Lettland

Lettland

Lettland ist mit rund zwei Millionen Einwohnern ein eher dünn besiedeltes Land in der Mitte des Baltikums. Die größte bioökonomische Bedeutung haben Land- und Forstwirtschaft. Im Jahr 2017 wurde die Lettische Bioökonomiestrategie beschlossen.

Wälder und fruchtbare Böden bieten in Lettland ein weit größeres Potenzial als bislang wirtschaftlich erschlossen ist. Bei der bioökonomischen Wertschöpfung prädestinieren die traditionellen und kleinteiligen Strukturen das Land eher für Spezial- als für Massenprodukte. Schon heute ist die Bioökonomie der größte und wichtigste Wirtschaftssektor Lettlands, gefolgt von Maschinenbau und Elektronik. Den Weg in eine noch stärkere Bioökonomie sollte die 2017 verabschiedete Bioökonomiestrategie weisen. Als „Data-driven Nation“ ist Lettland zudem Vorreiter bei der Digitalisierung.

Rechtliche und politische Grundlagen

Als Mitglied der Europäischen Union unterliegt Lettland den Vorgaben des European Green Deal, dessen Ziel es ist, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Die Regierung hat bereits 2017 die Lettische Bioökonomiestrategie 2030 (LIBRA) verabschiedet, in der das Hauptaugenmerk auf der Entwicklung der ländlichen Regionen liegt. Die darin festgelegten Ziele sollen die Wettbewerbsfähigkeit des Landes erhöhen, Arbeitsplätze schaffen und zur Lösung ökologischer Probleme beitragen. 

Die Bioökonomiestrategie hat fünf Aktionsfelder:

  • attraktive Rahmenbedingungen für Unternehmer im Bereich Bioökonomie,
  • effizientes und nachhaltiges Ressourcenmanagement,
  • Förderung der bioökonomischen Produktion,
  • sozial verantwortliche und nachhaltige Entwicklung
  • sowie übergeordnet der Aufbau von Wissen und Innovationen im Bereich Bioökonomie.


Hervorzuheben ist im Bereich Wissen der Plan, ein europäisches Exzellenzcenter für Bioökonomieforschung aufzubauen. Ein weiteres Ziel der Strategie ist es, Bioökonomie vom ländlichen Raum auf die Städte auszuweiten.

Konkrete Maßnahmen umfassen beispielsweise eine verlässliche Steuerpolitik für den Sektor, die Entwicklung neuer Handelsoptionen für kleinere Produzenten im Agrifood-Sektor, Investitionen in nachhaltiges Forstmanagement sowie die Bevorzugung von Produkten aus erneuerbaren Ressourcen bei öffentlichen Beschaffungen. Biomasse soll in Kaskaden genutzt werden und am Ende der Energiegewinnung dienen, außerdem sollen die Treibhausgasemissionen der Energiebranche sinken.

Die Bioökonomiestrategie definiert auch quantitative Ziele. So sollen bis 2030 mindestens 128.000 Menschen in bioökonomischen Sektoren beschäftigt sein – und damit ähnlich viele wie in den vergangenen Jahren. Denn durch den Strukturwandel in der Landwirtschaft und effizientere Produktionsprozesse ist die Zahl der Beschäftigten in der Bioökonomie in Lettland seit 2002 stark rückläufig, ein Trend, den die Regierung stoppen möchte. Die Wertschöpfung durch Bioökonomieprodukte soll bis zum Jahr 2030 mindestens 3,8 Mrd. Euro jährlich betragen (von 2,4 Mrd. Euro im Jahr 2016) und die Exporte sollen einen Wert von mindestens 9 Mrd. Euro aufweisen – mehr als eine Verdoppelung gegenüber 2016 (4,26 Mrd. Euro). 

Im Jahr 2018 trat Lettland außerdem der BIOEAST-Initiative bei, in der Länder in Zentral- und Osteuropa gemeinsam daran arbeiten, eine wissensbasierte Bioökonomie zu entwickeln. Zentrales Ziel der Initiative ist eine zirkuläre Nutzung der Biomasse, um Abfälle zu vermeiden und neue biobasierte Wertschöpfungsketten zu generieren. Nicht zuletzt soll der ländliche Raum Lebenswert erhalten und ihm Resilienz gegen die Folgen des Klimawandels verliehen werden.

Unternehmenslandschaft

Land- und Forstwirtschaft sowie Fischerei

Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung Lettlands stieg in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Zurückzuführen ist dies vor allem auf die Holzindustrie. Den Großteil ihrer Produktion setzt die Holzwirtschaft im Ausland ab und profitiert dabei von einer steigenden weltweiten Nachfrage nach Holzprodukten. In keinem anderen EU-Land hat die Holzindustrie einen so großen Anteil an der Bruttowertschöpfung wie in Lettland.

Weltweit ist der baltische Staat drittgrößter Exporteur von Holzpellets und neuntgrößter Exporteur von Weichholzsägematerial. Aber auch im Inland spielt Holz eine große Rolle in der Wärmeerzeugung. Viele Sektoren konkurrieren in Lettland um den Rohstoff, der jedoch nicht knapp ist: Die Waldbestände umfassten 2021 681 Millionen Kubikmeter, von denen rund 13 Millionen Kubikmeter geerntet werden, und die Waldfläche nimmt weiter zu. Um die Nachhaltigkeit des Forstsektors zu gewährleisten, werden jährlich durchschnittlich 18.200 ha durch Aufforstung regeneriert. Große Akteure sind beispielsweise Latvijas Finieris, Stora Enso oder Latgran.  

Ein etwas anderes Bild zeichnet die Landwirtschaft: Ende 2019 gab es 75.800 landwirtschaftliche Betriebe in Lettland, 8 % weniger als im Jahr 2016, gleichzeitig nahm die durchschnittliche Größe von Betrieben zu. Im Jahr 2019 betrug sie 38,3 Hektar, das sind 30 % mehr als im Jahr 2010. Der Kontrast zwischen den großen und kleinen Gewerben ist groß. Viele sind Selbstversorger und bewirtschaften wenige Hektar mit sehr alter Technik, teilweise sogar in Handarbeit. Die nötigen Mittel für Modernisierungsmaßnahmen fehlen. Gleichzeitig gibt es sehr große Betriebe mit modernster Technik. Hauptanbauprodukte sind Weizen, Gerste, Hafer, Kartoffeln, Rüben, Raps und Gemüse.

Ähnlich ist die Situation in der Küstenfischerei, wo mehr als 90 % der Boote Familienbetrieben gehören, die zu großen Teilen für den lokalen und den eigenen Bedarf fischen.

Lebensmittelindustrie

Ein besonders hohes Wachstum weist der Export von ökologisch produzierten Lebensmitteln mit hohem Nährwert sowie von innovativen Lebensmittelzusätzen auf. Einer der größten Lebensmittelhersteller des Landes ist Food Union. Bei seinen Milchprodukten setzt das Unternehmen stark auf probiotische Bakterien. Daneben existieren rund ein Dutzend weiterer großer Unternehmen wie Cesvaines Piens, Latvijas Balzams oder Orkla Foods Latvija.

Viele kleinere Unternehmen drängen derzeit mit forschungsintensiven Nischenprodukten in den Markt, darunter besonders nährstoffreiche Müslis, Snacks auf Basis von Hülsenfrüchten, Bienenbrot, Birnenchips oder das Kräuter-Fruchtsaft-Mischgetränk des Start-ups Dabas Dots und der proteinreiche Erbsendrink von Nature Foods. In der Entwicklung befinden sich zudem Produkte auf Basis von essbaren Würmern und spezielle Fischmasseprodukte. Als Interessenvertretung der Branche agiert der Verband Latvijas Pārtikas uzņēmumu federācija.

Chemische Industrie

Die chemische Industrie hat in Lettland eine ähnliche Größe wie die Elektronikindustrie. Der größte Teil entfällt auf Spezial- und Bulkchemikalien, gefolgt von Gummi- und Kunststoffprodukten. Durch den hohen Anteil der Herstellung von Holzkohle und Tallöl hat Lettland in der EU den zweithöchsten Anteil biobasierter Rohstoffe in der chemischen Industrie. Internationales Interesse erregte das Start-up PolyLabs, ein Unternehmen, das in enger Partnerschaft mit dem Institute of Wood Chemistry of Latvia gegründet wurde. Polylabs produziert Bio-Polyole aus nachwachsenden Rohstoffen wie Raps oder Tallöl und gewann bereits mehrere Innovations- und Start-up-Preise.

Die Pharmabranche ist der drittgrößte Teilbereich der chemischen Industrie in Lettland. Sie gilt als der wichtigste, weil am stärksten wachsende Sektor der chemischen Industrie. 33 Unternehmen beschäftigen sich mit der Herstellung pharmazeutischer Produkte und erzielten 2019 einen Umsatz von etwas mehr als 184 Mio. Euro. Der Großteil des Umsatzes entfällt auf die beiden börsennotierten Arzneimittelhersteller Grindeks und Olainfarm, die zusammen 95 % der Erwerbstätigen der Branche beschäftigen. Die Branche konzentriert sich geografisch zwischen Riga und Olaine und entwickelt mit Ausnahme von Grindeks vor allem Generika. Die chemische und pharmazeutische Industrie ist im Verband Latvijas Ķīmijas un farmācijas uzņēmēju asociācija organisiert. 

Biotechnologie

Die Biotechnologie hat in Lettland eine lange Tradition, musste aber im Zuge der wirtschaftlichen Umbrüche nach der Trennung von der Sowjetunion starke Einbrüche hinnehmen. Heute gibt es etwa zwanzig Unternehmen, die in der Biotechnologie aktiv sind. In der medizinischen Biotechnologie sind das beispielsweise Anima Lab, Asla-Biotech, Pharmidea, Biolat und GenEra. Zum Bereich Umweltbiotechnologie zählen Bioefekts, BAO und Eko Baltia, die mikrobielle Boden- und Wassersanierungen sowie Abfallbehandlung betreiben. Jaunpagasts Plus produziert fermentativ Bioethanol und alkoholische Getränke, Latvijas Balzams erzeugt in Bioreaktoren Hefe-Biomasse und alkoholische Getränke. 

Das in Estland ansässige Unternehmen Fibenol startete im August 2024 Machbarkeits- und Umweltverträglichkeits-studien zum Bau einer Bioraffinerie im lettischen Industriepark Valmiera. Bei erfolgreicher Machbarkeitsstudie könnte die Produktion ab 2030 aufgenommen werden.

Energiewirtschaft

Insgesamt deckten regenerative Energieträger in Lettland im Jahr 2021 42 % des nationalen Bedarfs, das sind 11 % mehr als noch 2015. Lettland hat den dritthöchsten Anteil erneuerbarer Energien am Endenergieverbrauch in der Europäischen Union. Es nähert sich dem Ziel, bis 2030 50 % der benötigten Energie aus erneuerbaren Quellen zu generieren. Im Stromsektor spielt die Bioökonomie bislang keine große Rolle: Über ein Drittel des erzeugten Stroms in Lettland stammt aus Wasserkraft, der Rest überwiegend aus zwei großen Gaskraftwerken. Bei der Wärmeerzeugung kommt neben den wichtigen Holzpellets landeseigener Torf zum Einsatz, darüber hinaus vor allem importierte fossile Brennstoffe. Viele kleine Erzeuger produzieren rund 60 MW Energie aus Biogas.

Erhebliches Potenzial wird vor allem in der Windenergieerzeugung sowie in der Solarenergie gesehen, 2022 war ein Rekordjahr dieser Branchen. Laut dem Fachverband Biogas Lettland gibt es aber auch für Bioenergieanlagen noch Potenzial, insbesondere im Bereich der Nutzung von Biomethan-Gas. Für einige der größten Biogasanlagen steht die Umstellung von der Strom- auf die Biomethanproduktion bevor. Ebenso wird über den Bau kleiner Biogasanlagen diskutiert.

Unternehmen wie Latvenergo sind führend in der Nutzung erneuerbarer Energien, insbesondere von Wasserkraft und Biomasse, und setzen verstärkt auf innovative Technologien zur Reduktion der CO₂-Emissionen. Die lettische Regierung fördert diese Entwicklungen durch verschiedene Programme wie den EU-Fonds für ländliche Entwicklung, der Investitionen in nachhaltige Energieprojekte unterstützt. Zudem existieren enge Kooperationen zwischen der Industrie und Forschungseinrichtungen, beispielsweise mit der Technischen Universität Riga, um die Effizienz der Energieerzeugung zu steigern und neue umweltfreundliche Technologien zu entwickeln. Diese Initiativen stärken die inländische Wirtschaft und die Klimaziele des Landes.  

Informationstechnik

Als „Data-driven Nation“ ist Lettland in der Ostseeregion Vorreiter in Sachen Digitalisierung – sowohl in technischer Infrastruktur mit flächendeckender Internetversorgung als auch in der öffentlichen Verwaltung. Das schafft ideale Grundlagen für die Digitalisierung der Landwirtschaft.

Die Informationstechnik in Lettland hat sich zu einem dynamischen Sektor entwickelt, der eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung der Bioökonomiestrategie spielt. Lettland investiert in digitale Technologien, um Effizienz und Nachhaltigkeit in verschiedenen Industrien zu fördern, einschließlich Landwirtschaft, Lebensmittelverarbeitung und Energie. Unternehmen wie Accenture Latvia und Telesoftas entwickeln Softwarelösungen und digitale Plattformen, die Datenanalysen und die Optimierung von Produktionsprozessen ermöglichen. Die lettische Regierung unterstützt diesen Sektor durch Initiativen wie den Digitalisierungsfonds, der darauf abzielt, die digitale Transformation in der Wirtschaft voranzutreiben. Zudem kooperieren IT-Unternehmen eng mit Forschungseinrichtungen, darunter die Riga Technical University, um neue Technologien zu entwickeln, die den ökologischen Fußabdruck von Unternehmen mindern können. 

Forschungslandschaft

Forschung gilt in Lettland als chronisch unterfinanziert, da dieser Bereich beim Übergang zur Marktwirtschaft stark eingebrochen ist. Entsprechend große Bedeutung haben EU-Fördermittel. Die lettische Innovationsleistung ist, gemessen an Patenten und Forschungsausgaben, daher im internationalen Vergleich gering. In der Biotechnologie dominiert die medizinische Biotechnologie, wenngleich die Umweltbiotechnologie seit dem EU-Beitritt ihre Bedeutung ausbaut. Kritisch bewertet die lettische Bevölkerung den Einsatz von Gentechnik in der Landwirtschaft, weshalb entsprechende Forschung praktisch nicht stattfindet. Es gibt aber auch Positivbeispiele: Auf der Grundlage langjähriger Forschungsarbeiten an der TU Riga hat die Ausgründung Conelum eine Technologie entwickelt, die Schimmelpilze in Lebensmitteln vollautomatisch und vor Ort in nur zwei Stunden nachweisen kann.

Forschung zur Bioökonomie gewinnt in Lettland immer mehr an Bedeutung. Die Regierung sieht sie als Treiber für eine nachhaltige Transformation, investiert gezielt in die Ausbildung neuer Fachkräfte und initiiert entsprechende Programme. Die Universitäten und Forschungsinstitute des Landes sind eng mit europäischen Netzwerken verbunden und arbeiten aktiv mit Partnern aus den baltischen Staaten sowie anderen europäischen Ländern zusammen, um Fördermittel für innovative Projekte zu akquirieren. Dabei konzentrieren sich die Forschungsaktivitäten auf spezifische Themen der Bioökonomie wie zum Beispiel nachhaltige Landwirtschaft, erneuerbare Energien und Biotechnologie. Der Lettische Forschungsrat spielt eine zentrale Rolle, indem er die Forschungsinitiativen koordiniert, thematische Schwerpunkte setzt und finanzielle Unterstützung für Bioökonomieprojekte bereitstellt.  

Universitäre Forschung

An den wenigen Hochschulen des Landes finden sich immer auch Fachbereiche, die sich mit Themen der Bioökonomie befassen. So betreibt die Universität von Lettland ein Institut für Mikrobiologie und Biotechnologie. An der Lettischen Universität für Lebenswissenschaften und Technologie (LBTU) erforschen Wissenschaftler die Lebensmittelbiotechnologie, die Systembiotechnologie und die Biogasherstellung. Die Wald-Fakultät entwickelt Methoden, die ökologische und ökonomische Kriterien der Waldbewirtschaftung zusammenführen. Das Institute of Agricultural Resources and Economics der LBTU ist das einzige Forschungsinstitut in Lettland, das sich mit der Züchtung von Feldfrüchten befasst. Die Forschenden sind auf Züchtung, Ackerbau und interdisziplinäre Studien im Bereich der Wirtschaftswissenschaften spezialisiert. Die Technische Universität Riga beschäftigt sich unter anderem mit nachhaltigen Technologien, Umweltbiotechnologie und Biomaterialien sowie Pharmaforschung und Biomedizin. An der Universität Dünaburg untersucht das Institut für Lebenswissenschaften und Technologie auch Fragen der Biodiversität. Umwelttechnologien und das Management erneuerbarer Ressourcen sind Themen der Universität Liebau.

Außeruniversitäre Forschung

Außeruniversitäre Forschung findet in Lettland an mehreren Instituten statt. Das Staatliche Waldforschungsinstitut Silava befasst sich mit dem gesamten Spektrum Wald – von der Genetik bis zur Forstökonomik. Die abfallfreie, umweltfreundliche Nutzung hölzerner Biomasse für wettbewerbsfähige Materialien und Produkte wird am Staatliche Institut für Holzchemie erforscht. Das Forschungs- und Entwicklungsinstitut für Wald und Holzprodukte konzentriert sich auf Materialforschung und Produkttests sowie die Ausbildung im Forstsektor.

Die Landwirtschaft mit Schwerpunkt auf der Züchtungsforschung bestimmt die Arbeit des Instituts für landwirtschaftliche Ressourcen und Ökonomik. Speziell die modernen Methoden das Pflanzenschutzes erforscht das lettische Pflanzenschutz-Forschungszentrum. Das Lettische Institut für Gewässerökologie ist unter anderem an Projekten beteiligt, die darauf zielen, die Blue Economy voranzutreiben. Außerdem gibt es ein Lettisches Fischereiforschungsinstitut, dessen Name dort Programm ist.

Stand: Dezember 2024

Autor: Björn Lohmann, Simone Ding