„Regionale Bioökonomie-Reviere schaffen“
Ulrich SchurrBeruf:
promovierter Biologe
Position:
Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich (IBG-2); Koordinator des Bioeconomy Science Centers; Wissenschaftlicher Koordinator der Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland;
Beruf:
promovierter Biologe
Position:
Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich (IBG-2); Koordinator des Bioeconomy Science Centers; Wissenschaftlicher Koordinator der Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland;
Ulrich Schurr will das Rheinische Braunkohlerevier zu einer Modellregion für eine nachhaltige Bioökonomie machen. Dabei setzt er auf die regionalen Stärken und Gegebenheiten, um den Strukturwandel zu meistern.
Der Kohleausstieg ist beschlossen. Für Regionen wie das Rheinland heißt es nun umdenken und neue Perspektiven schaffen. Mit dem Ziel, weg von Braunkohle, hin zu einer biobasierten Zukunft, wurde vor einem Jahr das BioökonomieREVIER Rheinland gegründet, das vom Bundesforschungsministerium über das Sofortprogramm „Strukturwandel" mit mehreren Millionen Euro gefördert wird. Koordiniert wird das ambitionierte Vorhaben vom Leiter des Instituts für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum Jülich, Ulrich Schurr. Der promovierte Biologe ist überzeugt, dass das einstige Kohlerevier die besten Voraussetzungen hat, um das Rheinische Revier zu einer Modellregion für eine nachhaltige Bioökonomie zu machen. Um Forschungsansätze schneller in die Wirtschaft zu bringen, wurden erst kürzlich 15 Innovationslabore eingerichtet.
Was sind die Stärken der Region, um den biobasierten Wandel im Rheinland voranzutreiben?
Durch den beschlossenen Braunkohleausstieg ist das Rheinische Revier auf neue Wertschöpfungs- und Einkommensquellen angewiesen. Verstärkt wird das noch vor dem Hintergrund der Covid-19-Pandemie. Gerade die nachhaltige Nutzung biologischer Ressourcen in Verbindung mit dem Ausbau erneuerbarer Energien kann einen wichtigen Beitrag für eine zukunftsfähige Wirtschaftsweise liefern. Als Ebene der Umsetzung rücken dabei Regionen in den Fokus. Durch ihre naturräumlichen und sozio-ökonomischen Randbedingungen werden sich regionsspezifische Bioökonomien entwickeln, die ein Abbild der regionalen Gegebenheiten sind. Im Rheinischen Revier bilden die herausragenden wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Stärken die Basis der Transformation. Die hoch produktive Landwirtschaft als Lieferant gesunder Nahrungsmittel und biogener Rohstoffe soll mit ihrer zentralen Rolle für die Landschafts- und Landnutzungsentwicklung im Strukturwandel mit neuen Methoden und Verfahren zukunftssicher gestaltet werden. Traditionelle Nutzungspfade wie Lebensmittel- und Papierindustrie werden innovativ weiterentwickelt und neuartige Verwertungspfade für Materialien und Chemie in Verknüpfung mit dem sich auf erneuerbare Energie fokussierenden Energiesektor vorangetrieben und neue Märkte erschlossen.
Wo sehen Sie den Schwerpunkt Ihrer Arbeit als wissenschaftlicher Koordinator?
Die Strukturwandel-Initiative Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland ist aus dem Forschungszentrum Jülich heraus angestoßen worden, beschränkt sich aber in ihrem Wirkungsbereich nicht auf die Wissenschaft. Eine Aufgabe ist dennoch, Kooperationen zwischen den Hochschulen und Forschungszentren untereinander zu verbessern. Außerdem gilt es, die exzellente akademische Innovationslandschaft entlang der gesamten wirtschaftlichen Verwertungskette besser zu verknüpfen und reale unternehmerische und kommunale Herausforderungen in regionalen Partnerschaften gemeinsam zu bearbeiten. Um solche Kooperationen zu fördern und eine regionale Wissensbasis aufzubauen, haben wir die Koordinierungsstelle BioökonomieREVIER eingerichtet. Sie vernetzt, informiert und koordiniert an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Landwirtschaft, Wirtschaft und anderen regionalen Akteuren den Transformationsprozess im Konsens mit dem regionalen Wirtschafts- und Strukturprogramm.
Welche Maßnahmen sind notwendig, damit der Strukturwandel im Rheinland auch gelingt? Was sind die entscheidenden Stellschrauben?
Entscheidend wird sein, dass die Region ein gemeinsames Leitbild entwickelt. Das muss auch nicht einheitlich in der gesamten Region in derselben Bioökonomie resultieren. Wir streben ohnehin eine Regionalisierung der Bioökonomie sowohl auf großer Skala (z. B. Rheinisches Revier) als auch auf kleinräumiger Skala an. Dabei bilden Potentiale von Wirtschaftsräumen, politische Rahmenbedingungen, biogeographische Gegebenheiten, Wissensregionen und -flüsse, aber auch zivilgesellschaftliche Perspektiven den Rahmen für den jeweiligen Typus von Bioökonomie. In Bezug auf die Beiträge der Bioökonomie für den Strukturwandel ist es von großer Bedeutung, die regionalen Unternehmen und vor allem deren betriebliche Herausforderungen und Innovationsbedürfnisse durch eine enge Verknüpfung mit den Forschungseinrichtungen und der Landwirtschaft aktiv einzubinden. Die Aussicht auf innovative Geschäftsmodelle lockt dann auch externe Investoren und private Investments in die Region. So können Arbeits- und Ausbildungsplätze erhalten und neue Einkommensquellen erschlossen werden. Auch die frühzeitige Einbindung der Zivilgesellschaft bei der Gestaltung ist ein Erfolgsfaktor, der zu einer höheren Zufriedenheit gerade in einem durch jahrelange Konflikte geprägten Raum führt. Wenn das alles gelingt, kann das Rheinische Revier eine überregionale, ja sogar internationale Strahlkraft als Modellregion für nachhaltiges Wirtschaften mit den damit verbundenen Marketingchancen entwickeln.
Welche Rolle spielen dabei die Innovationslabore und welche Impulse können sie konkret geben?
Zunächst ist es wichtig festzuhalten, dass die im Rahmen des BMBF-Projekts „Entwicklung der Modellregion BioökonomieREVIER Rheinland“ eingerichteten Innovationslabore eine wichtige Ergänzung zu der bereits exzellenten Innovationslandschaft im Rheinland darstellen. Sie dienen als Keimzellen für eine schnelle Umsetzung von Forschungsideen in die wirtschaftliche Anwendung und verdichten das Innovationsökosystem Bioökonomie zusätzlich. Durch sie werden erfolgversprechende Forschungsansätze mit sehr guten wirtschaftlichen Umsetzungsmöglichkeiten weiterentwickelt. Aus den Erkenntnissen sollen schnell Wertschöpfung und neue, neuartige Arbeitsplätze entstehen. Es geht hier also nicht „nur“ allein um wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn, sondern darum, exemplarisch darzustellen, dass eine engere Verzahnung und der Wissenstransfer von der Forschung in die Wirtschaft zu mehr Wertschöpfung und Nachhaltigkeit führen können. Mittelfristig sollen sie auch KMU, Start-ups oder anderen Interessierten aus Wirtschaft und Landwirtschaft zur Verfügung stehen und neue Bioinnovationen hervorbringen.
Welche Projekte werden aktuell im Rahmen der Innovationslabore thematisiert?
Die Innovationslabore im Projekt BioökonomieREVIER arbeiten in verschiedenen Themenfeldern. Dabei geht es um innovative Ansätze in Züchtung und Landwirtschaft durch Digitalisierung und Automatisierung, um nachwachsende Rohstoffe und die Nutzung von marginalen Flächen im Tagebau, um biobasierte Rohstoffe für die Industrie sowie die Nutzung von Rest- und Abfallstoffen sowie die Kopplung von Bioökonomie mit regenerativen Energiesystemen. Unter anderem werden Feldlabore an Standorten aufgebaut wie sie derzeit in ihrer räumlichen Nähe im Rheinischen Revier wohl einzigartig sind. Ein Beispiel ist das so genannte Brainergy Field Lab - ein Hightech-Feldtechnikum mit Anwendungsfeldern in den Bereichen Agrar-Robotik, Agrophotovoltaik oder Phänotypisierung. Es ist durch die Kooperation mit der benachbarten FH Aachen an eine hervorragende IT-Infrastruktur angeschlossen und bietet den Studierenden vor Ort attraktive Arbeitsfelder. Weitere Themen der Innovationslabore sind das Recycling von Reststoffen aus der Lebensmittel- und der Abfallwirtschaft sowie die biotechnologische Herstellung hochwertiger Chemikalien und Wirkstoffe für die Pharma-Industrie. Auch Natur- und Ressourcenschutz sind wichtige Themen im BioökonomieREVIER. Wichtig ist uns dabei immer, möglichst bald selbsttragende Strukturen aufzubauen, um den Wandel nicht langfristig von Förderszenarien abhängig zu gestalten.
Interview: Beatrix Boldt