Berlin: Dialog zum Genome Editing gestartet
Neue molekularbiologische Werkzeuge bergen großes Potenzial für die Landwirtschaft. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat in Berlin nun einen Dialogprozess gestartet.
Spätestens seit dem rasanten Siegeszug der Genomschere CRISPR-Cas sind die neuen molekularbiologischen Techniken in aller Munde. Im Fokus der Diskussion steht das Genome Editing, der Oberbegriff für Verfahren, mit denen sich gezielt einzelne DNA-Bausteine im Erbgut von Zellen bearbeiten oder aber ganze Abschnitte nach Plan einfügen lassen. Per Genome Editing lassen sich gezielt genetische Veränderungen in Organismen herbeiführen.
Gerade für die Züchtung neuer Pflanzensorten oder Tierrassen mit interessanten Eigenschaften bergen die neuen Techniken großes Potenzial. Die Hoffnung: mit ihrem Einsatz ließe sich der sonst langwierige Züchtungsprozess enorm beschleunigen und es werden Kombinationen von Merkmalen möglich, von denen Züchter früher kaum zu träumen wagten. Die Forschung weltweit legt derzeit ein hohes Tempo vor, um die Genome-Editing-Verfahren weiterzuentwickeln. Doch wie sollte man die revolutionären Techniken in der Praxis einsetzen? Welche Chancen und Risiken sind mit dem Einsatz verbunden?
Genscheren auf der Agenda
Die großen deutschen Wissenschaftsakademien haben bereits mehrere Diskussionsveranstaltungen dem Thema gewidmet. Das Bundesforschungsministerium hat kürzlich eine eigene Förderinitiative zum Einsatz von Genome Editing für die Nutzpflanzenzüchtung ausgeschrieben. Nun hat das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) einen mehrteiligen Dialogprozess gestartet, um sich möglichst offen und transparent mit verschiedenen Akteuren und Interessenträgern über den Umgang mit dem Genome Editing auszutauschen.
Wegen der enormen Nachfrage wurde die Auftaktveranstaltung am 24. April in das Umweltforum Auferstehungskirche in Berlin verlegt. Mehr als 200 Interessierte waren zu der vom Erlanger Ethiker Peter Dabrock moderierten Tagung gekommen. Dabrock machte klar, im Sinne des verantwortungsvollen Umgangs mit den neuen molekularbiologischen Techniken gelte es, genau hinzusehen, angemessen zu urteilen und dann auch zu handeln. „Wir tragen Verantwortung für das was wir tun und das was wir unterlassen – deshalb ist jeder aufgerufen, sich aktiv am Diskurs zu beteiligen“.
Mehr als 200 Interessierte aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft hatte die Dialogveranstaltung in Berlin angelockt.
Unterschiede zur natürlichen Mutagenese
Im ersten Teil der Dialogveranstaltung wurden wissenschaftliche Aspekte der neuen molekularbiologischen Werkzeuge beleuchtet. Der Aachener Fraunhofer-Forscher Stefan Schillberg erläuterte, wie die verschiedenen neuen Pflanzenzüchtungstechniken funktionieren. Dazu zählt nicht nur das populäre CRISPR-Cas-System, sondern auch Systeme wie TALEN oder die oligonukleotid-gerichtete Mutagenese (OGM). Schillberg wies auf die unübersichtliche Patentsituation hin, die zwar nicht für Grundlagenforscher, aber für Unternehmen dereinst zum Problem werden könnte.
Nicolaus von Wirén vom IPK in Gatersleben stellte die neuen Werkzeuge in den Kontext von natürlichen Prozessen und der Geschichte der Pflanzenzüchtung. „Viele unserer Nutzpflanzen wie Weizen oder Raps sind das Ergebnis eines substanziellen Austauschs von genetischem Material – selbst über Artgrenzen hinweg“, sagte Wirén. Klar sei auch, dass das Erbgut von Pflanzen von Natur aus ständig im Fluss und von Veränderung geprägt sei. „Pflanzen haben mit den Transposons – springende Gen-Elemente — sogar ein eigenes Mutationsverfahren entwickelt, um Vielfalt zu erzeugen“, so Wirén. Artfremde Erbinformation von Bodenbakterien gelange in der Natur auch von außen ins Erbgut von Pflanzenzellen – wie vor einigen Jahren bei Süßkartoffeln beobachtet wurde.
„Herstellung biologisch gesehen bedeutungslos“
Ob Einzelmutationen im Erbgut einer Nutzpflanze durch natürliche Mutagenese oder gezielt im Labor herbeigeführt werden, ist für den Gaterslebener Züchtungsforscher aus biologischer und ökologischer Sicht bedeutungslos. „Die Art und Weise der Veränderung ist irrelevant. Wichtig ist vielmehr, wie sich die entstandene Pflanze im Anbau auf Ökologie und Landwirtschaft auswirkt.“ Für solche Überprüfungen sei schon heute das Bundessortenamt zuständig. Hier sollte man diskutieren, wie man die Aufgaben der Zulassungsbehörde an den Umgang mit genom-editierten Pflanzen anpassen kann, so Wirén.
Auf Nachfrage aus dem Publikum ging der Pflanzenforscher auch darauf ein, wie das CRISPR-Cas-System überhaupt in Pflanzenzellen eingeschleust wird, damit es dort funktionieren kann. Für den Transfer werden laut Wirén derzeit noch transgene Hilfstechniken genutzt, und mittels Zell- und Gewebekulturverfahren werden aus den erfolgreich gen-editierten Zellen komplette Pflanzen regeneriert. Durch anschließende Kreuzungsschritte werden sämtliche Komponenten des CRISPR-Cas-Systems entfernt. Die Genomscheren hinterlassen selbst keine Spuren bis auf die Änderung der Erbinformation.
Durch neue Zuchtmethoden zu mehr Tierwohl?
Angelika Schnieke ist Professorin für die Biotechnologie der Nutztiere an der Technischen Universität München. Sie stellten mögliche Anwendungen in der Zucht von Rindern, Schweinen und Hühnern vor. Das Genome Editing mittels CRISPR-Cas sei deutlich effizienter und schneller als bisherige Werkzeuge. „Wir können heute die Moleküle direkt in Embryonen injizieren, es sind keine transgenen Methoden nötig“, sagte Schnieke. Für die landwirtschaftliche Nutzung seien bereits hornlose Fleckvieh-Rinder gezüchtet worden. Beim Schwein zielten Genome-Editing-Ansätze darauf ab, Eber vom strengen Geruch zu befreien, ohne sie kastrieren zu müssen. Auch seien bereits Schweine gezüchtet worden, die gegen ein gefürchtetes Atemwegsvirus resistent sind.
Die Perspektiven der Interessengruppen
Der Nachmittag bot verschiedenen Akteuren und Interessensvertretern die Möglichkeit, ihre Position in kurzen Vorträgen zu markieren. Für Carl-Stephan Schäfer vom Bundesverband Deutscher Pflanzenzüchter stellen CRISPR-Cas & Co. eine Erweiterung des Werkzeugkastens der Pflanzenzüchter dar. „Wenn man dadurch Einzelmutationen erzeugt, unterscheiden sich die Pflanzen nicht gegenüber Pendants, die durch klassische Mutagenese entstanden sind. Dann sind sie auch nicht als gentechnisch veränderte Organismen einzustufen“. Peter Röhrig vom Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft betonte, der rechtliche Status genom-editierter Pflanzen müsse schnell abgesichert werden. „Wir brauchen die Akzeptanz der Verbraucher“, sagte er. Katja Börgermann vom Bauernverband machte sich für Innovationen in der Pflanzenzüchtung hierzulande stark – auch mittels Genome Editing. Sie forderte die Regulierungsbehörden auf, hierbei maßvoll zu handeln. Das Sortenschutzrecht habe Vorrang. Heike Moldenhauer von der Umweltorganisation BUND sieht im Genome Editing einen eindeutigen Eingriff ins Genom, der folglich auch gemäß dem Gentechnikgesetz reguliert werden müsse. Sie betonte, es müssten dafür die entsprechenden Nachweisverfahren entwickelt werden.
Wie solche Nachweismethoden aussehen können, war auch ein umstrittener Aspekt der Abschlussdiskussion in Berlin. Hier kristallisierten sich auch einige Themen heraus, die bei der nächsten Dialogveranstaltung auf die Agenda kommen sollen. Sie ist am 26. Juni - wiederum in der Hauptstadt - geplant.
pg