Kanada ist nach Russland das zweitgrößte Land der Welt und sehr reich an Bioressourcen. So beherbergt das Land allein etwa 9 % des globalen Waldbestandes. Die Bioökonomie eröffnet neue Chancen für Kanada, biobasierte Ressourcen effizient und nachhaltig zu nutzen und neue Märkte zu erschließen.
Der erste bundesweite Ansatz zur Entwicklung der Bioökonomie in Kanada wurde 2017 mit der Verabschiedung des Rahmenpapiers „A Forest Bioeconomy Framework for Canada" eingeleitet. Dieses beinhaltete, vor allem wirtschaftliche Aktivitäten zu fördern, die sich auf die nachhaltige Nutzung forstwirtschaftlicher Ressourcen für traditionelle Forstprodukte (wie Zellstoff, Papier und Holz) und für neue hochwertige Produkte und Dienstleistungen (einschließlich Biokraftstoffe, Biochemikalien und fortschrittliche Baumaterialien) konzentrieren.
Im Dokument wurde aber auch der wissensbasierte, zirkuläre und innovative Charakter der Bioökonomie hervorgehoben, der zu einer nachhaltigen Produktion und Nutzung von biobasierten Ressourcen beiträgt. Angesichts der Corona-Pandemie, der zunehmenden Intensität von Waldbränden und der Auswirkungen des Klimawandels beschloss der Rat der kanadischen Forstminister im November 2021, eine Aktualisierung des Rahmenpapiers vorzunehmen. Basierend auf dem Werk von 2017 wurden im überarbeiteten Dokument von 2022 Maßnahmen identifiziert, die dabei helfen sollen, den gegenwärtigen Herausforderungen des kanadischen Forstsektors zu begegnen und das Potenzial der holzbasierten Bioökonomie zukünftig weiter auszuschöpfen. So solle beispielsweise der Austausch mit allen Lieferkettenakteuren weiter gefördert, vor allem aber der Dialog mit der indigenen Bevölkerung ausgebaut werden. Zudem sollten die Entwicklung von Produktstandards- und internationalen Normen vorangebracht und Demonstrationsprojekte weiter unterstützt werden.
Während die Entwicklung von Bioökonomie-Politikstrategien in vielen Ländern politisch angestoßen wird, sind es in Kanada vor allem Industrieakteure, die die kanadische Bioökonomie vorantreiben. So legte beispielsweise der Verband Bioindustrial Innovation Canada (BIC) zusammen mit BioDesign, einem industriegeführten Konsortium aus Unternehmen, Verbänden, akademischen und Forschungseinrichtungen, der kanadischen Regierung im Mai 2019 ein Strategiepapier mit dem Titel „Canada's Bioeconomy Strategy“ vor, welches eine Bioökonomie-Vision von mehr als 400 Branchenvertretern aus dem ganzen Land skizziert. In diesem Dokument wird die Regierung, aber auch die Industrie selbst dazu aufgefordert, die Chancen der industriellen Bioökonomie wahrzunehmen. Vor allem die Wettbewerbsvorteile Kanadas in der Land- und Forstwirtschaft und der damit verbundene Zugang zu heimischer Biomasse sollten genutzt werden. Der Bioökonomie wird im Strategiepapier eine große Bedeutung beigemessen, um den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.
Ferner wird die Rolle von Innovationsclustern und -ökosystemen, eines angepassten Regulierungssystems und der Vermarktung von Innovationen hervorgehoben, um das Wachstum biobasierter Unternehmen zu stärken. Interessanterweise investierte die kanadische Regierung als Reaktion auf die Industrieinitiative im Rahmen des kanadischen Programms zur Anpassung der Landwirtschaft rund 200.000 CAD in das BIC, um die Entwicklung einer nationalen Bioökonomie-Strategie auszulagern. So sollten die BIC-Akteure die Rolle der Regierung definieren, um das regulatorische Umfeld und die entsprechende Infrastruktur zu schaffen, die für die Einführung biobasierter Prozesse und Produkte erforderlich sind. Die globale Corona-Krise hat diesen Prozess ins Stocken gebracht. Auch, weil sich übergreifende Politikentwicklungen während dieser Zeit in Kanada verändert haben. Wurde die Bioökonomie zuvor weitgehend durch energiepolitische Mechanismen getrieben, liegt der Fokus der neueren Energiepolitik auf der Erreichung von Kohlenstoffintensitätszielen. Neuere Maßnahmenpakete, wie beispielsweise der Clean Fuel Standard auf Bundesebene, schreiben nun keine Mengenquoten an Bioenergie, beziehungsweise Biokraftstoffen mehr vor, wie dies bei älteren Richtlinien der Fall war.
Im Bundeshaushalt 2021 wurden 400 Mio. CAD für die Entwicklung und Umsetzung einer gesamtkanadischen Genomik-Strategie (PCGS) angekündigt, um die Kommerzialisierung der Genomforschungstechnologien voranzutreiben, Kanadas globale Führungsrolle zu stärken und das Land für einen langfristigen Erfolg in der globalen Bioökonomie zu positionieren. Im Mai und Juni 2022 führte die kanadische Regierung dazu Konsultationen mit verschiedenen Akteuren durch. Sektorspezifische Chancen sehen die Befragten vor allem in den Bereichen Gesundheit, Umwelt und Klima, Landwirtschaft und Ernährungssicherung sowie der Synthetischen Biologie. Vor allem Letzterer wurde eine besondere Rolle in der Entwicklung neuer Lebensmittel, biobasierter Materialien, Chemikalien und Arzneimittel zugeschrieben.
Im Jahr 2021 verabschiedeten die Minister für Innovation, Wissenschaft und Industrie sowie Gesundheit zudem eine neue „Biomanufacturing and Life Sciences Strategy“ als Antwort auf die Corona-Pandemie. Mit rund 2,2 Mrd. CAD zielt die Regierung darauf ab, das kanadische Ökosystem für die Impfstoff-, Therapeutika- und Biopharmaproduktion zu stärken, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln und gute, hochqualifizierte Arbeitsplätze im Land zu schaffen.
Biomasse-Nutzung im Fokus
Die kanadische Bioökonomie konzentriert sich weitgehend auf die nachhaltige Nutzung heimischer Biomasseressourcen – vor allem auf Forst- und Agrarbiomasse, aber auch aquatische Biomasse aus den Küstenregionen – für neue industrielle biobasierte Produkte, wie Bioenergie, biobasierte Materialien und biobasierte Chemikalien. In einigen Regionen haben Gemeinden Verbote für die Deponierung von organischen Rest- und Abfallstoffen erlassen, wodurch neue Möglichkeiten zur Umwandlung dieser Stoffe in Bioenergie und andere biobasierte Produkte entstehen.
Die kanadischen Zellstoff- und Papierfabriken haben sich in den vergangenen Jahren angesichts des verschärften internationalen Wettbewerbs und des Rückgangs der weltweiten Nachfrage nach Forstprodukten neu erfunden. Infolgedessen haben viele Fabriken damit begonnen, Verfahren und Anlagen zur Umwandlung von Biomasse in ihren Betrieb zu integrieren, um eine breite Palette an biobasierten, nicht-traditionellen Produkten herzustellen. Unter der Bezeichnung „forest biorefineries“ haben diese Fabriken mit der Herstellung von Biokraftstoffen, biobasierten Materialien und einer Vielzahl von Biochemikalien begonnen. Nanokristalline Zellulose und Zellulosefilamente sind zwei dieser Materialien, denen großes Potenzial zugesprochen wird, bestehende Industrieprodukte wie Textilien, veredeltes Papier, Kunststoffe und spezielle Beschichtungen zu verbessern.
Der Fokus der kanadischen Bioökonomie-Entwicklung liegt jedoch auf der Nutzung agrarischer Ressourcen. Der Agrar- und Lebensmittelsektor sind wichtige Sektoren der kanadischen Wirtschaft. Kanada ist nach der EU, den USA, Brasilien und China der fünftgrößte Exporteur von Agrar- und Lebensmittelprodukten.
Da die heimischen Biomasseressourcen in der Regel in ländlichen Gebieten erzeugt werden, kommt den kanadischen Provinzen eine enorme Bedeutung für die Bioökonomie-Entwicklung im Land zu. In der Vergangenheit haben diese Regionen verschiedene regionale Ansätze und Initiativen entwickelt:
Regionale Bioökonomie-Initiativen im Überblick
Alberta: Alberta ist eine der landwirtschaftlich stärksten Provinzen in Kanada. Hier gibt es verschiedene Initiativen und Ansätze, die zur Förderung der Bioökonomie ins Leben gerufen wurden. Das „Bioeconomy Alberta Network“, ein informelles Netzwerk von Vertretern aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft unterstützt die Entwicklung der biobasierten Wirtschaft in Alberta durch die Förderung von Innovationspartnerschaften und die Bereitstellung von technischem Know-how. Alberta Innovates, ein von der Provinz finanziertes Forschungsinstitut, unterstützt Bioökonomie-relevante Innovationsprojekte und -programme im Bereich der industriellen Biotechnologie, um die Herstellung und Nutzung biobasierter Produkte zu fördern. Dazu zählt beispielsweise das „Bioindustrial Materials Program“, welches das Ziel verfolgt, neue Wertschöpfungskapazitäten aufzubauen und neue biobasierte Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Britisch Columbia: Britisch Columbia verfügt über einige der größten Waldressourcen der Welt. Das Forstministerium von British Columbia hat sich deshalb dazu verpflichtet, die Transformation des heimischen Forstsektors voranzutreiben. Die Provinz fördert zum Beispiel über das „Indigenous Forest Bioeconomy Program“ die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und indigenen Partnern, um die holzbasierte Bioökonomie in der Provinz voranzubringen und um die Widerstandsfähigkeit der Gemeinden in einem zunehmend wettbewerbsorientierten globalen Forstsektor zu fördern. Im Sommer 2023 wird zudem die erste Forest Innovation and Bioeconomy Conference (FIBC) in Vancouver stattfinden, die von der Abteilung für Innovation, Bioökonomie und indigene Chancen (IBIO) des Forstministeriums der Provinz organisiert wird.
Ontario: Die Provinz Ontario veröffentlichte 2020 eine Strategie für den Forstsektor: „Sustainable Growth: Ontario’s Forest Sector Strategy“. Eine der wichtigsten Verpflichtungen, die aus diesem Dokument hervorgingen, war die Erarbeitung des „Forest Biomass Action Plan“ (2022). Der Plan dient der wirtschaftlichen Entwicklung der Provinz und zielt zum einen darauf ab, indigene Gemeinschaften einzubeziehen, um innovative Verwendungsmöglichkeiten von Biomasseprodukten zu untersuchen. Zum anderen sollen neue Marktentwicklungschancen für Biomasseprodukte aufgezeigt und die Nachfrage und das regulatorische Umfeld für diese Produkte verbessert werden.
Kanada verfügt im ganzen Land über sehr starke Forschungs- und Entwicklungskapazitäten (F&E), die die Bioökonomie-Entwicklung im Land treiben. Verschiedenste Universitäten haben ihren Schwerpunkt auf Bioökonomie-relevante Forschungsthemen gelegt.
In der Region Waterloo, Provinz Ontario, liegt das Städtedreieck Kitchener, Waterloo und Cambridge. Dieses Städtedreieck wird auch „Canada`s Technology Triangle“ genannt und beherbergt wachsende jüngere Wirtschaftssektoren wie die Lebenswissenschaften/Biotechnologie und den Energiesektor. Die University of Waterloo betreibt Forschungsinstitute, die sich mit Biotechnologie und dem Bioingenieurwesen beschäftigen. Die University of Guelph hat in den vergangenen Jahren ihren Schwerpunkt auf die bioökonomischen Aspekte der Landwirtschaft verlagert und fokussiert die Forschung und Entwicklung von Technologien zur nachhaltigen Produktion und Nutzung von Biomasse. Die Universität von Guelph gründete 2008 das Bioproducts Discovery and Development Centre und betreibt seither Spitzenforschung zur Entwicklung biobasierter Produkte, die im verarbeitenden Gewerbe (einschließlich Automobilindustrie), in der Konsumgüterindustrie und im Dienstleistungssektor zum Einsatz kommen.
Im ganzen Land gibt es mehr als 20 Fakultäten oder Institute, die sich beispielsweise mit Agrarwissenschaften/Land- oder Forstwirtschaft/Ernährungswissenschaften beschäftigen. An der University of Alberta ist ein Biorefining Conversions Network angesiedelt, das durch Gelder der Provinz ermöglicht wurde. Es soll dazu dienen, die Bioindustrie der Provinz zu fördern, Akteure zu vernetzen und einen interdisziplinären Austausch zu ermöglichen. Mittlerweile existiert ein großes Netzwerk mit Partnern aus Industrie und Wissenschaft. Auch die Themen Lebensmittel/Ernährung sowie nachhaltige Ressourcen und Landwirtschaft werden an der Universität in Alberta adressiert.
An der University of British Columbia ist das aus Wissenschaftlern, Ingenieuren und weiteren Experten bestehende Forest Bio-Products (BPI) Institute angesiedelt. Es bündelt das Wissen der fünf strategischen Forschungszentren der Universität im Bereich Bioökonomieforschung und -bildung.
Auf Life Sciences fokussierte Forschungseinrichtungen sind der Biomasse-Forschungscluster auf dem MacDonald Campus der McGill University in Montréal und das Lambton College in Sarnia-Lambton, Ontario, welches sich in den vergangenen zehn Jahren zu einem der führenden Colleges im Bereich der Bioökonomie entwickelt hat. In Partnerschaft mit dem Western Sarnia-Lambton Research Park ist das Lambton College in der Lage, relevante, berufsorientierte Ausbildungsangebote und angewandte Forschung für die Weiterentwicklung der Bio-Hybrid- und Chemie-Cluster anzubieten und so die Bedürfnisse der lokal ansässigen biobasierten Unternehmen und der Provinz Ontario zu unterstützen.
Aufgrund der geografischen Gegebenheiten gibt es auch einen Forschungsschwerpunkt rund um das Thema Wasser und Meere. In Québec gibt es unter anderem das Marine Biotechnology Research Centre in Rimouski, das seit 2004 aktiv ist. Ebenfalls von Bedeutung auf diesem Gebiet sind das Bedford Institute for Oceanography und The Ocean Science Centre.
Im Exzellenznetzwerk ArticNet sind alle Einrichtungen versammelt, die sich mit dem Klimawandel in der Arktis beschäftigen und hier entsprechende Erkenntnisse zusammenführen. Im CCCM (the Canadian Center for the Culture of Microorganisms) gibt es zudem große Sammlungen von natürlichen Ressourcen, etwa die NEPCC (North East Pacific Culture Collection) und FWAC (Freshwater Algal Culture Collection). Die marine Biodiversität steht zudem im Fokus des NSERC’s Canadian Healthy Ocean Network.
Ein Fokus der Region um Winnipeg in Manitoba liegt auf der Erforschung von funktionellen Lebensmitteln und Nutrazeutika zur Verbesserung von Ernährung und Gesundheit. Das Richardson Centre for Functional Foods and Nutraceuticals (RCFFN) gehört bundesweit zu den führenden Forschungseinrichtungen auf diesem Gebiet.
Staatliche Förderung
Die Umwandlung heimischer Biomasse in Biokraftstoffe, biobasierte Materialien und Chemikalien stellt einen strategischen Schwerpunkt in Kanada dar. Die Bundesregierung arbeitet daher eng mit den Provinzen, den Kommunen und der Industrie zusammen, um die Entwicklung der biobasierten Industrie zu unterstützen. Diese Unterstützung umfasst Regularien, Netzwerke und Programme zur Förderung und Finanzierung von Forschung und Entwicklung sowie dem Aufbau von Produktionsanlagen im Pilot- und kommerziellen Maßstab.
Der National Research Council (NRC) ist die führende kanadische Bundesbehörde für wissenschaftliche und industrielle Forschung. Administrativ ist das Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Industrie für den NRC verantwortlich. Zum NRC gehören 14 Forschungszentren, die über ganz Kanada verteilt sind. Im Rahmen der sogenannten Challenge-Programme geht der NRC Partnerschaften mit privaten und öffentlichen, akademischen und anderen Forschungsorganisationen in Kanada und auf internationaler Ebene ein, um transformative und risikoreiche Forschungsarbeiten voranzutreiben. Die kanadische Regierung hat 150 Mio. CAD über fünf Jahre bereitgestellt, wobei 30 Mio. CAD pro Jahr fortlaufend für die Finanzierung von NRC-Forschern und ihren Partnern aus Forschungseinrichtungen und Unternehmen für Forschungs- und Entwicklungsprogramme (F&E) vorgesehen sind. Die Challenge-Programme sind Bestandteil der neuen Programme für kooperative Forschung und Entwicklung, die 2019 im Rahmen des „Canada Innovation and Skills Plan“ und der Verpflichtung zur Unterstützung von Unternehmensinnovationen angekündigt wurden. Über diese Programme werden verschiedene Projekte mit Bioökonomie-Bezug, beispielsweise in den Bereichen nachhaltige Proteinversorgung, Materialien für umweltfreundliche Kraftstoffe oder moderne Fertigung finanziert.
Als Teil des Ministeriums für Natürliche Ressourcen (Natural Resources Canada, NRCan), arbeiten die Wissenschaftler des Canadian Research Services (CFS) mit ihren Kollegen in den Regierungen der Provinzen und Territorien, der Industrie und den Universitäten zusammen, um neue Technologien für die Umwandlung von Biomasse und neue biobasierte Produkte zu erforschen. So entwickeln die CFS-Forscher im Great Lakes Forestry Centre beispielsweise neue biochemische Stoffe und forstwirtschaftliche Biomaterialien. Im Rahmen der „Boreal Bioprospecting Initiative“ arbeiten sie zusammen mit der Industrie daran, neue Verbindungen zu identifizieren, die als „grüne“ Chemikalien neuen Mehrwert schaffen und kommerziell genutzt werden könnten. Im Bereich der Biotechnologie erforscht der CFS eine Reihe von Anwendungen zur Verbesserung der Waldregeneration, zum Schutz der Wälder durch biologische Schädlingsbekämpfung und zur Erhaltung der genetischen Vielfalt der Wälder. Die Forschung im Rahmen des Bio-pathways-Projekts soll der Industrie helfen, die Wertschöpfung biobasierter Produkte zu erweitern und neue Märkte für Biochemikalien und andere neue biobasierte Produkte zu identifizieren.
Kanada stellt außerdem Gelder für strategisch wichtige Forschungsfelder – sogenannte Networks of Centres of Excellence (NCE) – zur Verfügung. Mit dem Haushalt 2018 wurde die Finanzierung des Programms NCE schrittweise in den New Frontiers in Research Fund überführt und darüber in den nächsten Jahren fortgeführt. Ein im Kontext der Bioökonomie relevantes NCE-Netzwerk ist Natural Products Canada (NPC), das von 2016 bis 2023 läuft und mit 14 Mio. CAD ausgestattet ist. Die Initiative soll die Forschung, Entwicklung und Vermarktung von Naturprodukten fördern, wobei der Fokus auf Nahrungsergänzungsmitteln und medizinisch wirksamen Kosmetika, funktionellen Lebensmitteln und Lebensmittelzutaten, landwirtschaftlichen Produkten, Futtermittelzutaten und Tierarzneimitteln sowie umweltfreundlichen Ersatzstoffen für chemisch hergestellte Produkte liegt. Das landesweite Netzwerk umfasst BioAlberta, Ag-WestBio Inc., die Universität von Guelph, das Institut für Ernährung und funktionelle Lebensmittel (Universität Laval) und die PEI BioAlliance.
Der Biomass Cluster (BMC) ist Kanadas erstes Forschungscluster, welches sich auf die Kommerzialisierung von Biomasse konzentriert. BMC wurde von BioFuelNet Canada entwickelt, das durch die Finanzierung früherer Networks of Centres of Excellence gegründet wurde. Der BMC hat eine Laufzeit von fünf Jahren (2018 bis 2023) und wird von der Canadian Agricultural Partnership und anderen Partnern unterstützt. Der BMC umfasst 22 Industriepartner sowie sieben Universitäten.
Eine führende Investitionsagentur im Bereich Umwelt und Klima ist Sustainable Development Technology Canada (SDTC). Die mit 1,09 Mrd. CAD ausgestattete Agentur unterhält u.a. zwei Fonds, die auf die Entwicklung und Demonstration innovativer technologischer Lösungen abzielen. Der mit 590 Mio. CAD ausgestattete SD Tech Fund unterstützt Projekte in den Bereichen Klimawandel, Luftqualität, sauberes Wasser und saubere Böden, während der mit 500 Mio. CAD ausgestattete NextGen Biofuels Fund die Errichtung von Demonstrationsanlagen für die Herstellung erneuerbarer Kraftstoffe der nächsten Generation fördert. Einige Erfolge der SDTC-Unterstützung sind: Enerchem Alberta Biofuels, Bioriginal und Nexterra Systems Corp. Viele Unternehmen profitieren zudem von einem Programm zur steuerlichen Absetzbarkeit von Kosten für Forschung und Entwicklung, dem „Scientific Research and Experimental Development Tax Incentive Program“.
Genome Canada ist eine unabhängige, staatlich finanzierte Non-Profit-Organisation, die auf nationaler Ebene eine führende Rolle im kanadischen Genomik-Ökosystem einnimmt. In sektorübergreifender Zusammenarbeit investiert die Organisation in die Genomforschung, Innovationen, Datenerhebung und die Rekrutierung zukünftiger Talente, um Lösungen für die größten Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Das Canadian Genomics Enterprise ist ein gesamtkanadisches Netzwerk, das Genome Canada und sechs unabhängige regionale Genomzentren umfasst. Dieses föderale Modell optimiert die Investitionen in die Genomforschung und -innovation, indem es die regionalen Stärken und Bedürfnisse mit den nationalen Prioritäten in Einklang bringt und Partnerschaften zwischen Industrie und Wissenschaft mobilisiert.
Liberaler Umgang mit Gentechnik
Der kommerzielle Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in der Landwirtschaft ist rechtlich erlaubt und findet statt: In Kanada werden gentechnisch veränderte (gv-)Nutzpflanzen hauptsächlich in Ontario und Quebec angebaut. Derzeit sind fünf gv-Nutzpflanzen auf dem Markt, darunter Raps, Sojabohnen, Körnermais und Zuckerrüben. Gentechnisch veränderte Luzerne wurde 2016 in kleinen Mengen eingeführt. Diese gv-Pflanzen werden meist als verarbeitete Lebensmittelzutaten und Tierfutter verwendet. Sie werden gentechnisch so verändert, dass sie insektenresistent und/oder herbizidtolerant sind. Im Jahr 2021 wurden in Kanada schätzungsweise über 8,6 Millionen Hektar mit gentechnisch verändertem Raps bepflanzt, was einem Anteil von 95 % der gesamten Rapsaussaat in diesem Jahr entsprach. Seit der Einführung vor 20 Jahren hat sich das Land zu einem der führenden Länder beim Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen weltweit entwickelt und liegt hinter den Vereinigten Staaten, Brasilien und Argentinien an vierter Stelle, wenn die für den gv-Anbau genutzte Fläche verglichen wird. Seit 2020 produziert Kanada auch gentechnisch veränderten Lachs. Der gv- Lachs war das allererste gv-Nutztier, das weltweit verkauft wurde. Er wurde erstmals 2017 in Kanada verkauft (von der kleinen Forschungseinrichtung von AquaBounty in Panama, die inzwischen geschlossen ist). In Kanada gibt es keine verpflichtende Kennzeichnung von gv-Lebensmitteln für die Verbraucher.
Die größten Unternehmen Kanadas kommen aus dem Banken, Versicherungs-, Öl-, Bergbau- und Gasbereich, gleichwohl gibt es auch in der Bioökonomie zahlreiche Akteure.
Laut dem Personalvermittler BioTalent Canada beschäftigten im Jahr 2019 rund 12.000 Unternehmen zusammen etwa 200.000 Mitarbeiter in der kanadischen Bioökonomie. Die überwältigende Mehrheit dieser Firmen sind dabei kleine oder mittlere Unternehmen: 83 % haben weniger als 50 Beschäftigte, und 55 % erwirtschaften einen jährlichen Bruttoumsatz von weniger als 1 Million CAD. Mehr als die Hälfte (54 %) der Firmen sind der Bio-Gesundheitsbranche zuzuordnen. Gleichzeitig sind viele Unternehmen auch in mehreren Teilsektoren der Bioökonomie tätig, wie der industriellen Bioökonomie oder der Agrar-Biotechnologie.
Viele der Unternehmen, die sich mit bioökonomischen Aspekten beschäftigen, forschen zur nachhaltigen Nutzung von Biomasse. Drei Unternehmen mit innovativen Ansätzen sind Enerkem, GreenField Speciality Alcohols Inc. und LCY Biosciences (früher BioAmber).
Enerkem entwickelt Alternativen zur Deponierung und Verbrennung von Abfällen. Das Unternehmen kooperiert mit der Stadt Edmonton und nutzt eine Technologie, die ermöglicht, Biokraftstoffe wie Ethanol aus kommunalen Abfällen zu gewinnen. Anstelle von Lebensmitteln wie Mais kann so Müll für die Produktion von Biokraftstoffen genutzt werden. Die Technologie wird schon erfolgreich in der Enerkem Alberta Biofuels Anlage in Edmonton angewendet.
GreenField Specialty Alcohols Inc. hat ein System zur Vorbehandlung von Biomasse entwickelt, das in der Lage ist, sowohl landwirtschaftliche Überreste als auch Holzbiomasse in Cellulose und Hemicellulose-Zucker zu verarbeiten.
LCY Biosciences (früher BioAmber) ist ein kanadischer Chemiekonzern, der im Bio-Industrial Park Sarnia 2015 die weltweit größte Anlage zur Produktion von biobasierter Bernsteinsäure eröffnet hat. Der genutzte Rohstoff ist aus dem regionalen Maisanbau gewonnene Glukose, die durch biotechnologische Verfahren umgesetzt wird. In Kanada findet jährlich die industrielle Bioökonomie-Konferenz „Scaling up“ statt, die einzige Konferenz Kanadas, die sich der Förderung industrieller biobasierter Lösungen für die Bedürfnisse einer kohlenstoffarmen Wirtschaft widmet.
Cluster
Kanada beherbergt ein dynamisches Innovationsökosystem für die Bioökonomie mit Industrieclustern, die sich im ganzen Land entwickeln. Dabei hat sich Kanadas biobasierte Industrie strategisch um bestimmte Regionen herum entwickelt, um die Kosten für den Zugang zu biobasierten Rohstoffen zu senken und von den wirtschaftlichen Vorteilen der Clusterbildung zu profitieren. Dies wiederum begünstigte die Entwicklung führender Technologien zur nachhaltigen Nutzung von Biomasse und die Herausbildung starker, wissensbasierter „Bio-Cluster“ im ganzen Land. Dazu gehören unter anderem:
- Drayton Valley, Alberta – ein Bio-Cluster, spezialisiert auf Landwirtschaft und die Entwicklung von Flachsfasern,
- BC Interior (Fort St. John und Prince George) – Cluster für Holzfaser und Bioenergie,
- Saskatoon, Saskatchewan – ein weltweit führendes Zentrum für Bio-Landwirtschaft, Proteine und Ölsaaten,
- Sarnia, Ontario – ein Bioraffinerie-Cluster mit Stärken in der Entwicklung von Biochemikalien und Bioenergie sowie einem starken Schwerpunkt in der Landwirtschaft, erstes Bio-Hybrid Cluster,
- Thunder Bay, Ontario – ein Cluster mit Fokus auf die Nutzung von Holz und Lignin,
- Winnipeg, Manitoba – bekannt für seinen Schwerpunkt auf Fasern für Biokomposite und funktionelle Lebensmittel,
- Trois Rivières, Quebec (Projekt La Toque BELT) – spezialisiert auf Biokraftstoffe und Bioenergie,
- Maritimes, Prince Edward Island – Möglichkeiten für Holzfasern, Meeresalgen, Sonderkulturen und Abfallströme in der Lebensmittelverarbeitung sowie Tiergesundheit.
Die wichtigsten Cluster von Biotechnologie- und Bioökonomie-Unternehmen sind in den folgenden Gemeinden angesiedelt:
Drayton Valley, Alberta
In Drayton Valley gibt es vier Hauptwirtschaftszweige: Öl und Gas, Land- und Forstwirtschaft. Die 2008 eingerichtete Drayton Valley Bio-Mile ist ein Industriegebiet, das an das Weyerhaeuser-Sägewerk und das Valley-Power-Heizkraftwerk in der südwestlichen Ecke von Drayton Valley angrenzt. Zur Unterstützung der erfolgreichen Ansiedlung von Unternehmen auf der Bio-Mile und der Ansiedlung neuer Start-ups hat die Stadt Drayton Valley das Clean Energy Technology Centre (CETC) eröffnet. Es ist das erste seiner Art in Alberta, das eine Reihe von Dienstleistungen in den Bereichen Bildung und Ausbildung, Unternehmensentwicklung und Inkubation sowie angewandte Forschung und Entwicklung anbietet.
Saskatoon, Saskatchewan
Als eines der weltweit führenden Zentren in den Biowissenschaften gehört Saskatoon zu einem der dynamischsten Standorte für Innovationen aus der Agrar-Biotechnologie und deren Kommerzialisierung. Der Saskatoon Cluster ermöglicht den Zugang zu großen Mengen an Stroh aus der Weizen- und Gerstenproduktion sowie zu Pflanzenölen aus Raps, Leindotter und Karinata.
Das Institut für Pflanzenbiotechnologie des National Research Council in Saskatoon bietet Unternehmen eine ganze Reihe von Dienstleistungen an, darunter den Zugang zu Laborflächen und modernsten Genomtechnologien. Das Partnerschaftsprogramm des Instituts unterstützt Unternehmen in den kritischen Anfangsjahren ihrer Entwicklung und sorgt für ein solides Fundament an technologischem und wirtschaftlichem Know-how. Ein Großteil der Biotech-Forschungsgemeinschaften ist um den Forschungspark Innovation Place und die University of Saskatchewan in Saskatoon angesiedelt. In Saskatoon selbst sind mehr als 40 Unternehmen ansässig, die innovative Forschungs- und Entwicklungsarbeit im Bereich der Agrar-Biotechnologie leisten, was etwa 30 % der kanadischen Aktivitäten in diesem Bereich entspricht. Der Cluster in Saskatoon fokussiert sich darauf, Märkte für funktionelle Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel und industrielle Bioprodukte zu etablieren. Zu den in Saskatoon tätigen Biotech-Unternehmen gehören unter anderem Bayer, Corteva, Linnaeus, InfraReady Products, Vittera und Cargill, Prairie Tide, Bioriginal, Novozymes BioAg.
Sarnia, Ontario
Sarnia-Lambton ist ein international führender Standort für Raffinerie- und Petrochemieprodukte im Südwesten Ontarios. Die bereits vorhandene Infrastruktur und Industrie bieten eine hervorragende Grundlage für die industrielle Bioökonomie. Der Standort gewinnt zunehmend an Bedeutung als Zentrum für die Erforschung und Entwicklung biobasierter Prozesse. Zu den heute dort ansässigen Unternehmen gehören u.a. Cargill, Suncor, Exxon, Shell, Arlanxeo, TransAlta, CF Industries, Nova Chemicals, LCY Biosciences, Suncor Ethanol und Woodland Biofuels.
Sarnia wird zunehmend als hybrider Chemiecluster anerkannt, da er seinen Schwerpunkt auf grüne und nachhaltige Technologien für das 21. Jahrhundert legt und außerdem die ansässige Erdölindustrie beibehält. Sarnia-Lambton ist gleichzeitig führend in der Produktion von Sojabohnen, Weizen und Mais, die für die Herstellung von Biokraftstoffen auf Getreidebasis und biobasierten Chemikalien verwendet werden. Das in Toronto ansässige Unternehmen Woodland Biofuels Inc. errichtete 2014-15 im Bioindustrial Innovation Canada Centre eine 12-Millionen-CAD-Demoanlage für „Zellulose-Ethanol“ und ist nun dabei, eine Anlage im kommerziellen Maßstab zu bauen.
Die Ethanolanlage von Suncor Energy in Sarnia-Lambton hat eine Produktionskapazität von 400 Millionen Litern Ethanol pro Jahr und ist damit die größte Ethanolanlage in Kanada. Außerdem beheimatet Sarnia die weltweit erste Anlage zur Produktion von biobasierter Bernsteinsäure, initiiert von BioAmber, heute LCY Biosciences.
Charlottetown, PEI
Charlottetown ist die Hauptstadt Prince Edward Islands (PEI), der kanadischen Atlantikregion, welche mit dem Agriculture and Agri-Food Canada Research and Development Centre über eine starke Forschungsinfrastruktur verfügt. Die PEI BioAlliance ist eine vom Privatsektor geleitete gemeinnützige Organisation, die für die Entwicklung und Koordinierung der Strategie für das Wachstum des PEI Bioscience Clusters verantwortlich ist. Seit 2005 unterstützt die BioAlliance die Arbeit von Unternehmen, akademischen Einrichtungen und Forschungsinstituten sowie Bundes- und Provinzbehörden bei der Etablierung des Life-Science-Sektors in der Provinz und Atlantikkanadas.
Netzwerke und Zusammenschlüsse
Das Bioeconomy Network (BEN) ist ein sektorübergreifender Zusammenschluss von Industrieverbänden mit einem klaren bioökonomischen Fokus. Mitglieder des BEN sind unter anderem BIOTECanada, Forest Products Association of Canada (FPAC) und die Canadian Bioenergy Association (CanBio). Neun Industrieverbände vertreten insgesamt mehr als 800 Mitgliedsunternehmen. Erklärtes Ziel ist es, das Potenzial der Bioökonomie zu nutzen und interessierten Akteuren der Industrie eine Stimme zu geben, indem ein Forum für den Austausch zwischen Regierungsvertretern und engagierten Industrie-Akteuren geschaffen wird.
Zudem gibt es mit BIOTECanada einen nationalen Industrieverband des Gesundheits-, Industrie-, und Biotechnologiesektors mit über 200 Mitgliedern. Thematisch steht die Biotechnologie klar im Mittelpunkt des Verbands. Aber auch bioökonomische Themen werden am Rande diskutiert.
Der in Sarnia, Ontario ansässige Bioindustrial Innovation Canada (BIC) Cluster ist eine von der kanadischen Regierung und der Provinzregierung in Ontario finanzierte Organisation, die sich auf die Entwicklung und Kommerzialisierung innovativer Technologien der industriellen Bioökonomie spezialisiert hat. Der BIC hat die Unterstützung von Unternehmen ausgeweitet und das Centre for Commercialization of Sustainable Chemistry Innovation (COMM SCI) gegründet, ein Zentrum für die Kommerzialisierung nachhaltiger chemischer und biobasierter Innovationen, das den teilnehmenden KMU geschäftliche und technische Unterstützung bietet.
Internationale Zusammenarbeit
Kanada ist Mitglied des Internationalen Bioökonomie-Forums (IBF). Das IBF wurde 2012 von Ländern auf der ganzen Welt ins Leben gerufen, um ihre individuellen Bioökonomie-Strategien auf die Entwicklung einer globalen und nachhaltigen Bioökonomie abzustimmen. Seitdem hat sich das IBF zu einer Plattform weiterentwickelt, die in Ad-hoc-Arbeitsgruppen organisiert ist, um die internationale Zusammenarbeit bei wichtigen Forschungs- und Innovationsprioritäten und -aktivitäten zu lenken, die für die Entwicklung einer globalen, nachhaltigen Bioökonomie entscheidend sind.
Recherche und Text dieses Dossier-Updates: Christin Boldt
Wir danken Warren Mabee (Queen’s University) und Murray McLaughlin (McLaughlin Consultants & Bioindustrial Innovation Canada BIC) für die Unterstützung bei der Recherche.