Der Moosmodellierer
Ralf Reski
Beruf:
Biotechnologe & Unternehmer
Biopionier für:
Pflanzenbiotechnologie
Ein Gewerbegebiet am Rand von Freiburg im Breisgau, Standort des Biologika-Herstellers Eleva. Die Tür zum Labor öffnet sich und zwei Männer mit dunklen Sonnenbrillen betreten den Raum mit festen Schritten. Ihr Interesse gilt einer einzigartigen Hightech-Anlage aus Stahl und gleißendem Licht. Die Szene fühlt sich unbedingt so an wie im Science-Fiction, mit den „Men in Black“, nur in weißen Kitteln.
Chief Science Officer Andreas Schaaf erläutert die Vorzüge des neuen 500 Liter fassenden Bioreaktors, ausgekleidet mit zahllosen LEDs, die so hell strahlen wie die Sonne. Doch wofür muss man einen Reaktor von innen beleuchten?
Keiner könnte das besser wissen als sein Begleiter Ralf Reski, seines Zeichens Biologe mit Spezialgebiet Moose. Prof. Reski leitet den Lehrstuhl für Pflanzenbiotechnologie an der Universität Freiburg. Dort hat er den veganen Moosbioreaktor erfunden. Statt wie sonst üblich in der Biotechnologie werden für die Fermentation hier nicht Bakterien oder Hefepilzen genommen, sondern Moose in einer frühen Wachstumsstufe. Und da Moose Pflanzen sind, brauchen sie Licht. Und große Reaktoren brauchen sehr viel Licht, damit die vielen Moose darin wachsen und produzieren können. – Nur was?
Von Anbeginn mit dabei: Physcomitrella patens, das kleine Blasenmützenmoos. Dem Forscher ist es geglückt, die niedliche Moospflanze zu „humanisieren“, d.h. genetisch so zu programmieren, dass sie menschliche Eiweiße herstellt. Ein bedeutsamer Schritt für die Biotechnologie. Denn dort stoßen Mikroben in der Expression komplexer Proteine an ihre Grenzen. Dagegen kann das Moos nicht nur das Protein selbst herstellen, sondern in diesem Protein auch Zuckerstrukturen anbauen, und zwar so wie im Menschen. Mit einem weiteren genetischen Trick haben die Forschenden die Moose dazu getrimmt, diese Proteine ins Nährmedium abzugeben. Stolz fügt Ralf hinzu:
„Ein genereller Vorteil von Pflanzen gegenüber tierischen Zellen ist: Es gibt keine Pathogene, die den Menschen befallen, die auch in Pflanzen sind. Wir laufen also nicht die Gefahr, dass wir aus Versehen ein verstecktes Virus auf den Menschen übertragen. D.h. die Qualität und die Reinheit, die im Moos produziert wird, ist aus meiner Sicht in aller Regel deutlich besser als das, was aus tierischen Zellen kommt.“
Das erste Glykoprotein, das von seiner Firma produziert wurde und in die klinische Versuchsphase kam, war die α-Galaktosidase. Fehlt dieses Enzym beim Menschen tritt eine seltene Erbkrankheit auf, deren Folgen durch Verabreichung künstlich hergestellter α-Galaktosidase eingedämmt werden können.
Derweil fällt der Blick im Labor auf eine weitere sonderbare Vorrichtung: ein übergroßer kissenförmiger Plastikbeutel bewegt sich in Wellen auf und ab. Gegen seine durchsichtigen Wände schwappt synchron eine leuchtend grüne Suppe. Ralf klärt auf: „Das Nährmedium für die Moose ist viel einfacher als für tierische Zellen. Aber sie brauchen nicht nur Licht, sie müssen auch Gasaustausch machen. Dieses Schütteln, diese eigenartige Bewegung führt dazu, dass die Moose den Austausch machen und besser wachsen können.“
Zurzeit produzieren die Moose einen weiteren hoffnungsvollen Wirkstoffkandidaten, den sogenannten Faktor H. Das Glykoprotein reguliert die körpereigene Immunreaktion und könnte bei einer Reihe von Immunkrankheiten, wie der Makuladegeneration des Auges zum Einsatz kommen. Auch bei den Lungen-, Herz- und Nierenentzündungen durch Covid-19 könnte Faktor H einmal helfen.
Von der erhebenden Kraft der Moose für die Medikamentenentwicklung hinab zu ihren erdigen Gefilden: Dicht über der Grasnarbe sitzen zwei Männer in der Hocke und zupfen. Moose bilden nach den Blütenpflanzen die zweitgrößte Pflanzengruppe, die mit etlichen Arten auch hier im Botanischen Garten vertreten ist. Der Professor, eine Koryphäe im Labor, fühlt sich nicht ganz sattelfest auf dem Rasen. Er hält ein Büschel Moos zwischen den Fingern und wendet sich fragend an seinen Doktoranden: „Also ich habe ehrlich gesagt nie einen Moos-Bestimmungskurs an der Uni genommen und deswegen bin ich umso dankbarer für Kollegen wie Volker, der wirklich eine breite Kenntnis über die Moose hat. Da kann ich eine ganze Menge von lernen. – Die übliche Frage, die mir eher gestellt wird, ist: Wie kriege ich das Moos aus meinem Rasen?“
Fachgerechtes Vertikutieren ist bekanntermaßen eine Wissenschaft für sich. Leichter fällt letztlich die artgerechte Bestimmung der Moose: Rhytidiadelphus squarrosus, der sparrige Runzelbruder, ist ein kräftiges, mehr oder weniger unregelmäßig verzweigtes gelbgrünes Laubmoos mit aufrechten oder aufsteigenden Stängeln. Die Runzelbrüder machen sich zumeist im Rasen breit, zum Verdruss so mancher Gartenliebhaber.
Nächste Station der Moossuche ist das Gewächshaus. Hier, in der feuchtwarmen Luft, fühlen sich Blattmoose am wohlsten. Sie erinnern an die Ursprünge des grünen Lebens. Vor ungefähr 500 Millionen Jahren kamen die ersten Wasserpflanzen an Land. Diese Pionierpflanzen sahen schon ungefähr so aus wie Moose. Wenn Erde oder Fels irgendwo neu besiedelt werden, kommen zuerst Algen und Flechten. Dann kommen die Moose. Seit Urzeiten hat sich das nicht geändert.
Direkt an den Botanischen Garten grenzt das Institut für Biologie der Uni Freiburg. Im Reski Lab scheint grelles Licht. Unaufhörlich dringen Blubbergeräusche aus gläsernen Zylindern und Kolben. In den handlichen Biorektoren werden die fadenförmigen Vorkeime der Moose, die Protonemen, gezüchtet. Die frühe Wachstumsstufe der Pflanze eignet sich für die genetische Forschung am besten. Moose verfügen zwar nur über einen einfachen Chromosomensatz, jedoch über eine Vielzahl an Genen. Ralf hat mit seiner Forschung maßgeblich dazu beigetragen, das Genom des Blasenmützenmooses zu entschlüsseln. Es verfügt über 35.000 Gene, wohinter sich eine bislang größtenteils unverstandene Funktionalität verbirgt:
Ralf Reski – im Video
„Es kratzt ein bisschen an dem Selbstverständnis des Menschen als Krönung der Schöpfung, dass ein Moos, das kein Gehirn und keine Blüten hat, 10.000 Gene mehr hat als wir Menschen. Die Evolution schleppt eigentlich keinen Ballast mit sich. Und die Frage ist deshalb: was machen die eigentlich?" Dieses Rätsel soll die Grundlagenforschung lösen. Doch die Laborarbeit geht noch weit darüber hinaus.
Leuchtend grüne Pflanzenstämmchen tanzen umher im Strudel der Reaktoren. Unter Laborbedingungen wachsen die jungen Torfmoose bis zu hundertmal schneller als draußen in der Natur. Ralfs Team ist es erstmalig gelungen, Torfmoose anzuzüchten. Viele Arten sind vom Aussterben bedroht, weil die Moore als ihr Lebensraum zusehends schwinden. Moore werden abgebaut, um Torf zugewinnen, der wiederrum für den Gemüse- und Zierpflanzenanbau benötigt wird.
Dabei gehören Moore zu den wichtigsten CO2 -Speichern, die es gibt. Es heißt, alle Moore der Welt speichern doppelt so viel Kohlendioxid wie alle Wälder auf der Erde! Moose aus dem Bioreaktor könnten dem Raubbau der Natur entgegenwirken und als nachwachsende Rohstoffe dienen. „Das, was wir züchten, ist sogenanntes Aussaatmaterial, um abgetorfte Flächen wieder zu begrünen oder Torfersatz für die Landwirtschaft zu machen.“ Bioökonomie, Arterhalt, Klimaschutz – Torfmoose aus dem Reski Lab finden vielerlei Verwendung. Mittlerweile sind 19 Arten der Gattung Sphagnum als Laborstämme etabliert, offen für weitere Forschung und Anwendung.
An der Laborbank gegenüber hat Doktorandin Melanie Heck ein weiteres Torfmoos hochgezüchtet. Die Kolben strotzen bereits vor sattgrüner Füllung. Ralf übt sich im Probewiegen. Direkt daneben liegt durchsichtig und leicht, ein Beutel mit getrocknetem Torfmoos als Endprodukt auf dem Tisch. Unscheinbar, aber enorm effektiv als Filter. Moose haben keine Wurzeln und beziehen ihre Nährstoffe aus der Luft. Deshalb können sie auch Feinstäube und Schadstoffe in sich aufnehmen.
Optimal für ein Umweltmonitoring. Die Moosbeutel werden in Straßenbäume gehängt. Mit der Zeit lagern sie Stoffe ein, die im Labor analysiert werden.
So lässt sich Aufschluss über die Luftqualität gewinnen.
Ralf ist überzeugt: „Die Moose sehen zwar eigentlich klein und unscheinbar aus, aber sie sind wahre Alleskönner!“ Und das lässt er die Welt wissen.
Der Forscher mit der Comicfigur auf dem Laborkittel hat Spaß am Twittern, engagiert sich in der Wissenschaftskommunikation und setzt sich gegen Fake News und für die Freiheit der Forschung ein. Dazu passt, dass er vor seiner Karriere als Pflanzenbiotechnologe eigentlich mal Lehrer und Journalist werden wollte. Und die Mission des Biopioniers ist noch lange nicht beendet:
Ralf Reski – im Podcast
Ralf Reski ist einer der führenden internationalen Experten in der Moosforschung. Sein Labor hat Genetik und Stoffwechsel bestimmter Moose erstmalig beschrieben und für die Anwendung nutzbar gemacht: Die veganen Moosbioreaktoren, eine patentierte Erfindung des Pflanzenbiotechnologen, produzieren Wirkstoffe gegen seltene Krankheiten. Welche spannenden Einsatzgebiete es noch gibt, erfahrt ihr in dieser Podcast-Folge von "Die Biopioniere".