Die Gerste (Hordeum vulgare) gilt weltweit als viertwichtigste Getreideart. Insbesondere bedeutend ist sie als Viehfutter und für die Bierherstellung. In der Braunation Deutschland ist Gerste nach dem Weizen sogar die Nummer zwei der angebauten Kulturarten. Wegen seiner Größe und Komplexität ist das Erbgut noch nicht komplett entziffert. Doch Pflanzenforscher kommen diesem Ziel Schritt für Schritt näher: Ein internationales Konsortium unter Führung von Wissenschaftlern aus Gatersleben hat bereits eine gründliche Inventur des Gerstengenoms vorgenommen und einen umfassenden Genkatalog erstellt. Über den Aufbau dieser „physikalischen Karte“ berichteten die Forscher um Nils Stein vom Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) im Fachjournal Nature (2012, Bd. 491, S.711). Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat den Aufbau dieser für Pflanzenzüchter wichtigen Ressource im Projekt GABI-BARLEX von 2007 bis 2011 mit 6,8 Millionen Euro unterstützt.
Beteiligt an dem BMBF-Projekt im Rahmen der Fördermaßnahme „GABI-FUTURE: Lebensbasis Pflanze – von der Genomanalyse zur Produktinnovation“ waren neben den Gerstenforschern aus Gatersleben auch Genomanalyse-Spezialisten vom Institut für Bioinformatik und Systembiologie am Helmholtz-Zentrum in München und vom Jenaer Fritz-Lipmann-Institut.
Stück für Stück zum Genom-Puzzle
Ähnlich wie der Mensch besitzt die Gerste nur einen doppelten Chromosomensatz, was genetische Experimente erleichtert. Doch mit 5 Milliarden Basenpaaren (5,1 Gbp) ist das Gerstengenom fast doppelt so groß wie das des Menschen. Da es außerdem noch sehr viele sich wiederholende DNA-Abschnitte zwischen den Genen enthält, ist es schwierig das Genom vollständig zu entziffern. Die Wissenschaftler um Pflanzenforscher Nils Stein sind daher in den vergangenen Jahren ganz systematisch vorgegangen, um eine optimale Ausgangsbasis für die Genom-Sequenzierung zu schaffen: Sie haben eine sogenannte physikalische Karte ausgearbeitet.
Zunächst wurde das riesige Gerstengenom in rund 700.000 kleine DNA-Pakete aufgestückelt und die entstandenen Abschnitte in sogenannten Bacterial Artifical Chromosomes (BAC) „archiviert“. Hochmoderne Sequenzierautomaten halfen ihnen dabei, diese Informationen nach und nach anzuordnen. In aufwendiger molekularer Puzzlearbeit haben die Forscher so die Abfolge der BACs ermittelt.
Gen-Landkarte des Gerstenerbguts
„Auf Basis der physikalischen Karte und der stellenweise ausgelesenen Sequenzinformationen kennen wir nun nicht nur die Gensequenzen der Gerste, sondern wissen auch, welches Gen sich wo im Genom befindet“, erläutert Nils Stein. „Bei etwa 80 Prozent des Gerstengenoms handelt es sich um repetitive DNA, nur etwa 2 Prozent der Sequenz machen funktionelle Gene aus“, fasst er zusammen. „In der nun vorliegenden physikalischen Karte haben wir die Gene in ihrem genomischen Kontext dargestellt. Was uns noch fehlt, ist die Information zwischen den Genen.“ Das BMBF-Förderprojekt GABI-BARLEX repräsentiert den deutschen Beitrag des „International Barley Sequencing Consortium (IBSC)“. Zu diesem Konsortium haben sich im Jahr 2006 Forscher aus aller Welt unter deutscher Federführung zusammengeschlossen, um gemeinsam das große und komplexe Genom zu knacken. Beteiligt am IBSC sind außerdem Wissenschaftler aus den USA, Australien, Japan, China sowie weitere europäische Partner des „Barley Genome Net“. „Mithilfe der BMBF-Förderung hat das IPK in Gatersleben seine internationale Sichtbarkeit als Gersten-Forschungsinstitut weiter ausbauen können“, resümiert Nils Stein. Das IPK habe sich inzwischen zu einem über Deutschland hinaus gefragten Projektpartner entwickelt.
Wichtige Ressource für die Pflanzenzüchtung
Die in Nature veröffentlichte und frei zugängliche physikalische Karte verzeichnet die Reihenfolge und die Struktur der insgesamt mehr als 26.000 Gene im Gerstengenom. Pflanzenzüchtern liefert die Genkarte schon jetzt ein wichtiges Werkzeug an die Hand, etwa für die gezielte Erforschung und Charakterisierung interessanter Gene. Die Pflanzenforscher erhoffen sich langfristig wichtige Erkenntnisse, um beispielsweise agronomische Eigenschaften des Getreides wie Ertrag oder Resistenzen gegen Schädlinge zu verbessern. Die Gerste-Genkarte bildet auch die Grundlage zur Erfassung der natürlichen genetischen Vielfalt in den über 20.000 Samenmustern alter Gerstevarietäten, Landrassen und Wildgersten der bundesdeutschen Kulturpflanzengenbank des IPK. Der Katalog ist eine äußerst wichtige Ressource, um das Gerstengenom vollständig sequenzieren zu können. „Alle weiteren momentanen Forschungsprojekte zur Gerste bei uns im Haus profitieren von den Genominformationen “, sagt Stein. So zum Beispiel auch die laufenden Arbeiten des im Rahmen der aktuellen BMBF-Fördermaßnahme PLANT 2030 geförderten Projektes TRITEX. Hier werden weitere Weichen für die vollständige Sequenzierung des Gersten-Genoms gestellt.
Autor: Philipp Graf