Auf dem Weg zur grünen Elektronik

Auf dem Weg zur grünen Elektronik

Grüne Innovationen sind auch in der Elektronik-Industrie gefragt. Bei einem Kongress in Berlin diskutierten 400 Experten über mögliche Wege zur Kreislaufwirtschaft.

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Kunst aus Abfall bei der Electronics Goes Green Konferenz 2016 in Berlin

Während auf der IFA unterm Funkturm die neueste Smartphone-Generation vorgestellt wurde, haben mehr als 400 Wissenschaftler aus der ganzen Welt in Berlin-Dahlem beim Kongress „Electronics goes green“ über eine Stärkung der Kreislaufwirtschaft in der Elektrobranche diskutiert. Drei Tage lang wurden in fünf parallelen Sessions Ansätze zu grünen Innovationen präsentiert sowie ihre Herausforderungen debattiert – im Technologiebereich, in Bezug auf die Verfügbarkeit mineralischer Rohstoffe, auf der Ebene von EU-Regularien zu Elektroschrott und Chemikalien sowie allgemein zu den Möglichkeiten, in der Elektronik-Industrie ein System der Kreislaufwirtschaft zu etablieren. Mit insgesamt 50 Sessions und fast 200 Vorträgen war das Programm der fünften Konferenz der Reihe sehr breit gefächert. Nachhaltige Geschäftsmodelle und Wertschöpfungsketten, Wege für mehr Energieeffizienz, neue technologische Ansätze – all diese Themen wurden umfassend beleuchtet.

Kreislaufwirtschaft in der Elektronik-Industrie umsetzen

„Wir wollen die Wirtschaft hin zur Kreislaufwirtschaft verändern und an einer nachhaltigen Zukunft der Branche arbeiten“, unterstrich Miquel Ballester Salvà im Eröffnungsvortrag der Veranstaltung, die vom Fraunhofer-Institut für Zuverlässigkeit und Mikrointegration (IZM) in Kooperation mit der Technischen Universität Berlin organisiert wurde. Salvà ist Geschäftsführer der niederländischen Firma Fairphone, die sich zum Ziel gesetzt hat, Mobiltelefone unter fairen Bedingungen herzustellen und deren Teile einzeln repariert werden können. Doch er gab sich kritisch bezüglich der eigenen Branche: „Wir produzieren viele coole Produkte und ersetzen sie jedes Jahr durch neue coole Produkte – nur vielleicht etwas zu früh.“ Mit dem Hinweis von Norbert Zonneveld vom Europäischen Verband der elektronischen Recyclingindustrie EERA, dass „es Abfall nur gibt, wenn unsere Kreativität versagt“, wurden die Teilnehmer schließlich in Kleingruppen entlassen, um themenspezifisch weiter zu diskutieren.

Herausforderung Smartphonisierung der Gesellschaft

Vor allem der nachhaltige Umgang mit den kurzlebigen mobilen Endgeräten, die alle zwei Jahre gegen neue, schnellere und technisch optimierte Versionen ausgetauscht werden, stand im Vordergrund des Kongresses. Wie lässt sich die „Smartphonisierung“ der Gesellschaft überhaupt nachhaltiger gestalten? Selbst für die hochintegrierten Smartphones und Tablets sind modulare Produktionskonzepte auf dem Vormarsch, wie Karsten Schischke vom IZM in der Session Green ICT aufzeigte. Die innovativsten Umsetzungen werden dabei von kleineren Firmen kommen, nachdem Google sich von seinem modularen Smartphone Ara just vor der Konferenz wieder verabschiedete. Sein Kollege Nils Nissen betont: "Die Modularität in der Elektronikindustrie gab es bei ganz alten PCs - die konnte man noch drei Jahre lang nachrüsten. Bei den modernen Varianten ist das fast ausgestorben. Und nun versucht man, in noch wachsende Produkte - Smartphones und Tablets - so etwas wieder einzubauen."

Ansätze für modulare Systeme sollen Abfall reduzieren

Wie das konkret geschehen kann, wurde unter anderem anhand von Firmen wie Fairphone deutlich. Ihr Ansatz ist klar: Sie bieten modulare Produkte, bei denen Einzelteile flexibel ausgetauscht werden können. Neben der längeren Lebensdauer wird auch eine sozial verantwortlichere Produktion der Telefone angestrebt. Mehr Transparenz innerhalb der Lieferkette soll zudem verhindern, dass durch den Kauf ausgewählter metallischer Rohstoffe Konflikte in rohstoffreichen Ländern finanziert werden. Das finnische Startup Circular Devices wurde für sein modulares Smartphone-Konzept „Puzzlephone“ mit dem Green Electronics Council Catalyst Award ausgezeichnet, ebenso wie der US-amerikanische Chiphersteller Advanced Micro Devices (AMD).  Dieser zählt zu den größten Halbleiterherstellern der Welt. Das US-Unternehmen ist mit seinen x86-Prozessoren der größte Konkurrent von Intel und fertigt einen Teil seiner Chips in Dresden. Die Auszeichnung wurde für seine Energieeffizienzinitiative vergeben. Während die erste Gewinnerbekanntgabe selbst auf der Elektronikmesse IFA stattfand, wurden die Preisträger im Rahmen der Konferenz während eines Dinnerabends im Wasserwerk nochmals feierlich geehrt.

Herausforderung Recycling von Elektronikschrott

Über die Frage der Verfügbarkeit solcher Mineralien wurde in Berlin ebenso diskutiert wie über generelle Ansätze zur Kreislaufwirtschaft. Vor allem die Trennung von Produkt und Abfall sei eine Herausforderung, hieß es von Experten. Zwar gebe es strikte Recyclingvorgaben, doch zu selten würden die recycelten Materialien wieder in Form neuer, hochwertiger Produkte auf den Markt gebracht. So machte Arjen Wittekoek – Geschäftsführer des niederländischen Recyclingunternehmens Coolrec – deutlich, dass mehr Produktinformationen der Hersteller unabdingbar für die Recyclingbranche sind, die herrschende Informationsarmut die Arbeit erheblich erschwert und gar die Sicherheit gefährdet. Die Produzenten nahm auch Kyle Wiens, Geschäftsführer der Onlineplattform “iFixit“ (ich reparier’s) aus den USA, in die Pflicht. Denn statt zu schrauben, kleben sie viele Bauteile in den Elektronikgeräten zusammen. Das mache es schwierig, sie auseinanderzunehmen und zu reparieren, so Wiens. iFixit stellt sich dennoch der Herausforderung. Die Onlineplattform bietet viele tausend kostenlose Reparaturanleitungen für elektronische Geräte vom Toaster über das Smartphone bis hin zum Auto.

Komplexer rechtlicher Rahmen

Mit Blick auf die neuen Herausforderungen beklagen viele Experten aber auch einen Personalmangel: Für eine vollendete Kreislaufwirtschaft gebe es zu wenig Designer oder Marketing Manager, die das Produkt wieder für den Konsumenten attraktiv machen. Als weitere Herausforderung wurden schwankende Schwellenwerte und zunehmende Verbote von Substanzen im Rahmen von EU-Vorgaben wahrgenommen. Nicht zuletzt aufgrund der komplexen Vorgaben wachse der illegale Export wertvoller Materialien aus Europa.

Um eine Kreislaufwirtschaft in der Elektroindustriebranche zu fördern, fordern Vertreter der Elektro-Industrie daher klare Regeln für den Einkauf und grenzüberschreitenden Handel mit verschiedenen recycelten Rohstoffen sowie eine Unterstützung für mehr recycelte Materialien in neuen Produkten. Des weiteren wurde ein regelmäßiger Austausch zwischen der Recycling-Industrie und der Politik hinsichtlich neuer Gesetzgebungen in der Branche angeregt. In vier Jahren soll die nächste „Electronics goes green“-Konferenz stattfinden.

lg