CRISPR-Cas: Chancen für die Gentechnik

CRISPR-Cas: Chancen für die Gentechnik

Der vierte Gentechnologiebericht der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften liegt vor: Die Autoren fordern darin ein Umdenken im Umgang mit CRISPR-Cas-Produkten.

Während einer Podiumsdiskussion debattierten die Autoren die Kernpunkte des vierten Gentechnologieberichtes der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.

Erbgutverändernde Technologien wie die Genschere CRISPR-Cas bergen unzählige Anwendungsmöglichkeiten sowohl in der Pharmaindustrie für neue Therapien als auch in der Landwirtschaft für die Züchtung neuer Pflanzensorten. Zugleich ist über mögliche Nebenwirkungen der noch jungen Methode wenig bekannt. Im Jahr 2012 haben die Molekularbiologinnen Jennifer Doudna und Emmanuelle Charpentier die CRISPR-Cas-Geneditierungsmethode erstmals im Fachjournal „Science“ beschrieben. Seitdem haben sich etliche Forscher und Biotech-Unternehmen die Methode zunutze gemacht, um beispielsweise dürreresistente Kulturpflanzen zu züchten. Doch was im Labor gut funktioniert, ist auf dem Feld und dem Markt strikt reglementiert: Das im Juli gefällte EuGH-Urteil hat für Europa beschlossen, dass Produkte, die mittels CRISPR-Cas hergestellt wurden, den strengen Regulierungen von genveränderten Organismen (GVO) unterliegen – eine Entscheidung, die vielerorts mit Überraschung aufgenommen wurde.

Technischen Fortschritt dokumentieren

Nicht zuletzt durch die technischen Möglichkeiten von CRISPR-Cas ergeben sich auch viele ethische Fragestellungen bezüglich gezielt herbeigeführter Erbgutveränderungen. Um den methodischen Fortschritt zu dokumentieren und zugleich die ethische Diskussion zu begleiten, hat die interdisziplinäre Arbeitsgruppe (IAG) „Gentechnologiebericht“ der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften (BBAW) die vierte Ausgabe des Gentechnologieberichtes erstellt. Unter der Überschrift „Neue Herausforderungen für ein ‚altes' Monitoring" wurde dieser am Abend des 29. Oktober im BBAW-Gebäude in Berlin-Mitte vor rund 150 interessierten Gästen von den Autoren vorgestellt und anschließend in einer Podiumsdiskussion diskutiert.

Während der Bericht verschiedene Entwicklungen und Technologien beleuchtet und entsprechende Handlungsempfehlungen zur Forschungsförderung, den rechtlichen Rahmenbedingungen sowie zu einem offenen Diskurs mit der Öffentlichkeit abgibt, befasste sich die Abendveranstaltung vor allem mit dem Potenzial und den Tücken der CRISPR-Cas-Technologie und hier insbesondere für die Präimplantationsidagnostik, also der Selektion gesunder Embryonen, sowie als Werkzeug für die Pflanzenzüchtung.

Der Gentechnologiebericht 4.0 war ursprünglich als Abschlussbericht der IAG nach 18 Jahren Arbeit konzipiert. Doch aufgrund des Potenzials und der vielen möglichen Anwendungsgebiete der neuen Geneditierungsmethode CRISPR-Cas wurde der Entschluss gefasst, die IAG weiterzuführen und den Gentechnologiebericht 4.0 als Zwischenbericht anzufertigen. Dies betonte auch BBAW-Präsident Martin Grötschel in seinem Grußwort: „Der vierte Gentechnologiebericht dient zum einen dazu, eine Bilanz der Arbeit der letzten 18 Jahre zu ziehen. Zugleich ist er aber auch als Wegweiser für die Zukunft zu verstehen.“ Ein weiteres erklärtes Ziel dieses wie der vorangegangenen Berichte sei zudem die Versachlichung des öffentlichen Diskurses, so Grötschel weiter.

EuGH-Urteil vollkommen unverständlich

Anschließend gab Ferdinand Hucho, Mitglied der BBAW und stellvertretender Sprecher der IAG, einen kurzen Einblick in die Sicht- und Arbeitsweise der IAG. Diese habe mit „Entsetzen“ das überraschende Gentechnikurteil des EuGH im Juli aufgenommen. „CRISPR-Cas ist ein echter Quantensprung für die Gentechnologie und birgt zahlreiche Anwendungsmöglichkeiten gerade auch für die Nahrungssicherung. Deshalb ist es für uns vollkommen unverständlich, dass Produkte, die mit CRISPR-Cas hergestellt wurden, unter die restriktive GVO-Verordnung fallen“, sagte Hucho.

Diese Problematik griff auch Bernd Müller-Röber auf, Mitglied der BBAW, Professor für Molekularbiologie an der Universität Potsdam und einziger Vertreter der grünen Gentechnologie während der Podiumsdiskussion. Müller-Röber wies in seinem Vortrag darauf hin, dass jegliche Art der Züchtung einen Eingriff in das Erbgut darstelle – dieser jedoch je nach Züchtungsmethode langwierig und sehr ungenau sein kann. Außerdem werde bei herkömmlichen gentechnischen Verfahren Pflanzen häufig fremde DNA eingesetzt, um eine gewünschte Eigenschaft zu erreichen. CRISPR-Cas biete hingegen die Möglichkeit der unmittelbaren Veränderung des Erbgutes, ohne dabei Fremd-DNA einzuschleusen. „Dadurch können schneller und gezielter beispielsweise dürreresistente Pflanzen gezüchtet werden“, so Müller-Röber. Außerdem würden weltweit,  auch in Deutschland, schon seit Jahren gentechnisch veränderte Pflanzen wie Soja oder Mais angebaut – ohne erkennbare Nebenwirkungen.

Industrie wandert aus EU ab

Vor allem die Forschung habe von der neuen Methode enorm profitiert. „Für die Grundlagenforschung war CRISPR-Cas wirklich ein Game-Changer. Dadurch können wir jetzt wesentlich schneller und präziser im Labor arbeiten“, betonte Müller-Röber. Doch eine im Labor neu gezüchtete Tomate auf einem Feld anzubauen oder gar auf den Markt zu bringen, sei derzeit in Deutschland durch den EuGH-Beschluss schier unmöglich. Als Folge haben bereits einige Biotech-Unternehmen wie der größte niederländische Kartoffelzüchter und Anbieter HZPC ihre Forschung zu CRISPR-Cas aus der EU ausgelagert.

Dem stimmte auch Günter Stock zu, Präsident der ALLEA – All European Academics, Vorstandsvositzender der Einstein Stiftung Berlin und Mitglied der BBAW: „In den Laboren der Grundlagenforschung mag CRISPR-Cas in Deutschland noch weit verbreitet sein. Doch die industrielle und anwendungsnahe Forschung hierzu ist spätestens seit dem EuGH-Urteil aus Deutschland abgewandert.“

Wissenschaftler fordern neue gesetzliche Regelung

Ähnlich besorgt und verärgert zeigen sich auch die Wissenschaftler von mehr als 85 Forschungsinstituten, die ein Positionspapier unterstützen. Es fordert die europäischen Gesetzgeber auf, die Pflanzenforschung und vor allem deren Anwendung auf dem Acker zu stützen und zu schützen. Sie setzen sich dafür ein, Kulturpflanzen und deren Früchte nicht nach ihrer Züchtungsart zu klassifizieren, sondern auf Basis des Produktes zu entscheiden. Stammen Früchte aus einer CRISPR-Cas-Züchtung enthalten diese beispielsweise keine fremde DNA und tragen außerdem weniger genetische Nebenwirkungen davon, als eine mit radioaktiver Bestrahlung entwickelte Frucht.

Auch Jochen Taupitz, Mitautor des Gentechnologieberichts, fand während der Podiumsdiskussion deutliche Worte: „Über kurz oder lang wird das EU-Gentechnikrecht so nicht haltbar sein. Nicht der Weg sollte hier reglementiert werden, sondern das Produkt!“ Taupitz ist Mitglied der IAG „Gentechnologiebericht“ und Professor für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre an der Universität Mannheim.

Das Fazit der Autoren ist demnach eindeutig: Um international und vor allem global mit der medizinischen und pflanzlichen Gentechnologieforschung und -anwendung schritthalten zu können, muss ein offener, sachlicher Dialog zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft stattfinden, der die Gentechnik und ihre Anwendungen entdämonisiert und den Forschungs- und Industriestandort Deutschland stärkt.

jmr