Studie: Energiewende – ja, aber gerecht

Studie: Energiewende – ja, aber gerecht

Die Mehrheit der Deutschen befürwortet die Energiewende, sieht aber Ungerechtigkeiten bei der Umsetzung. Das ergab die Bürgerumfrage des Sozialen Nachhaltigkeitsbarometers.

Biogasanlage
Der Anteil der Stromerzeugung durch Biogasanlagen steigt.

Die Nutzung von Biomasse zur Energieerzeugung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Das zeigt die wachsende Zahl von Biogasanlagen, die industrielle und landwirtschaftliche Reststoffe in Wärme und Strom verwandeln. Nach Angaben des Umweltbundesamtes wurden 2016 von den bundesweit 9.200 Biogasanlagen etwa 50,8 TWh Strom bereitgestellt, was einem Plus von 1% im Vergleich zum Vorjahr bedeutet. Stromerzeugung aus Biomasse ist neben Wind- und Wasserkraft sowie Photovoltaik, daher eine tragende Säule der Energiewende. Experten zufolge soll die Zahl der Biogasanlagen bis Ende 2017 noch weiter zulegen.

Doch wie wird die Energiewende von der Öffentlichkeit wahrgenommen und bewertet? Dazu gibt erstmals eine sozialwissenschaftliche Studie Auskunft. Im Projekt „Soziales Nachhaltigkeitsbarometer“ wurden zum ersten Mal Bürger befragt, für wie gerecht sie die Energiewende halten. „Die Energiewende ist in allen gesellschaftlichen Gruppen als Zielsetzung fest verankert und positiv besetzt. Und das über alle Parteien hinweg“, erklärt Daniela Setton, Hauptautorin der Studie und Wissenschaftlerin am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung IASS in Potsdam.

Zustimmung auch unter Klimaskeptikern hoch

Danach befürwortet mit 88% eine Mehrheit der Bundesbürger die Nutzung erneuerbarer Energien. Vergleichbar hoch ist die Zustimmung zur Förderung von erneuerbaren Energien (84%) sowie zu Energiesparen (80%) und Energieeffizienz (85%). Darüber hinaus sind 75% der Befragten bereit, sich persönlich an der Energiewende zu beteiligen, denn sie betrachten die Energiewende als „Zukunftsvorsorge“. Selbst Klimaskeptiker sprachen sich mit großer Mehrheit, etwa 77%, für den Wandel aus. „Ein überraschendes Ergebnis für uns war, dass der Kohleausstieg eine ähnlich hohe Zustimmung erhält wie der Atomausstieg“, hebt Daniela Setton hervor. Selbst in den vom Kohleanbau dominierten Bundesländern war der Zuspruch hoch.

Befragte halten Energiewende für wenig gerecht

Doch neben der Zustimmung gibt es auch Zweifel, wie die Studie zeigt. Überwiegend skeptisch waren die Befragten, wenn es um die Themen Gerechtigkeit, Kosten, Steuerung und Bürgernähe der Energiewende ging. „Fast jeder zweite Deutsche hält die Energiewende für eher ungerecht, nur jeder Vierte für eher gerecht. Das ist ein deutliches Signal. Energiepolitische Maßnahmen sollten stärker auf ihre soziale Verträglichkeit abgeklopft und einkommensschwache Haushalte gezielt unterstützt werden“, betont Ortwin Renn, Wissenschaftlicher Direktor am IASS und Projektleiter der Studie.

Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende zeigt, wie eine gerechte Verteilung der Energiewendekosten aus Sicht der Deutschen aussieht.

Das Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende zeigt, wie eine gerechte Verteilung der Energiewendekosten aus Sicht der Deutschen aussieht.

Rückenwind für Politik bei sozial nachhaltiger Energiepolitik

Gleichfalls war jedoch erstaunlich, dass Menschen, die sich von der Energiewende finanzielle eher benachteiligt sehen, diese dennoch befürworten. „Die Politik kann mit breitem Rückhalt rechnen – erst recht, wenn sie die Energiepolitik künftig sozial nachhaltig ausgestaltet“, schlussfolgert Renn. Die Programme der Parteien zur Umsetzung der Energiewende überzeugten diesbezüglich nicht. Weder CDU/CSU, noch SPD und Grüne oder Linke konnten mit ihrem Konzept mehrheitlich punkten. So finden 23%, dass „keine Partei“ die besten Konzepte hat. Nur 20% sehen diese Kompetenz bei den Grünen.

Staat in der Verantwortung

Die Verantwortung für mehr soziale Gerechtigkeit bei der Ausstattung der Energiewende liegt der Studie zufolge klar beim Staat. Die Deckelung von Energiepreisen, um Geringverdiener zu entlasten und eine zumutbare Begrenzung der Mieterhöhung infolge energetischer Gebäudesanierung wurden neben einer größeren politischen Mitsprache der Bürger als Wünsche klar formuliert. René Mono, geschäftsführender Vorstand der 100-prozent-erneuerbar-Stiftung, ist überzeugt: „Viele wichtige und auch umstrittene Fragen erhalten mit dem Sozialen Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende zum ersten Mal eine notwendige empirische Basis. Der Erfolg der Energiewende wird letztlich von einem Faktor abhängen: Haben die Menschen vor Ort das Gefühl, dass ihnen persönlich die Energiewende neue Chance eröffnet – zum Beispiel, indem sie ökonomisch oder politisch an ihr teilhaben?“

Soziale Dimension der Energiewende messen

Das „Soziale Nachhaltigkeitsbarometer zur Energiewende“ entstand in  Zusammenarbeit mit dem vom Bundesforschungsministerium geförderten Kopernikus-Projekt Energiewende-Navigationssystem (ENavi) und der dynamis-Kooperation des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) sowie der innogy-Stiftung für Energie und Gesellschaft und der 100-prozent-erneuerbar-Stiftung. Die Umfrage wurde vom IASS gemeinsam mit dem Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) und dem Markt- und Meinungsforschungsinstitut forsa durchgeführt und soll jährlich die sozialen Dimension der Energiewende messen.

bb