Ob Hering, Zander oder Lachs: Fisch rangiert auf der Liste der gesunden Lebensmittel ganz oben. Die Nachfrage ist seit Jahren ungebrochen hoch. In Deutschland wurden 2018 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes etwa 13,7 Kilogramm pro Kopf konsumiert. Doch welcher Fisch künftig auf dem Teller landet, bestimmt auch der Klimawandel, weiß Myron Peck. Er forscht an der Universität Hamburg am Institut für marine Ökosystem- und Fischereiwissenschaften und koordiniert seit 2016 das EU-Projekt Climate change and European aquatic RESources (CERES). Darin wird untersucht, welche Auswirkungen der Klimawandel auf Fischerei und Aquakultur in Europa hat. Das Projekt CERES wird im Rahmen des europäischen Forschungsprogramms Horizon 2020 mit 5,6 Mio. Euro gefördert. Daran beteiligt sind neben Forschungseinrichtungen und Universitäten auch Verbände und Industriepartner.
Warnsysteme für Fischerei und Aquakultur
Das Projektteam aus 26 Partnern aus 15 Ländern will Warnsysteme entwickeln, die Veränderungen der wichtigsten Fischpopulationen wie Dorsch, Hering und Sprotte in Nord- und Ostsee oder Anchovis, Sardinen und Thunfisch in Mittelmeer und Atlantik vorhersagen können. Dafür werden klassische Klimaerhebungen wie Temperatur und Salzgehalt mit biologischen Modellen zu Wachstum und Fischmigration mit ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Kenngrößen wie Fangquote und Preis kombiniert.
Verschiedene Szenarien für Europas Meere, sogenannte Regional Concentration Pathways (RCP), wurden erstellt. Ein Ergebnis: „Die Meeresoberflächentemperaturen werden bis zum Ende dieses Jahrhunderts um 3 bis 4° C steigen“, erklärt Peck. Ein anderes Szenario zeigt: Für den Fall, dass die Kohlenstoffemissionen bis 2060 neutral werden, würden sich Meere und Binnengewässer Europas nur um 1,5 bis 2,0° C erwärmen. Projektionen aus biologischen Modellen deuten darauf hin, dass einige Fischarten unter diesen Veränderungen leiden, andere profitieren. „Dies gilt insbesondere für die Nordsee, die eine Mischung aus Warm- und Kaltwasserfischen beherbergt“, ergänzt der Projektkoordinator. Insgesamt gibt es 24 Fallstudien, die regionsspezifische Ergebnisse zu den prognostizierten Auswirkungen des Klimawandels auf den Ozean liefern.
Veränderung der Meerestemperatur nach RCP-Szenario 8.5 bis zum Jahr 2100 (li.) und Veränderung der Produktivität von Phytoplankton (re.)
Doch was geschieht, wenn sich die Ozeane wie prognostiziert erwärmen? Welche Fischarten werden davon profitieren und welche nicht? Und was bedeutet das für den einzelnen Fischer und die Industrie insgesamt? Diese und ähnliche Fragen zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu beantworten, ist schwer. Mit den Vorhersagemodellen wollen die CERES-Forscher Fischern und Betreibern von Aquakulturanlagen, aber auch Politikern aussagekräftige Werkzeuge in die Hand geben, um frühzeitig Entscheidungen zu treffen und so auf Veränderungen schneller reagieren zu können.
Gewinner und Verlierer des Klimawandels erkennen
„Projektionen aus biologischen Modellen deuten darauf hin, dass es Gewinner und Verlierer geben wird. Diese Prognosen sind jedoch auch stark von den Fangquoten sowie den künftigen Preisen für Fisch und Brennstoffe abhängig“, erklärt Peck. Mithilfe von Onlinetools, die das CERES-Team derzeit entwickelt, sollen solche Veränderungen sichtbar gemacht werden. „Dazu gehören Prognosen aus Artenverteilungsmodellen, die das Ausmaß der polweisen Verteilungsverschiebungen bis Mitte und Ende des Jahrhunderts zeigen, und Instrumente, die helfen, geeignete Arten auszuwählen, um in einem zukünftigen, wärmeren Klima zu wachsen“, erläutert der Projektkoordinator.
Für die Erstellung der Klimaprojektionsmodelle wurden physiologische Daten aus Laborstudien zu den wichtigsten Fischpopulationen sowie Angaben aus europäischen Datenerhebungen genutzt. Die Daten geben unter anderem Auskunft, wie einzelne Fischarten auf Veränderungen von Wassertemperatur, Salz- oder Sauerstoffgehalt reagieren.
Modelle liefern Planungssicherheit
Neben dem sogenannten artspezifischen Habitat-Eignungsmodell wurden auch komplexere Modelle entwickelt, die sowohl die direkten Auswirkungen auf den Lebensraum als auch die indirekten Folgen des Klimawandels wie die Interaktionen der Arten oder die Produktivität der Fischerei simulieren. „Beide Arten von Modellen geben Fischern die Möglichkeit, große und langfristige Investitionen wie die Art und Kapazität der zu bauenden Schiffe und der zu kaufenden Ausrüstung besser zu planen. Sie sind aber auch für die Planung der Infrastruktur in Häfen wichtig und liefern Fischern wichtige Informationen für Gespräche mit politischen Entscheidungsträgern“, erklärt Peck.
Anhand der Modelle können auch Maßnahmen für das Fisch-Management neu definiert werden – etwa Schonzeiten für Fische oder Fangquoten neu festgelegt oder die Zuwanderung von Populationen in den Gewässern ermittelt werden. „Solche Prognosen tragen dazu bei, dass die Politik auf neue Arten, die in Regionen eindringen, besser reagieren kann“, betont Peck.
Vorhersagemodelle für die Aquakultur beziehen zudem lokale Umweltdaten mit ein und können die Rentabilität der Fischzucht beeinflussen. So können Prognosen erstellt werden, die tagesaktuell beispielsweise über schädliche Algenblüten in Gewässern informieren. „CERES hat zudem Onlinetools entwickelt, die es dem Aquakultursektor ermöglichen, Risiken und Chancen der Zucht bestimmter Arten in bestimmten Gebieten mittel- und langfristig zu identifizieren“, sagt Peck. „Dies gibt Hinweise darauf, wie sich die Kulturpraktiken an den bestehenden Betriebsstandorten verändern können.“
Vorhersage-Tools ab Februar 2020 verfügbar
Das Projekt CERES läuft noch bis Februar 2020. Ab März sollen die Vorhersage-Tools fertig und für Fischerei- und Aquakulturbetreiber online und frei zugänglich sein.
Autorin: Beatrix Boldt