Blaue Lebensmittel für eine nachhaltige Entwicklung
In einem Handbuch haben Fachleute des BMBF-Forschungsverbunds KüNO praxisrelevante Ergebnisse zusammengetragen, wie Fische, Meeresfrüchte und Algen die Ernährung in Zeiten des Klimawandels sichern können.
Ob Hering, Zander oder Lachs: Fisch ist beliebt und rangiert auf der Liste der gesunden Lebensmittel ganz oben. 12,7 Kilogramm wurden nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2021 pro Kopf in Deutschland gegessen. Damit ist die Nachfrage nach Fisch und Fischerzeugnissen weiterhin hoch – und dieser Trend wird sich fortsetzen, da die sogenannten blauen Lebensmittel eine wichtige und ressourcenschonende Proteinquelle sind. Das Problem: Der Bedarf kann längst durch den heimischen Fischfang nicht mehr gedeckt werden, weil Bestände in Nord- und Ostsee vor allem Dorsch und Hering überfischt sind. Das Gros der essbaren Fische kommt daher mittlerweile aus kommerziellen Fisch-Farmen. Doch auch die Zucht in Aquakultur-Anlagen steht hinsichtlich Tierwohl und Umweltbelastung in der Kritik.
Praxisrelevante Forschungsergebnisse
Welchen Fisch kann man also noch essen? Wie ressourcenschonend sind Fischerei und Aquakultur? Und was muss getan werden, damit Fisch, Meeresfrüchte und Algen in einem sich ändernden Klima zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen? Antworten auf solche Fragen liefert eine neue Broschüre, die im Rahmen des Forschungsverbundes „Küstenmeerforschung Nordsee-Ostsee“ KüNO III entstanden ist. Das Handbuch mit dem Titel „Fisch, Meeresfrüchte und Algen im Klimawandel – ‚Blaue‘ Lebensmittel als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung“ enthält praxisrelevante Forschungsergebnisse von fünf der insgesamt sechs Vorhaben, die im KüNO-Dachprojekt CoTrans vom Norddeutschen Küsten- und Klimabüro am Helmholtz Zentrum Hereon gebündelt und seit 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden. Das Forschungsprojekt will im Spannungsfeld zwischen Anpassung an die Folgen des Klimawandels, nachhaltiger Ressourcennutzung und Erhalt natürlicher Lebensräume Entscheidungswissen und wissenschaftsbasierte Handlungsempfehlungen bereitstellen.
Handlungsfelder „blauer“ Lebensmittel und Nachhaltigkeitsziele
Das mehr als 220 Seiten umfassende Handbuch liefert Fakten zu kursierenden Meinungen, schildert die Auswirkungen des Klimawandels auf Fischerei und Aquakultur und wie es um die Fischbestände in Nord- und Ostsee steht. Darin beschreiben wird aber auch, welches Potenzial in einer ökologisch nachhaltigen Produktion „blauer“ Lebensmittel steckt. Vor allem werden in dem Handbuch konkrete Handlungsfelder „blauer“ Lebensmittel im Hinblick auf die Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen beschrieben, diskutiert und konkretisiert. Darauf basierend werden schließlich Handlungsoptionen für Politik, Wissenschaft, Wirtschaft sowie Konsumentinnen und Konsumenten abgeleitet.
Konsumverhalten ändern
„So können wir alle beispielsweise durch Änderungen im Konsumverhalten – weg vom Aquakulturlachs und Thunfisch, hin zu Hering, Makrele, Sardelle, Muscheln und Algen – zu einer nachhaltigen Nutzung ,blauer‘ Lebensmittel beitragen“, sagt Autorin Insa Meinke. Doch nicht nur eine Veränderung des Konsumverhaltens ist für eine nachhaltige Nutzung mariner Lebensmittel notwendig. Da auch Fischerei und Aquakultur zu den weltweiten CO2-Emissionen beitragen, ist den Autoren zufolge „die weltweite Reduktion von Treibhausgasemissionen als auch die regionalspezifische Minderung aller anderen direkten menschlichen Einflüsse auf marine und küstennahe Ökosysteme“ für eine nachhaltige Entwicklung mariner Lebensmittel vom zentraler Bedeutung. In Fischerei und Aquakultur sollten daher gleichermaßen Treibhausgasemissionen vermieden, negative Klimafolgen verringert und Potenziale, die sich durch den Klimawandel ergeben, ausgelotet und genutzt werden.
„Fisch, Meeresfrüchte und Algen im Klimawandel – ‚Blaue‘ Lebensmittel als Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung“
Das Handbuch enthält praxisrelevante Forschungsergebnisse von fünf der insgesamt sechs KüNO-Vorhaben, die seit 2013 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden.
Natürlicher Klimaschutz durch Anbau von Markoalgen
Das beste Verhältnis von Nährstoffgehalt und Treibhausgasemissionen bieten den Forschenden zufolge neben Wildlachs kleinere Fische wie Hering, Makrele und Sardelle sowie kultivierte Muscheln. Mit Blick auf eine ressourcenschonende und klimaneutrale Produktionssteigerung sehen die Autoren in der marinen Zucht von Makroalgen das größtes Potenzial, da Algen Kohlendioxid absorbieren und so zum natürlichen Klimaschutz beitragen.
Um langfristig hohe Erträge zu sichern und die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme gegen die Folgen des Klimawandels zu stärken, sei ein nachhaltiges Fischereimanagement von zentraler Bedeutung, heißt es. Bezogen auf den Artenschutz in Nord- und Ostsee plädieren die Autoren dazu, den Fang von Fischen, die sich aufgrund des Klimawandels etablieren, zu begrenzen und die Fangquoten entsprechend anzupassen. Zudem wird auf die großen Mengen an Fischen und Meeresfrüchten verwiesen, die ins Meer zurückgeworfen werden oder beim Transport verderben. Eine Reduzierung dieser Fischereiverluste würde den „Druck auf die Fischbestände weltweit deutlich verringern und somit zur nachhaltigen Ressourcennutzung sowie Ernährungssicherheit nennenswert beitragen“.
Kreislaufwirtschaft für Aquakulturen optimieren
„Für Aquakulturen sollte der Einsatz geschlossener Kreislaufanlagen optimiert und die Züchtung wärmeresistenter Arten sowie die Eignung kühlerer Standorte untersucht werden“, empfehlen die Autoren. Demnach gibt es derzeit in der Ostsee „ungenutzte naturräumliche Potenziale“, um neue Aquakultur-Farmen zu etablieren. Diese Räume sollten „vor allem zur Züchtung von Arten genutzt werden, die gegenüber den zukünftigen Klimabedingungen resilient sind“. Das größte Reduktionspotenzial in Aquakulturen liegt den Forschenden zufolge in der Futtermittelherstellung.
Anreize für Fischereien schaffen und Infrastrukturen fördern
Damit die Maßnahmen greifen, sollten zum einen Stakeholder aller beteiligten Sektoren hinsichtlich Klimafolgen, Klimaanpassung und der Reduzierung der Klimaauswirkungen sensibilisiert und weitergebildet werden. Empfohlen werden auch Image- und Marketingkampagnen zum Potenzial blauer Lebensmittel – insbesondere zu Algen. Zum anderen müsse die Politik entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen und Anreize für Fischereien schaffen sowie Infrastrukturen fördern, um die Transformation des Ernährungssystems voranzutreiben.
bb