Pollen-Biologie: Gute Haftung
Materialforscher der Universität Kiel haben gemessen, wie stark Pollen an bestimmten Blütenorganen haften.
Jetzt blüht es wieder in weiten Teilen Europas und wird gerne mal mit dem Löwenzahn verwechselt: das Gewöhnliche Ferkelkraut oder Hypochaeris radicata, wie Botaniker sagen. Bis spät in den Herbst leuchten seine gelben Blüten – und fliegen seine Pollen. Deren Reise haben sich jetzt Forscher der Universität Kiel näher angesehen und dabei analysiert, wie der Pollen an den unterschiedlichen Stationen seiner Reise haftet.
Pollenkitt kann Haftung auch schwächen
„Pollen, die von Insekten transportiert werden, bewältigen drei verschiedene Haftuntergründe: Wenn sie sich von ihrer Startblume lösen, auf dem Insekt anhaften und von dort schließlich auf der Zielblume abgesetzt werden. Wir wollen herausfinden, welche Haftmechanismen das ermöglichen“, erklärt der Bioniker Stanislav Gorb. Das bisherige Ergebnis hat das Team in der Fachzeitschrift „Journal of the Royal Society Interface“ veröffentlicht – es deutet auf eine unerwartete Komplexität hin.
Die gängige Annahme war bisher gewesen, dass der sogenannte Pollenkitt, eine ölige Hülle des Pollens, die Haftung entscheidend bestimmt. Die neue Untersuchung am Beispiel des Gewöhnlichen Ferkelkrauts hat nun gezeigt, dass der Pollenkitt unter bestimmten Bedingungen die gegenteilige Funktion hat, nämlich die Haftung aufhebt. Tatsächlich bestimmen neben dem Pollenkitt mehrere Faktoren die Stärke der Haftung: die Luftfeuchtigkeit, das Alter der Pollen und die Beschaffenheit des Haftungsuntergrunds. „Wir müssen die Haftmechanismen von Pollen viel differenzierter betrachten“, resümiert Gorb.
Haftung an der Narbe viel stärker als am Griffel
Wir stark die jeweilige Haftung ist, haben die Forscher mit einem Rasterkraftmikroskop gemessen. Auf der Narbe, dem weiblichen Organ, an dem die Insekten die in anderen Blüten gesammelten Pollen wieder abstreifen, haften die Pollen mehr als viermal so stark wie auf dem Griffel, dem männlichen Blütenteil, von dem sie durch Insekten abgelöst und gesammelt werden. Dadurch stellt die Pflanze sicher, dass nur ihre eigenen Pollen mit den Insekten auf die Reise gehen und fremde Pollen die eigenen Blüten erfolgreich bestäuben. „Wir nehmen an, dass die beiden Pflanzenteile im Laufe der Evolution unterschiedliche Funktionen herausgebildet haben, um den Prozess der Bestäubung zu optimieren“, interpretiert der Materialwissenschaflter Shuto Ito. „Mit diesem Haftsystem tragen die Pollen vermutlich entscheidend dazu bei, die Reproduktion von Pflanzen zu sichern.“
Mögliche Ableitungen für Chemie und Medizin
Den Unterschied in der Haftung der beiden Blütenbestandteile vermuten die Forscher in der Mikrostruktur deren Oberflächen. Diese wollen sie nun aufklären und für Anwendungen erschließen: „Wenn wir herausfinden, mit welchen Mechanismen wir solche Interaktionen von Mikropartikeln und Oberflächen steuern könnten, ließen sich daraus möglicherweise Schlüsse ziehen für Beschichtungs- und Druckprozesse, den Transport von medizinischen Wirkstoffen oder die Behandlung von Atemwegserkrankungen“, hofft Gorb.
bl