Algen als Innovationstreiber für die Textilwirtschaft
Bioökonomie im Gespräch: Im Rahmen der Ausstellung NaturFutur im Berliner Naturkundemuseum diskutierten Textilforschende, Designerinnen und Biotechnologen über nachhaltige Mode aus Algen.
Ob im Labor, im Designstudio oder im Textilunternehmen – immer mehr Akteure der Textilbranche setzen auf nachhaltige Materialien und biobasierte Ressourcen. Eine vielseitige und vielversprechende Quelle für solche Materialien sind Algen. Sie sind aufgrund ihrer großen Palette an Inhaltsstoffen nicht nur für die Lebensmittel-, Kosmetik- oder Pharmaindustrie interessant. Algen können auch zum Färben und als Rohstofflieferant für die Herstellung von Biopolymeren genutzt werden. Warum Algen zu wichtigen Impulsgebern für Innovationen in der Textilbranche geworden sind, davon konnten sich die Teilnehmenden des BürgerWissenschaftsDialogs zum Thema „Mode aus Algen“ ein Bild machen. Am 11. November fand ein Workshop und eine Diskussionsrunde im Rahmen der Ausstellung NaturFutur statt. Für die Reihe „Bioökonomie im Gespräch“ hatten das Informationsportal bioökonomie.de und der vom Bundesforschungsministerium geförderte Innovationsraum BIOTEXFUTURE ins Museum für Naturkunde Berlin geladen, um über das Potenzial von Algen als nachhaltiger Rohstoff für Mode zu diskutieren. Moderiert wurde die Diskussion von Sandra Wirsching von bioökonomie.de.
Jede Alge hat besondere Fähigkeiten
Der Biologe Johannes Kopton ist besonders von der Vielfalt und der Vielseitigkeit von Algen fasziniert. „Algen betreiben Photosynthese, alles, was sie zum Wachsen brauchen, ist Wasser, Licht, CO2 und Nährsalze“, sagte er. Algen könnten daher überall wachsen – auch im Nudelglas auf dem heimischen Fenstersims, wie Kopton in seinen Do-it-Yourself-Videos erklärt. „Algen brauchen keine Landflächen und auch weniger Wasser als Pflanzen auf dem Acker", so Kopton, der sich im Verein Ökoprogressive Agrarwende (ÖkoProg) engagiert. Nicht alle Algen seien auch Pflanzen. „Die Mikroalge Spirulina, mit der ich gerne arbeite, gehört zum Beispiel zu den Cyanobakterien.“ Mittlerweile richte sich das Augenmerk der Forschung und der Industrie auf die zahlreichen Inhaltsstoffe, die Algen als grüne Biofabriken herstellen können. „Es gibt sehr viele Algenarten und jede hat besondere Fähigkeiten. Oft sind es jedoch Algen, die unter extremen Bedingungen vorkommen, die sich für die technische Nutzung anbieten – auch aus Sicht der Nachhaltigkeit“, so Kopton.
Damit Produkte wie Textilien aus Algen entstehen, seien jedoch entsprechende biotechnologische Prozesse nötig. Und diese müssten nicht nur nachhaltig, sondern auch wirtschaftlich sein. „Bis dahin ist es aber noch ein Stück Weg“, so Kopton. Der Forscher vom Max-Planck-Institut für Kybernetik komplexer technischer Systeme untersucht gegenwärtig in seiner Masterarbeit, wie umweltfreundlich und nachhaltig die Verarbeitungsketten von Mikroalgen sind.
Algenbasierte Textilfasern
Welche Herausforderungen mit dem Einsatz von Algen in der Textilindustrie verbunden sind, schilderte Marco Schmitt vom Koordinationsbüro des Innovationsraums BIOTEXFUTURE. Das BMBF-geförderte Konsortium mit insgesamt mehr als 60 Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft hat sich zum Ziel gesetzt, einen Strukturwandel in der Textilindustrie herbeizuführen. „Wir wollen Materialien entwickeln, die als biobasierte Textilien auch funktionieren“, sagte Schmitt, Soziologe an der RWTH Aachen. „Das ist nicht trivial. Dafür müssen wir in die Wertschöpfungsketten reingehen, müssen schauen, ob wir das in den Industriemaßstab skalieren können und was wir dafür für Anlagen brauchen. Aber wir müssen auch an die Konsumenten rangehen und sie für die Materialien begeistern und erfragen, was sie gut finden und was nicht.“
Im Rahmen des BIOTEXFUTURE-Projektes Transitionlab werden daher gezielt die Wünsche der Verbraucher an Innovationen hinterfragt. „Diese Erkenntnisse fließen dann direkt in die anderen Projekte ein“, so Schmitt. Davon wird auch das Projekt Algaetex profitieren, das vom Fraunhofer-Institut IGB in Stuttgart und der Universität Bayreuth koordiniert wird. Hier wird untersucht, inwiefern Mikroalgen sowie die von ihnen produzierten Fettsäuren für die Erzeugung thermoplastischer Biopolymere für die Herstellung von Textilfasern geeignet sind. Dabei nehmen die Forschenden die gesamte Prozesskette in den Blick – von der Algenzucht über die Polymerentwicklung bis hin zur Faser und dem Endprodukt.
Algen-Farbpalette für den Textildruck
Auch bei Designern gehören Algen schon längst zum Repertoire, um neue Textilien zu kreieren. „Mikroalgen sind ein faszinierender Rohstoff“, sagte Essi Glomb vom Designstudio Blond & Bieber. Seit 2013 nutzt die Berliner Textildesignerin mit ihrer Partnerin Rasa Weber die Farbvielfalt der Algenpigmente für den Textildruck. „Das Faszinierende daran ist: Algen sind nicht nur grün, sondern auch rot. Je nach Algenspezies kann man sich eine Farbpalette aufbauen." Im Vergleich zu chemischen Farben mit langer Haltbarkeit würden die natürlichen Pigmente ihren Farbton mit der Zeit verändern, so Glomb. „Die grünen Pigmente der Spirulina-Alge werden beispielsweise nach dem Druck blau. Andere tendieren eher zu einem braun-grün.“
Essi Glomb ist auch als künstlerische Mitarbeiterin an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee tätig. „Der experimentelle Umgang mit Algen und anderen biobasierten Materialien ist bei den angehenden Desigern derzeit ein großes Thema“, sagte sie. „Ich halte sehr viel von dem Konzept Design-driven Innovation. Dafür braucht man interdisziplinäre Teams und viel Erfahrungsaustausch.“
Von der Farbvielfalt der Mikroalgen und wie sich diese Farben auf Textilien „verselbstständigen“, konnten sich auch die Teilnehmenden des Workshops „Drucken mit Algen“ überzeugen, der im Vorfeld der Diskussionsveranstaltung im Berliner Naturkundemuseum stattfand. Unter Anleitung der beiden Designerinnen wurden hier im Siebdruck-Verfahren Textilien, darunter T-Shirts und Leinen-Rucksäcke, mit gelben, roten, grünen und blauen Farbpigmenten aus Algen verziert. Pigmentgeber für den grünen und blauen Farbton waren hier unter anderen Pigmente der Spirulina- und Chlorella-Alge. Der Algen-Workshop ist ein Weg, um Verbraucher für solche Textilinnovationen zu begeistern. „Farben selber anzumischen und sie zu riechen, das ist nicht nur eine sinnliche Erfahrung. Auf diese Weise bekommen die Konsumentinnen und Konsumenten ein besseren Zugang zu den Besonderheiten dieser innovativen Materialien.“
Verbrauchern biobasierte Textil-Innovationen näherbringen
Claudia Albert hat mit „Green Fashion Fair” eine Veranstaltung ins Leben gerufen, die nachhaltigen Design-Labels, darunter auch Newcomern, bei großen Events wie der Berlin Fashion Week eine Plattform bietet, um mit Konsumentinnen und Konsumenten ins Gespräch zu kommen. „Berlin ist die Modehauptstadt Deutschlands. Und wir wollen Berlin auch zur nachhaltigen Modehauptstadt machen. Deshalb wollen wir das Event weiter nutzen, um die Berlin Fashion Week für diesen Bereich zu öffnen“, erklärt Claudia Albert. Mit Green Fashion Fair will Albert den Blick der Öffentlichkeit von der Fast-Fashion-Mode hin nachhaltigen und fair produzierten Textilien lenken.
Eine Live-Umfrage zum Thema „Mode aus Algen" anlässlich der Diskussionsveranstaltung verdeutlichte, welche Erwartungen Verbraucher und Verbraucherinnen an nachhaltige Textilien haben. 74% der Teilnehmenden verbinden damit eine höhere Langlebigkeit, 61% Recycelbarkeit und 45%, dass die Textilien kompostierbar sind. Mehr als die Häfte der Teilnehmer würden auch mehr Geld für nachhaltige Textilien zahlen.
Rinderblinddärme bionisch nachbauen
Auch ungewöhnliche Bioressourcen dienen zunehmend als Basis für neue Textilien. Unkonventionell ist etwa der Rohstoff, den das im Rahmen von BIOTEXFUTURE geförderte Projekt GOLD adressiert. Hier dreht sich alles um die Goldschlägerhaut – den Blinddarm von Rindern – und wie sich dieses Material technisch nachbauen lässt. Die Goldschlägerhaut wurde bereits vor einhundert Jahren industriell genutzt, wie Claudio Flores von der Mimetype Technologies GmbH erläuterte. „Dieses Material war so reißfest und hatte Eigenschaften, die sonst nur synthetische Polymere aufwiesen. Es wurde damals als nichtgasdurchlässiges Textil zur Herstellung von Netzen für Zeppeline von der deutschen Marine genutzt.“ Die Elastizität der Goldschlägerhaut dient den Forschenden im Projekt GOLD nun als Vorlage für neue Textilien, – ohne jedoch Tiere dafür einsetzen zu müssen. Dafür will das Team um Flores die molekularbiologischen Details des Rinderblinddarms entschüsseln und dieses Wissen auf die Herstellung von elastischen Materialien anwenden.
bb/pg