Tomaten als Biofabriken für Medikamente
In Obst und Gemüse schlummern heilende Stoffe, jedoch nur in sehr geringen Mengen. Max-Planck-Forscher haben nun einen Weg gefunden, große Mengen der gesunden Naturstoffe herzustellen. Dafür nutzen sie die Tomate als natürliche Arzneimittelfabrik.
In vielen Obst- und Gemüsesorten schlummern gesunde Nährstoffe. Um die richtige Tagesdosis zu erreichen, müssten jedoch Massen davon konsumiert werden, weil die Kost meist nur geringe Mengen der Substanz enthält. Forscher vom Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie (MPI-MP) haben nun einen Weg gefunden, für die Medizin relevante Inhaltsstoffe der Sojabohne und der Weintraube in Masse herzustellen. Dafür nutzten die Wissenschaftler die Tomate als natürliche Arzneimittelfabrik. Wie das Team im Fachjournal Nature (2015, Online-Veröffentlichung) berichtet, gelang es ihnen mithilfe eines gentechnischen Tricks die Produktion der eingeschleusten Naturstoffe in der Tomatenpflanze um das Hundertfache anzukurbeln.
Ob Orangen oder Weintrauben, Tomaten oder Spinat: Viele Obst- und Gemüsesorten haben Inhaltstoffe, die vor Krankheiten schützen oder sogar heilen. So sollen Tomaten das Schlaganfallrisiko senken und in gekochter Form auch vor Sonnenbrand schützen und die Hautstruktur stärken. Verantwortlich dafür ist hier die Substanz Lycopin. Doch davon ist in der Frucht nur wenig vorhanden, so dass riesige Mengen verspeist werden müssten, um den Tagesbedarf zu decken und die hilfreiche Wirkung zu erzielen.
Naturstoffe für die Medizin
Diese sekundären Inhaltsstoffe für die Medizin nutzbar zu machen, ist ein Ziel, dem sich Forscher am Max-Planck-Institut für Pflanzenphysiologie verschrieben haben. Das Team um Alisdair Fernie und Cathie Martins vom John Innes Centre in England fand einen Weg, um diese Naturstoffe in großem Maßstab herzustellen. Dafür bedienten sie sich der Tomatenpflanze. Der Grund: Die Pflanze gehört mit einer Fruchtproduktion von 500 Tonnen pro Hektar zu den ertragreichsten Nutzpflanzen und ist daher besonders gut als „Biofabrik“ für pflanzliche Stoffe geeignet.
Doch nicht das Lycopin der Tomatenpflanze stand im Visier der Forscher. Für ihre Untersuchungen wählten sie die ebenfalls für die Medizin relevanten Stoffe Resveratrol und Genistein. Resveratrol kommt in Weintrauben vor und soll Tierstudien zufolge lebensverlängernd wirken. Genistein ist ein in Sojabohnen vorkommender Sekundärstoff, der verschiedene Krebsarten, wie Brustkrebs, verhindern soll.
Gentechnischer Schalter integriert
Um die Produktion der beiden Naturstoffe in den Tomaten anzukurbeln, nutzten die Forscher einen gentechnischen Trick: Sie schleusten zunächst das Gen AtMYB12 aus der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) in die Tomaten ein. Dieses AtMYB12 kodiert ein Protein, das an entscheidende Gene der sekundären Pflanzenstoffe andockt und deren Produktion ankurbelt. „Dieses Protein fungiert wie ein Schalter, der die Herstellung der sekundären Pflanzenstoffe an- und ausschalten kann“, erklärt Alisdair Fernie vom MPI-MP in Potsdam.
Tomate als Biofabrik überzeugt
Danach wurden die ausgewählten Nährstoffe gemeinsam mit weiteren Genen für Enzyme aus Sojabohne und Weintraube in die Tomatenpflanze eingebracht, um deren Produktion voranzutreiben. Das Ergebnis: Die mit den sogenannten Phenylpropanoiden ausgestatteten Tomatenpflanzen reicherten im Vergleich zu Weintrauben mehr als ein Hundertfaches der Resveratrol-Menge in ihren Früchten an. Ähnlich verhielt es sich bei dem Genistein-Gehalt der Früchte. Auch sie übertraf die von Sojaprodukten um ein Vielfaches. Der Grund für die Produktionssteigerung ist ein völlig neuer Stoffwechselweg, der sich in der Tomatenpflanze etabliert hat und die Naturstoff-Produktion antrieb.
Tomatenpflanzen als Biofabriken zu nutzen hat aber auch einen wirtschaftlichen Vorteil. Anstatt einer aufwendigen synthetischen Herstellung im Labor können die Naturstoffe einfach aus dem gepressten Saft der Tomate extrahiert und das Substrat zur Herstellung von Arzneimitteln verwendet werden. Die Max-Planck-Forscher sind überzeugt, dass mit Hilfe dieser Methode weitere Stoffe in großem Maßstab für die Medizin gewonnen werden können.