Industrie setzt auf Bioenergie der zweiten Generation
Trotz politischem Gegenwind setzt die Industrie nach wie vor auf Bioenergie. Dies zeigt eine aktuelle Biomasse-Konferenz in Hamburg.
Vom Hoffnungsträger der Bioökonomie zum Stiefkind – fast könnte man der Bioenergie ein tragisches Schicksal unterstellen. Doch während die deutsche und europäische Politik versucht, Bioethanol, Biodiesel und Biogas Einhalt zu gebieten, sind weltweit große Hoffnungen mit der energetischen Nutzung von Biomasse verbunden. Die europäische Industrie engagiert sich dem politischen Gegenwind zum Trotz. Dies zeigte die 22. European Biomass Conference am 23. Juni, zu der rund 900 Experten nach Hamburg kamen.
Für Paolo Frankl ist es keine Frage: Die Bioenergie spielt bei der Rettung des Weltklimas eine entscheidende Rolle. „Wenn wir den weltweiten temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzen wollen, benötigen wir einen biobasierten Anteil von 20% bei der weltweiten Nutzung von Biotreibstoffen“, so der Vertreter der Internationalen Energieagentur IEA. In Europa ist man sich da nicht so sicher. Gerade wurden die Beimischungsquoten in der EU gesenkt. Besonders die Produzenten von Biodiesel sind in der Krise. Der Grund: Zweifel an der Nachhaltigkeit, mögliche indirekte Landnutzungseffekte, die zu Umweltschäden anderswo führen sowie Sorgen bezüglich der Biodiversität.
Hohe Qualität der Biomasse-Nutzung in Europa
Und dennoch: „Die Qualität der Biomasse-Nutzung hat in Europa ein sehr hohes Niveau erreicht“, sagte Bernd Krautkremer vom Fraunhofer Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik (IWES) in Bad Hersfeld anlässlich der Eröffnung der "22. European Biomass Conference" am 23. Juni in Hamburg. Er konnte sich dabei der Zustimmung der 900 internationalen Teilnehmer sicher sein. „Die Konzepte sind mittlerweile so reif, dass sich auch die Industrie engagiert“, so Krautkremer weiter. Nicht von allen hätte man das gedacht, wie dem Traditionsunternehmen Viessmann GmbH aus Allendorf in Nordhessen beispielsweise. Das 1917 gegründete Familienunternehmen mit 11.000 Mitarbeitern und 2 Mrd. Euro Umsatz engagiert sich in der Bioenergie. Der Geschäftsführer Thomas Krause zeigte in Hamburg auf, wie die energetische Biomassenutzung sein Unternehmen verändert hat: "Wir verkaufen heute keine Produkte mehr, sondern Systeme." Dafür berät und betreut Viessmann unter anderem Bioenergiedörfer – regionale Zusammenschlüsse von Haushalten, die ihren Strom- und Wärmebedarf vor allem mit Biomasse decken. Rund 100 Bioenergiedörfer gibt es bereits in Deutschland, 14 befinden sich in der Entwicklung. Viele bedienen sich der Viessmannschen Technologie. Und die Firma ist nicht die Einzige. Deutsche Unternehmen gelten als Technologieführer.
Im Fokus: bessere Speicherfähigkeit
Auch der schwedische Energieversorger Vattenfall setzt auf Bioenergie – allerdings mit Augenmaß. "Ein weiterer Ausbau der Biostromerzeugung ist nicht wahrscheinlich, es geht jetzt um andere Dinge“, so Jan Grundmann, Leiter von Vattenfall Europe New Energy. Derzeit seien Kapazitäten mit einer Leistung von rund 1,5 Terawatt in Deutschland installiert. Die Bundesregierung deckelt den Ausbau. Daher gehe es jetzt darum, die Stärken der Biomasse zu nutzen: vor allem ihre Speicherfähigkeit. Damit können Leistungsschwankungen ausgeglichen werden, die durch die schwankende Wind- und Sonnenenergie entstehen. Daher werden derzeit bestehende Biostrom-Anlagen so verbessert, dass sie flexibel und möglichst schnell angefahren können, wenn Wind und Sonne schwächeln. "Die Anlagen müssen innerhalb kürzester Zeit anspringen", so Grundmann. Dabei gehe es um Sekunden.
Anlagen der zweiten Generation im Vormarsch
Auch außerhalb Deutschlands wird an der energetischen Nutzung von Biomasse gearbeitet. Im norditalienischen Crescentino wurde im vergangenen Jahr eine Demonstrationsanlage zur Herstellung von Bioethanol mit einer Jahreskapazität von 50.000 Tonnen in Betrieb genommen. Das ist das Fünfzigfache der Produktionsleistung der Bioethanol-Pilotanlage im bayrischen Straubing, die Clariant betreibt. Die Gesamtinvestition beträgt 150 Mio. Euro, rund 5 Mio. Euro hat die EU beigesteuert. Dazu haben sich eine Reihe europäischer Unternehmen zusammengeschlossen. Darunter zwei italienische Unternehmen: Biochemtex als Ingenieurdienstleister und Betarenewables als Technologielieferant . Hinzukommt die dänische Novozymes als Bereitsteller der Enzymtechnik. "Unsere Stärke ist die schnelle Hydrolyse und Fermentation der Biomasse", betonte Dario Giordano von Biochemtex auf der Konferenz in Hamburg. Verarbeitet wird in der Anlage der zweiten Generation vor allem Weizen-, aber auch Reisstroh aus der lokalen italienischen Produktion, Miscanthus-Gras oder Bagasse. Bei einer Energieeffizienz von etwa 85% sei es gelungen, zu Marktpreisen zu produzieren, so Giordano. Ziel sei es nun, weniger der relativ teuren Enzyme – sie machen etwa 15% der Prozesskosten aus – einzusetzen beziehungsweise diese effizienter zurückzugewinnen. Schon jetzt ist die Anlage für Giordano "eine einmalige Chance für Europa". Die Technologie sei nun reif zur Auslizenzierung. Gerade hat die italienische Regierung bekundet, drei weitere Anlagen zu bauen.