Ob als Treibstoff, Schmierstoff oder Nahrungsmittel: Fette und fette Öle werden industriell vielfältig genutzt. Diese Rohstoffe werden in der Regel aus dem Fettgewebe von Tieren, aus Ölpflanzen oder Ölsaaten durch Pressung oder Extraktion gewonnen. Doch sowohl der Anbau von Ölpflanzen wie Raps zur Treibstoffproduktion als auch das Schlachten von Tieren zur industriellen Nutzung der Fette ist umstritten und wenig nachhaltig. Ein Team um Jörg Nickelsen von der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) hat daher gemeinsam mit Partnern nach Alternativen geforscht. Mit Algen und Cyanobakterien wählten sie zwei Organismen, die von Natur große Mengen an Fettsäuren produzieren.
Fettsäuren kostengünstig produzieren
Im Rahmen des Verbundprojektes „Fettsäuren sekretierende Algen/Cyanobakterien – FSAP“ wollte das Team diese beiden Mikroorganismen nun in die Lage versetzen, bestimmte, für die industrielle Anwendung wichtige Fettsäuren in die Umwelt abzugeben. „Unser Ziel war es, ein System zu schaffen, dass es erlauben würde, kostengünstig Fettsäuren in einem biotechnologischen Prozess zu produzieren“, erklärt Nickelsen. Die Arbeit der Münchner Forschungsteams wurde vom Bundesforschungsministerium über den Ideenwettwerb „Neue Produkte für die Bioökonomie“ im Zeitraum von April 2018 bis September 2020 mit 234.000 Euro gefördert. Daran beteiligt waren neben der LMU, die Universität Bielefeld und der Schmierstoffhersteller Klüber Lubrication in München.
Pflanzen wie Raps produzieren zwar auch Fettsäuren, doch deutlich weniger als Algen. Die Mikroorganismen wachsen zudem in einem aquatischen System, beanspruchen daher keine Landflächen und sind somit keine Konkurrenz für die Nahrungsmittelproduktion. Aber nicht nur das: „Algen und Cyanobakterien sind auch genetisch gut zugänglich und als Mikroorganismen gerade im industriellen Bereich gut einsetzbar“, erklärt Nickelsen.
Sekretierungssystem für Grün-und Kieselalgen
Die Herausforderung war, die beiden unterschiedlichen Mikroorganismen dazu zu bringen, bestimmte Fettsäuren nicht nur zu produzieren, sondern auch an die Umwelt abzugeben – also in ein Medium auszuschwitzen. Dafür sollte ein sogenanntes Sekretierungssystem etabliert werden. Hier kam dem Forschungsteam ein Fettsäure-Transporter zur Hilfe, den Münchner LMU-Kollegen erst kürzlich in der Modellpflanze Arabidopsis identifiziert hatten. „Dieser Transporter ist dafür designt, im natürlichen System, im Inneren der pflanzlichen Zelle, Fettsäuren aus den Chloroplasten ins Cytoplasma zu exportieren. Daher wollten wir den Transporter gentechnologisch in die äußere Zellhülle einbauen, damit nun Fettsäuren ins Medium sekretiert werden.“
Die Produktion bestimmter Fettsäuren in Grün- und Kieselalgen anzukurbeln, war Aufgabe der Uni Bielefeld. Das Team um Nickelsen widmete sich hingegen den Cyanobakterien – konkret dem Modellorganismus Synechocystis PCC6803. In einem ersten Schritt musste dem Bakterium jedoch beigebracht werden, keine Fettsäuren mehr aufzunehmen, da Zellen von Natur aus Fettsäuren lieben. Dafür wurde ein bestimmtes Gen, das für die Aufnahme von Fettsäuren in die Zelle verantwortlich ist, zunächst inaktiviert. „Dadurch wird verhindert, dass die Zellen, wenn sie die Fettsäuren ausschwitzen, diese gleich wieder aufnehmen“, erläutert Nickelsen. „Erst danach konnten wir das Transgen – und damit den Exporter in die Zellen des Cyanobakteriums einbauen.“
Exporter-Gen bringt Mikroorganismen zum Schwitzen
Mithilfe der Massenspektrometrie konnte das Team sehen, ob das neue Sekretionssystem funktioniert, sowie das Fettsäurespektrum in den Zellen analysieren. Das Ergebnis: „Die Inaktivierung und der Einbau des Exporter-Gens führte zu einer signifikanten um den Faktor Zehn erhöhten Abgabe von Fettsäuren in das Medium – insbesondere von langkettigen mehrfach ungesättigten 18-3- und 18-4-Fettsäuren“, berichtet Nickelsen. Dabei handelt es sich um Omega-3-Fettsäuren, die für die Lebensmittelproduktion bedeutend sind.
Für das Münchner Team war das ein Beleg, dass sein Sekretionssystem tatsächlich funktioniert – wenn auch nur für bestimmte Fettsäuren. Denn ursprünglich sollten im Projekt spezielle Fettsäuren für die Schmierstoffproduktion entwickelt werden. „Hier zeigte sich aber, dass die Cyanobakterien nicht in der Lage sind, diese zu produzieren. Deshalb haben wir im Projekt das System mit den nahrungsrelevanten Fettsäuren weiterverfolgt“. Was bei den Cyanobakterien gelang, funktionierte jedoch bei den Algen nicht. Nickelsen zufolge wurden Enzyme, die in die Mikroalgen eingebracht wurden, einfach abgebaut.
Cyanobakterien sekretierten Omega-3-Fettsäuren
Der Schwenk auf die von Cyanobakterien sekretierten nahrungsrelevanten Omega-3-Fettsäuren 18-3 und 18-4 hat sich jedenfalls gelohnt. Tests mit Wasserflöhen, die mit diesen Mikroorganismen zusammengebracht wurden, ergaben, dass sich die Tierchen „auf einmal immer besser fühlten“, wie Nickelsen berichtet. „Die Wasserflöhe lebten anderthalbmal so lange wie ihre Kollegen, die nicht mit den Cyanobakterien zusammen kultiviert wurden. Das bedeutet, dass wir mit unseren Cyanobakterien die Nahrungskette im aquatischen System positiv beeinflussen können. Was wir noch nicht wissen ist, ob es dem Räuber, der den Wasserfloh frisst, in der Folge auch besser geht. Das werden wir weiter mit den Kollegen aus der Aquatischen Ökologie der LMU untersuchen.“
Beitrag für nachhaltige Fischzucht
Für das Münchner Team geht die Forschungsarbeit an diesem Punkt nun weiter. Auch wenn noch viele Fragen offen sind: Der Ansatz ist vielversprechend. Gerade mit Blick auf die Fischzucht wäre der Einsatz von Cyanobakterien, die nahrungsrelevante Fettsäuren in die Umwelt abgeben, ein entscheidender Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit: der Fischnachwuchs würde vom Beifang verschont, der bisher zu Fischmehl verarbeitet wird, um Lachse, Forellen und Co. mit wertvollen Omega-3-Fettsäuren zu versorgen. „Mit unserem System“, sagt Nickelsen, „wäre sowas obsolet“.
Autorin: Beatrix Boldt