Im Jahr 1845 ereilte Irland eine große Hungersnot und führte zur größten Auswanderung in der Geschichte des Landes. Ursache war der Ausfall der Kartoffelernte infolge von Infektionen mit dem Krankheitserreger Phytophthora infestans. Auch heute noch gefährden diese und andere Eipilze weltweit Ernten, ebenso wie andere Pilzkrankheiten und Fadenwürmer. In den meisten Fällen gibt es heute chemische Pflanzenschutzmittel, die die Erträge retten können. Doch die ökologischen und gesundheitlichen Folgen vieler Pestizide sind hinlänglich bekannt. Das Forschungsprojekt ENDOBICA entwickelt deshalb eine biologische Alternative, um Ackerpflanzen vor Krankheitserregern zu schützen.
Natürliche Konkurrenz ausnutzen
Ganz neu ist die Idee nicht: Die Forschung kennt schon lange nützliche Mikroorganismen, die im pflanzlichen Gewebe leben – sogenannte Endophyten – und auch solche, die außen auf der Oberfläche von Pflanzen oder in der der pflanzlichen Wurzelzone wachsen. Weil sie mit anderen Mikroorganismen um diese attraktiven, nährstoffreichen Lebensräume konkurrieren, haben sie bestimmte Abwehrmaßnahmen entwickelt oder sich so gut angepasst, dass sie andere Mikroorganismen schlicht verdrängen können. Im Ergebnis halten sie damit auch manche Mikroorganismen unter Kontrolle, die die Pflanze schädigen würden. In Deutschland vertreibt die Firma ABiTEP seit vielen Jahren Bakterien der Gattung Bacillus für den biologischen Pflanzenschutz. Das Unternehmen ist ein enger Partner der Projektbeteiligten.
Zum eigentlichen Forschungsverbund, den das Bundesforschungsministerium von Juli 2018 bis Dezember 2022 mit rund 425.000 Euro gefördert hat, gehören das Institut für Marine Biotechnologie in Greifswald, das Robert-Koch-Institut in Berlin und das vietnamesische Plant Protection Institute in Hanoi. „Vietnam hat ein hohes Exportaufkommen an schwarzem Pfeffer und Kaffee“, berichtet Projektkoordinator Rainer Borriss vom Institut für Marine Biotechnologie. „Dieser Status soll beibehalten werden, aber man hat gemerkt, dass chemische Pestizide nachhaltig negativ in den Monokulturen wirken.“ Um hohe Verluste durch Erreger von Pflanzenkrankheiten zu vermeiden, sucht Vietnam nun nach biologischen Methoden, die Pflanzen zu schützen, und kam dazu auf die deutschen Projektpartner zu, die darin langjährige Forschungsexpertise besitzen.
Organismen aus der Praxis statt Modellorganismen
Zunächst hat das Team daher auf infizierten Feldern in Vietnam untersucht, welche Bakterien natürlicherweise in Pflanzen vorkommen, die trotzdem keine Krankheitssymptome zeigen. Bei mehr als 50 dieser bakteriellen Isolate sequenzierten die Forschenden das Genom, um die vielversprechendsten Stämme für die weiteren Versuche auszuwählen. Sie sollten zum einen Gram-positiv sein, weil derartige Bakterien in eine Überdauerungsform – sogenannte Endosporen – wechseln können. Das ist von Vorteil, damit mögliche Pflanzenschutzprodukte mit diesen Organismen lange haltbar sind. Außerdem sollten die Bakterien im Labor eine antagonistische Wirkung entfalten gegen jene Keime, die auf den Feldern in Vietnam Probleme bereiten.
Letztlich fokussierte sich das Team auf zwei Stämme: ein Bakterium, das auf der Oberfläche der Wurzeln siedelt, aber nicht in die Pflanze eindringt, und einen echten Endophyten, der im Wurzelgewebe lebt. Trotz dieser gravierenden Unterschiede in der Lebensweise waren beide Stämme genetisch kaum zu unterscheiden – und beide erwiesen sich als gleichermaßen erfolgreich. „Dass wir nicht an irgendwelchen Modellorganismen, sondern mit den real vorkommenden Organismen gearbeitet haben, hat wahrscheinlich unsere Erfolgschancen erhöht“, sagt Borriss. Erst im Gewächshaus und dann auf hektargroßen Versuchsfeldern im Hochland von Vietnam zeigte sich: Die Erträge bei Kaffee und Pfeffer waren rund ein Fünftel höher als auf Feldern mit unbehandelten Pflanzen, obwohl beide Stämme im Detail recht unterschiedlich wirkten.
Unterschiedliche Einflüsse auf das Bodenmikrobiom
Auch der aus Deutschland stammende Bacillus-Stamm, der längst im biologischen Pflanzenschutz genutzt wird, ähnelt den Stämmen aus Vietnam genetisch zu 99,69 Prozent. Borriss ist daher überzeugt, dass es nicht unbedingt nötig ist, immer erst lokale Stämme zu identifizieren, um sie für den biologischen Pflanzenschutz in der Region anzupassen. Weitere Mikroorganismen, die für den biologischen Pflanzenschutz in Frage kommen, sind Vertreter der Gattung Pseudomonas sowie Brevibacillen. Von Ersteren ist lange bekannt, dass sie hochwirksam sind gegen pflanzenpathogene Keime. Letztere wurden im Rahmen des Projektes intensiv untersucht, sind aber in der Anwendung im Rahmen des biologischen Pflanzenschutzes noch nicht gut erforscht. „Allerdings wissen wir auch zumindest von dem deutschen Bacillus-Stamm, dass er das Bodenmikrobiom nicht nachhaltig verändert“, berichtet Borriss. Bei Pseudomonas habe man hingegen deutliche Veränderungen gefunden. „Ich finde es besser, wenn die biologische Diversität auch nach dem Einsatz der Formulierungen weitgehend erhalten bleibt“, begründet der Forscher, weshalb er Bacillus bevorzugt.
Darüber hinaus erforscht das Team noch einen weiteren Ansatz: Es sind ja bestimmte Produkte des Stoffwechsels der Bakterienstämme, die gegen die Pflanzenschädlinge wirken. Daher versuchen die Forschenden, diese Wirkstoffe zu identifizieren, um sie gezielt biotechnologisch zu gewinnen. „Man könnte solche Metabolite in einem Bioreaktor in großem Maßstab produzieren und als Bioagens einsetzen, als Alternative zu chemischen Pestiziden“, erläutert Thomas Schweder vom Institut für Marine Biotechnologie. Die Metabolite könnten dann wie ein ganz normales Pflanzenschutzmittel aufgesprüht werden – nur eben ohne die ökologischen Nebenwirkungen chemisch-synthetischer Substanzen.
Wirkmoleküle auch biotechnologisch als Pflanzenschutzmittel herstellen
Im Fokus stehen dabei Verbindungen aus der Gruppe der Polyketide sowie der Lipopeptide. Besonderes Interesse der Forschenden erregt beispielsweise Thumolycin, ein noch weitgehend unbekanntes Peptid, das gegen pflanzenschädliche Fadenwürmer wirksam ist. Um die Metabolite effizient produzieren zu können, vereinfacht das Team das Genom des entsprechenden Bacillus-Stammes: „Die Bakterien bilden viele interessante Moleküle, aber das ist nicht immer zielführend für biotechnologische Anwendungen“, erklärt Schweder. „Daher haben wir viele Stoffwechselwege ausgeschaltet, die nicht nötig sind. Unser Ziel ist es, verbesserte Bacillus-Zellfabriken zu etablieren, um neue Moleküle zu gewinnen.“
Auf vietnamesischer Seite läuft die Projektförderung noch bis Ende 2023. Alle Projektbeteiligten hoffen danach auf eine Fortsetzung der gemeinsamen Arbeit. Dann sollen die biologischen Agenzien noch wirksamer und vorhersagbarer werden. Denn biologische Systeme sind komplexe Systeme, die auch mal unerwartet reagieren. Auf deutscher Seite läuft zudem die Zusammenarbeit mit Abitep weiter. „Unsere Forschung hat wirtschaftliche Perspektiven, die wir auch in Deutschland verfolgen wollen und nicht allein Vietnam überlassen“, sagt Borriss. Besonders interessant erscheint ihm, Biocontrol-Stämme und Sprühapplikationen mit entsprechenden Metaboliten zu kombinieren, für eine Sofort- und eine Langzeitwirkung. Da es sich nicht um chemische Pestizide handelt, dürften Betriebe ihre Ernte als Bioprodukte vermarkten.
Autor: Björn Lohmann