Warum eine nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen so wichtig ist

Warum eine nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen so wichtig ist

Mit dem „Faktencheck Artenvielfalt“ gibt es erstmals eine umfassende Bestandsaufnahme zum Zustand der Natur in Deutschland. Nicht nur in der Agrarlandschaft hat es demnach dramatische Biodiversitätsverluste gegeben. Vereinzelt gibt es aber auch Lichtblicke.

Diese sechs großen Lebensräume wurden im Faktencheck Artenvielfalt untersucht: Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten und Küstengewässer, Urbane Räume und Boden.
Diese sechs großen Lebensräume wurden im Faktencheck Artenvielfalt untersucht: Agrar- und Offenland, Wald, Binnengewässer und Auen, Küsten und Küstengewässer, urbane Räume und Boden.

Immer mehr Tier- und Pflanzenarten sind nach Einschätzung von Fachleuten schon heute vom Aussterben bedroht – und der Klimawandel könnte den Ökosystemen weltweit noch mehr schaden und den Verlust der Artenvielfalt weiter vorantreiben. Mit dem ersten globalen Zustandsbericht zur Artenvielfalt zeigte der Weltbiodiversitätsrat (IPBES) 2019 erstmals, wie dramatisch die Lage ist. Mit dem „Faktencheck Artenvielfalt“ liegt nun zum ersten Mal ein umfassender Lagebericht zur Biodiversität in Deutschland vor. Es handelt sich um ein Projekt der BMBF-Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt (FEdA)

Nationaler Zustandsbericht zur Biodiversität

„Der Faktencheck Artenvielfalt ist weltweit eines der ersten Beispiele, wie große internationale Berichte – wie die globalen und regionalen Assessments des Weltbiodiversitätsrates IPBES – auf einen nationalen Kontext zugeschnitten aussehen können; mit dem Ziel, Handlungsoptionen für die konkrete nationale und subnationale Politik aufzuzeigen und zu entwickeln“, erklärt Christian Wirth von der Universität Leipzig und Mitherausgeber des Reports.

An dem über 1.000 Seiten umfassenden Bericht mit dem Titel „Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland“ haben 150 Forschende von 75 Institutionen und Verbänden zusammengearbeitet. Im Rahmen des Projektes wurden Erkenntnisse aus über 6.000 Publikationen zur Artenvielfalt in Deutschland ausgewertet und in einer eigens dafür entwickelten Datenbank zusammengeführt. Am 30. September wurde der Bericht in Berlin vorgestellt.

Mehr als die Hälfte aller Lebensräume in schlechtem Zustand

Die Ergebnisse des Reports sind „ernüchternd“. Der Studie zufolge sind 60 % der 93 untersuchten Lebensraumtypen in einem „unzureichenden oder schlechten Zustand“. 10.000 Arten seien „bestandsgefährdet“. Besonders schlecht ist demnach der Zustand einstmals artenreicher Äcker, Moore, Moorwälder, Sümpfe und Quellen und des Grünlands. Anhand der ausgewerteten Studien konnten die Forschenden klar belegen, dass die intensive landwirtschaftliche Nutzung den „stärksten negativen Effekt“ auf die biologische Artenvielfalt hat. Aber auch erste Auswirkungen des Klimawandels seien sichtbar, heißt es.

„Wir dürfen nicht an dem Ast sägen, auf dem wir sitzen. Einen Planeten B haben wir nicht“, sagte Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger anlässlich der feierlichen Präsentation des Berichts. Artenschutz sei eine „ökologische, ökonomische und ethische Verpflichtung“ so die Ministerin und forderte dazu auf, „den technologischen Fortschritt und Innovationen zu nutzen, um dem Artensterben entgegenzuwirken“.

Unzureichende Datenlage erschwert wissenschaftliche Auswertung

Der Report ist aber nicht nur ein Zustandsbericht. Er identifiziert auch Trends und Treiber und gibt Empfehlungen, wie dem Verlust der Artenvielfalt entgegengewirkt werden kann und wo Forschungsbedarf besteht. So stellten die Forschenden fest, dass es bei all den Forschungsaktivitäten und vorhandenen Daten „kein einheitliches, arten- und lebensraumübergreifendes System“ gibt, um die biologische Vielfalt zu erfassen, was die wissenschaftliche Auswertung erschwert. Hinsichtlich der Bodenbiodiversität und der Artenvielfalt in urbanen Räumen war die Datenlage deutlich schlechter.

„Durch die unzureichende Datengrundlage sind auch die genauen Ursachen des Verlusts biologischer Vielfalt nur ungenügend bekannt. Das liegt vor allem daran, dass die von uns Menschen verursachten Einflüsse bislang entweder gar nicht oder nur unvollständig und in den meisten Fällen unabhängig von der Erfassung der biologischen Vielfalt erhoben werden“, sagt Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) und Mitherausgeber des Reports.

Doch es gibt auch einige positive Entwicklungen. Demnach hat sich die Wasserqualität der Flüsse und die Förderung natürlicher Strukturelemente in Wäldern und in der Agrarlandschaft verbessert. Für eine echte Trendwende müsse man jedoch lernen, mit der Natur zu wirtschaften, erklärt Nina Farwig von der Universität Marburg und Mitherausgeberin. „Das kann auch bedeuten, dass wir ökologische Folgekosten in Wirtschaftsberichten bilanzieren. Vor allem müssen neue biodiversitätsbasierte Landnutzungssysteme entwickelt werden. Moderne Technologien können hierbei helfen.“

Mit hoher Biodiversität steigt die Vielfalt an Ökosystemleistungen

In den Kernaussagen des Faktenchecks unterstreichen das Autorenteam die Rolle der biologischen Vielfalt für Ökosysteme und uns Menschen. Biologisch vielfältige Lebensgemeinschaften erbringen essenzielle Leistungen, etwa die Versorgung mit Nahrungsmitteln, die Blütenbestäubung, Aufrechterhaltung von Nährstoffkreisläufen, Klimaschutz oder den Rückhalt von Wasser. „Mit hoher biologischer Vielfalt steigt auch die Vielfalt an Ökosystemleistungen“, heißt es unter anderem in der Zusammenfassung des Faktenchecks. 

„Ökosysteme – Wälder, Flussauen, Feldlebensräume und viel mehr, werden stabil und krisenfest, wenn sie reich an Arten sind“, bringt es Christian Wirth in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf den Punkt. „Je vielfältiger die Artengemeinschaft in einem Lebensraum ist, desto produktiver ist er.“ Landschaften mit einem dichten Netz aus Arten seien ungleich stabiler gegen Krisen. „Das ist auch eine wichtige Botschaft für Gesellschaft und Politik: Eine nachhaltige Bewirtschaftung von Ökosystemen rentiert sich.“

Faktencheck Artenvielfalt

Der Bericht „Faktencheck Artenvielfalt. Bestandsaufnahme und Perspektiven für den Erhalt der biologischen Vielfalt in Deutschland“ steht auf der Internetseite vom oekom-Verlag als kostenloser Download bereit. 
Hier geht es zum Download:

Flankiert wird der Report von einer Zusammenfassung für die gesellschaftliche Entscheidungsfindung.
Hier gehts zum Download:

Die Forschenden kritisieren, dass rechtliche und förderpolitische Instrumente der Naturschutzpolitik derzeit nur unzureichend umgesetzt oder vollzogen werden und sprechen sich für „erfolgsbasierte finanzielle Anreize“ aus. So könnte der Biodiversitätsschutz eine größere Verbindlichkeit erreichen, wenn er an ein höheres Recht, etwa in Form eines Menschenrechts auf gesunde Umwelt verknüpft werde, heißt es.

Wissenschaftliche Basis für Maßnahmen zum Biodiversitätserhalt

„Der Erhalt der Biodiversität sichert unser Wohlergehen, aber auch das Wirtschaften. Schützen wir die biologische Vielfalt, schützen wir also uns selbst“, erklärt Volker Mosbrugger, Sprecher der Forschungsinitiative zum Erhalt der Artenvielfalt. „Mit dem Faktencheck Artenvielfalt ist ein höchst beeindruckendes Referenz- und Nachschlagewerk entstanden, das die wissenschaftliche Basis legt, um praxisnahe, wirksame Maßnahmen zum Biodiversitätserhalt in Deutschland zu ergreifen.“

bb/pg