Die gesundheitsfördernden Wirkungen von Beereninhaltsstoffen aus der Gruppe der Flavonoide sind durch zahlreiche wissenschaftliche Studien belegt. Dagegen sind die Wirkmechanismen dieser Stoffgruppe weitgehend unbekannt. Wie die Pflanzenstoffe im menschlichen Organismus verstoffwechselt werden, welche Rolle dabei die Darmmikrobiota spielt und wo genau die einzelnen Substanzen ihre Wirkung entfalten, untersucht ein Forschungsverbund aus akademischen Arbeitsgruppen und Industriepartnern mit Unterstützung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Im Fokus steht eine bislang wenig erforschte Klasse der Flavonoide, die Procyanidine.
„Procyanidine – Vom besseren Verständnis der Wirkung zur Entwicklung funktioneller Lebensmittel" heißt das vom BMBF geförderte Forschungsvorhaben unter Leitung von Sabine Kulling, die am Max-Rubner-Institut (MRI), Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel in Karlsruhe arbeitet. Der Name ist Programm: Das Projekt reicht von grundlagenorientierten bis zu anwendungsbezogenen Fragestellungen. Entsprechend unterschiedlich sind die Expertisen der Projektpartner. Peter Winterhalter, Leiter des Instituts für Lebensmittelchemie der TU Braunschweig, entwickelte Methoden, um die Naturstoffe zu charakterisieren, in Reinform zu isolieren und in ausreichender Menge bereitzustellen.
Darmbakterien als Procyanidwandler
Am Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam-Rehbrücke untersucht die Mikrobiologin Annett Braune, wie ernährungsphysiologisch wichtige Procyanidine von Darmbakterien ab- und umgebaut werden. Sabine Kulling betrachtet den Metabolismus sowie die Bioverfügbarkeit einzelner Komponenten im menschlichen Organismus und untersucht deren Wirkung auf Darmkrebszellen. Esther Mayer-Miebach und Diana Behsnilian prüfen – ebenfalls am Max Rubner-Institut in Karlsruhe –, ob und wie unterschiedliche Verarbeitungstechniken den Gehalt an Procyanidinen in Lebensmitteln beeinflussen. Als Rohstoffe dienen Traubenkernextrakt und Aroniabeeren, die von zwei Industriepartnern bereitgestellt werden. Die Kelterei Walther GmbH in Arnsdorf bei Dresden, liefert die Aronia-Beeren, den daraus gewonnenen Direktsaft sowie den werthaltigen Pressrückstand (Trester); die Breko GmbH in Bremen stellt den Traubenkernextrakt.
Dass anthocyanhaltige Früchte gesundheitsfördernde Eigenschaften haben, wird seit Langem vermutet „Welche Substanzen im Einzelnen die beobachteten Effekte verursachen, ist noch unklar", sagt Sabine Kulling, „denn dazu muss man reine Verbindungen testen – und die lassen sich oft nur mit großem Aufwand in ausreichenden Mengen gewinnen." In den Beeren kommen die Procyanidine als ein komplexes Gemisch vor: Neben den beiden Einzelbausteinen – den Monomeren Catechin und Epicatechin – gibt es Oligomere aus zwei bis zehn und Polymere aus noch mehr dieser monomeren Bausteine, die zudem unterschiedlich verknüpft sein können. Peter Winterhalter ist es nun zusammen mit seinem Team gelungen, ein breites Spektrum an Procyanidinen aus Aronia- und Traubenkernextrakt zu isolieren. Durch diese Pionierarbeit konnten sie den Verbundpartnern die sechs bedeutendsten Dimere, ein Trimer sowie je eine Fraktion aus oligo- und polymeren Procyanidinen in ausreichender Menge und mit hohem Reinheitsgrad zur Verfügung stellen.