer Ressourcen für die Produktion von Lebens- und Futtermitteln bis hin zu Plattformchemikalien und Kraftstoffen.
Während des Kongresses stellten auch zahlreiche Nachwuchswissenschaftler ihre Projekte als Posterpräsentationen vor und diskutierten über ihre neuesten Ergebnisse.
Bioökonomie als Schlüssel für eine nachhaltigere Zukunft
Der Kongress unterstrich: die Bioökonomie ist in der Region inzwischen fest verankert. Seit dem Wintersemester 2014/15 bietet die Universität Hohenheim als erste deutsche Universität einen Master-Studiengang zu dem Thema Bioökonomie an. Denn, so betonte es Stephan Dabbert, Rektor der Universität Hohenheim: „Die Bioökonomie ist der Schlüssel zu einer modernen und nachhaltigeren Wirtschaft.“ Es reiche aber nicht aus, nur eine neue Rohstoffbasis zu schaffen, so der Rektor weiter. „Vielmehr ist es notwendig, sich auf die nachhaltige Leistungsfähigkeit der gesamten Wertschöpfungskette von der Produktion, Weiterverarbeitung und Umwandlung von biobasierten Rohstoffen bis hin zur Akzeptanz der Produkte durch Konsumenten und der Gesellschaft als Ganzes zu konzentrieren.“
Baden-Württemberg gut aufgestellt
Ministerialdirektor Ulrich Steinbach aus dem Wissenschaftsministerium schloss sich diesem Fazit an: „Wir brauchen einen ganzheitlichen Ansatz in der Bioökonomie.“ Davon war auch Thomas Hirth, Vorsitzender des Lenkungskreises des Forschungsprogramms Bioökonomie Baden-Württemberg und Vizepräsident für Innovation und Internationales am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), überzeugt: „Um die Möglichkeiten der Bioökonomie voll auszuschöpfen, also nachhaltige Produkte und Prozesse zu entwickeln, müssen Forschungsanstrengungen interdisziplinär sein und die Vernetzung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft vorangetrieben werden.“ Dies sei in der Region - auch mithilfe der öffentlichen Förderung - inzwischen gelungen, betonte Hirth.
Aber alle Beteiligten beim Kongress in Stuttgart waren sich auch einig, dass die Bioökonomie ein globales Unterfangen sein muss, um auf lange Sicht erfolgreich zu sein. Das wurde auch durch die große und internationale Teilnehmerzahl deutlich: etwa 350 Teilnehmer aus 18 Ländern waren für die Tagung nach Hohenheim gekommen. Zahlreiche Gäste kamen aus Lateinamerika, Dänemark und Finnland - Nationen, die ebenfalls intensiv an Bioökonomie-Strategien arbeiten und zum Teil bereits in strategischen Wissenschaftsnetzwerken mit den hiesigen Akteuren verbunden sind.
Aus Abfall neue Proteine gewinnen
Und so bot das Programm nicht nur Einblicke in Forschungsarbeiten aus Baden-Württemberg und Deutschland. Einen der Hauptvorträge hielt Lene Lange, Bioraffinerie-Expertin von der Abteilung Chemische Verfahrenstechnik der Technischen Universität Dänemark. Sie betonte vor allem die Vielfalt der verschiedenen Einsatzgebiete der Bioökonomie und die Notwendigkeit, derartige Ansätze auch in Europa durch die Europäische Kommission voranzutreiben. Anschließend stellte die Wissenschaftlerin noch einige Beispiele der Biokonversion vor. So könnten Pilze beispielsweise aus Abfall neue Proteine generieren, wenn sie darauf kultiviert werden, berichtete sie. Lange: „Denken Sie nur an die Champignons, die auf Kaffeeresten wachsen – diese vielfältigen Möglichkeiten müssen wir nutzen und bekannt machen!“
Was hat der Kunde von der Bioökonomie?
Und auch in der anschließenden Diskussionsrunde, die von Ralf Kindervater von der BIOPRO GmbH geleitet wurde, drehten sich die Beiträge vor allem um zwei Aspekte: Wie können die unterschiedlichen Bereiche der Bioökonomie besser vernetzt und verzahnt werden? Und wie gelingt es, Kunden von biobasierten und nachhaltigen Produkte zu überzeugen? KIT-Vizepräsident Thomas Hirth brachte den Sachverhalt auf den Punkt: „Die Menschen werden nur zu biobasierten Materialien und Produkten greifen, wenn diese ihnen einen Vorteil gegenüber herkömmlichen Produkten bieten.“ Helmut Nägele, Geschäftführer von Tecnaro, einem langjährigen Hersteller von Bioplastik, wiederum berichtete, dass der Preis eine entscheidende Rolle spielt und viele Produkte etwa aus Bioplastik kaum angenommen werden, solange sie noch teurer als herkömmliche Kunststoffe sind.
jmr/sw