RNA-basierte Insektizide werden konkurrenzfähig

RNA-basierte Insektizide werden konkurrenzfähig

In einem KMU-innovativ-Projekt hat das Team von SenseUp eine Methode gefunden, die Herstellungskosten von RNA-Molekülen für den Pflanzenschutz um mehr als den Faktor 1000 zu senken.

Eine Biene sitzt an einer weißen Blüte mit gelben Staubblättern
Nützlinge, die sich an der Kartoffelblüte aufhalten, würden vom RNA-Wirkstoff nichts bemerken.

Ohne Pflanzenschutzmittel würden die Ernteerträge weltweit um 20 bis 30% einbrechen, das zeigen Studien immer wieder. Gleichzeitig gelten viele konventionelle Pflanzenschutzmittel als bedenklich, was Artenvielfalt und Gesundheit betrifft. Eigentlich kennt die Forschung seit mehr als zwei Jahrzehnten eine großartige Lösung, um diese Probleme zu überwinden: RNA-Interferenz. Doch bislang war dieser Ansatz unbezahlbar.

RNA-Interferenz wirkt hochspezifisch

„RNA ist ein wundervoller Wirkstoff, weil RNA hochspezifisch wirkt, weil RNA komplett ungiftig und biologisch abbaubar ist“, erläutert Georg Schaumann, Koordinator des Projekts RNAferm und Mitgründer der Firma SenseUp. „RNA hat zudem nichts mit Genveränderung zu tun, sie greift überhaupt nicht ins Erbgut ein.“

Ende der 1990er Jahre entdeckten Forschende eine besondere Eigenschaft doppelsträngiger RNA (dsRNA): Sie kann verhindern, dass aus einem mit ihrer Sequenz korrespondierenden Gen dessen Produkt – meist ein Protein – erzeugt wird. Fachleute sprechen auch vom RNA-induced silencing. 2018 kam das erste Therapeutikum auf den Markt, das sich diesen Effekt zunutze macht.

Wettlauf zwischen Pestizidforschung und Schädlingen

Auch in der Landwirtschaft wäre RNA-Interferenz hoch spannend, wie Schaumann erläutert: „dsRNA eignet sich hervorragend als Biopestizid, wenn man etwa ein Feld gegen den Kartoffelkäfer – oder was auch immer – sprühen möchte. Dann tötet man nur den Kartoffelkäfer, und nicht den Marienkäfer, die Biene, einen Wurm oder was sonst noch so da unterwegs ist.“ Denn die eingesetzte RNA kann exakt auf ein lebenswichtiges Gen eines bestimmten Insekts zugeschnitten werden. Damit blockiert die RNA zugleich dessen Stoffwechsel, ist aber bei jeder anderen Insektenart vollkommen wirkungslos. „Kein Pestizid auf dem Markt ist so spezifisch“, sagt der Projektleiter.

Außerdem entwickeln viele Insekten Resistenzen gegen Insektizide, der Kartoffelkäfer ist darin besonders gut. Darum entwickeln die Hersteller ständig neue Wirkstoffe. „Es ist ein dauerndes Wettrennen, aber die Menschheit hinkt derzeit ziemlich hinterher“, weiß Schaumann. Landwirte hoffen daher auf gänzlich neue Insektizide, um wieder die Führung zu übernehmen. RNA wäre wohl ein solches Mittel.

RNA war bislang extrem teuer und ist instabil

Warum also gibt es noch kein RNA-basiertes Produkt für die Landwirtschaft? „Der übliche Weg, RNA herzustellen, ist die In-vitro-Transkription“, erläutert Schaumann, ein Verfahren, bei dem hochreine Enzyme und Chemikalien gewissermaßen im Reagenzglas miteinander reagieren. Für zehn Gramm RNA fallen dabei Kosten von 10.000 US-Dollar an. Und damit könnte man gerade mal einen Hektar vor Schädlingen schützen.

zwei Petrischalen, eine mit stark zerfressenem Pflanzenblatt, eine mit fast intaktem Pflanzenblatt
Das Experiment zeigt: Das RNA-basierte Insektizid schützt vor dem Kartoffelkäfer – hier bei einem Dosisäquivalent von 3,2 Gramm pro Hektar.

Bereits in der Corona-Pandemie zeigte sich dieses Problem. „Einige Kilo Impfstoff herzustellen, war eine globale Herausforderung“, erinnert sich der Biotechnologe, „in der Landwirtschaft brauchen wir aber Tonnen von RNA.“ Und dann ist da noch ein zweites Problem: RNA ist extrem instabil. „Wenn man sie nur lagert, transportiert oder aufs Feld sprüht, ist sie schneller weg, als man gucken kann“, scherzt Schaumann. Er hat auch gut lachen, denn das Projektteam hat beide Probleme überwunden. Dabei profitierte das Unternehmen von einer BMBF-Förderung im Rahmen von KMU-innovativ.

Biosensor-basierte natürliche Evolution als Lösung

Schaumann selbst hat in seiner Promotion gemeinsam mit einem Kollegen ein spezielles Verfahren entwickelt: die Biosensor-basierte natürliche Evolution. Jegliche Evolution basiert darauf, dass es eine natürliche Mutationsrate gibt. Immer mal wieder schleicht sich bei der Zellteilung irgendwo im genetischen Code ein Fehler ein. Dadurch ändern sich die Gene, manchmal jene für Enzyme oder wichtige Strukturproteine. Häufig ist das Enzym oder Protein dann defekt, erfüllt seine Aufgabe nicht mehr, und die Zelle hat ein Problem. Ganz selten kann die Veränderung jedoch unter nützlich sein und der Zelle einen Vorteil bieten – etwa wenn das Protein dadurch schneller arbeitet und die Zelle so mehr Nährstoffe aufnehmen kann, oder wenn ein Protein, das unter bestimmten Bedingungen schädlich ist, durch die Mutation inaktiv wird.

Projektdaten

  • Titel: Fermentative RNA-Produktion (RNAferm)
  • Projektpartner: SenseUp, Universität Bielefeld
  • Laufzeit: 1. April 2021 bis 31. März 2024
  • Fördermittel: ca. 1,35 Mio. Euro vom Bundesministerium für Bildung und Forschung

„So etwas ist aber extrem selten, und man kann nicht darauf warten, zufällig eine Zelle zu finden, die auf einmal mehr RNA produziert“, sagt Schaumann. Stattdessen hat er Biosensoren in die Zellen eingebaut, Moleküle, die dafür sorgen, dass eine Zelle um so stärker fluoresziert, je mehr RNA sie produziert. Mittels der sogenannten Durchflusszellsortierung können pro Sekunde bis zu 50.000 Zellen auf ihre Größe, das Maß ihrer Fluoreszenz und ihre Oberflächeneigenschaften analysiert werden. „Damit können wir an einem Tag 100 Millionen Zellen untersuchen und die paar Zellen aussortieren, die eine besonders hohe Fluoreszenz haben, weil sie mehr RNA bilden“, erläutert der Forscher. Diese Zellen werden dann vermehrt, und das Spiel beginnt von vorne. Ohne genetische Eingriffe werden die Zellen mit jeden Zyklus produktiver. Das Ende vom Lied: SenseUp ist dank des Forschungsprojekts inzwischen in der Lage, ein Gramm RNA statt für 1000 Euro für lediglich 30 Cent herzustellen.

Produktivste Stämme der Welt erzeugt

„Unsere Stämme sind produktiver als alles, was es irgendwo auf der Welt gibt“, betont der Projektleiter. Bei diesen Stämmen handelt es sich um das Bakterium Corynebacterium glutamicum, ein seit vielen Jahren großindustriell genutzter Organismus, der als gesundheitlich absolut unbedenklich gilt, ähnlich wie Hefe. „Das ist absolut wichtig, wenn man die Sachen später aufs Feld sprühen will“, findet Schaumann.

Grüne Pflanzen mit weißen Blüten
Bislang waren RNA-Wirkstoffe viel zu teuer, um ein ganzes Kartoffelfeld damit zu behandeln.

Neben dem Preis sorgt wohl vor allem eine weitere Hürde dafür, dass das Unternehmen inzwischen weltweit gefragt ist: die Rekombination. Auch das ist ein natürlicher Prozess, bei dem DNA-Sequenzen, die sich stark ähneln, neu miteinander verbunden werden können. „Es ist Teil der Evolution, dass mal ein Gen woanders reinspringt oder sich neu kombiniert“, sagt Schaumann. „Aber wir erzeugen Milliarden Zellen, und wenn irgendwo eine Mutation eintritt und die RNA nicht mehr aussieht, wie sie soll, dann ist das Produkt komplett unwirksam.“ Gemeinsam mit allen Projektbeteiligten floss viel Know-how in diese Frage. Am Ende entstand ein inzwischen patentiertes Verfahren, das jegliche Rekombination der relevanten Sequenzen komplett unterbindet.

Bakterienhülle als Schutzmantel der RNA

Trotzdem blieb die Frage nach der Stabilität der RNA auf dem Feld. Hier setzte das Team erneut auf Corynebacterium glutamicum. „Wir verwenden die Hülle des Bakteriums als stabilisierende Kapselung der RNA“, berichtet Schaumann. Weil das natürliche Bodenbakterium so unbedenklich ist und seit Jahrzehnten sicher in Tierfutter eingesetzt wird, kann die Hülle einfach in die Umwelt ausgebracht werden. Die Hülle wiederum widersteht hohen Temperaturen, UV-Strahlung, ist sehr pH-stabil und auch von anderen Enzymen nicht leicht zu zersetzen. „Wir wussten, dass Corynebacterium robust ist, aber wie robust es ist, das hat uns positiv überrascht“, freut sich der Projektleiter. Denn jetzt sind beide Probleme beseitigt, die bislang verhindert haben, dass RNA als Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden kann.

Inzwischen führt SenseUp Gespräche mit den fünf größten Pestizidherstellern weltweit. Einige erproben das Produkt bereits in eigenen Gewächshäusern, ob es die erwünschte Wirkung zeigt. SenseUp selbst bereitet sich darauf vor, künftig entsprechende Kooperationen bedienen zu können. Der Weg von der Forschung in die Praxis ist so gut wie geschafft.

Autor: Björn Lohmann