Blüten: Ein Gen sorgt für kurze Griffel
Potsdamer Genetiker haben ein Jahrhundert-Rätsel der Botanik geknackt: Bei Schlüsselblumen haben sie ein Gen entdeckt, das die Länge der weiblichen Blütenorgane steuert.
Ein einziges Gen regelt bei Schlüsselblumen maßgeblich das Längenwachstum der weiblichen Blütenorgane – und sorgt so dafür, dass eine Selbstbefruchtung vermieden wird. Mit dieser Entdeckung haben Pflanzengenetiker um Michael Lenhard vom Institut für Biochemie und Biologie der Universität Potsdam ein jahrhundertealtes Rätsel der Botanik aufgeklärt. Die Forscher berichten zusammen mit Kollegen aus England, der Schweiz und Japan im Fachjournal eLife über ihren Fund. Das Gen produziert ein Enzym, das gezielt in den Hormonhaushalt der Blüte eingreift.
Geschlechtsorgane in einer Blüte räumlich getrennt
Viele Pflanzen besitzen weibliche und männliche Geschlechtsorgane in einer Blüte. Oft haben sie Anpassungen entwickelt, um eine Selbstbefruchtung zu verhindern. So sollen die schädliche Folgen von Inzucht vermieden werden. Stattdessen soll die Fremdbestäubung – etwa durch Insekten – gefördert werden. „Eine der faszinierendsten Anpassungen in der Pflanzen-Evolution ist die sogenannte Heterostylie, also die Verschiedengriffligkeit“, sagt Michael Lenhard, „damit werden die weiblichen und männlichen Geschlechtsorgane räumlich voneinander getrennt“.
Die weiblichen Geschlechtsorgane in der Blüte sitzen im sogenannten Stempel: Die Griffel mit der Narbe bilden den nach oben ragenden Teil, der für die Bestäubung zuständig ist. Darunter liegt der Fruchtknoten mit den Samenanlagen. Die männlichen Geschlechtsorgane formen die Staubblätter mit den Pollen. Bei Arten mit verschiedenen Griffel-Längen kann man die Individuen in zwei Klassen einteilen. Bei der einen Form ist der weibliche Griffel lang, die männlichen Staubblätter sind kurz. Bei der anderen Form ist es umgekehrt.
Bereits Darwin war fasziniert
Die Bedeutung der Heterostylie wurde von keinem Geringeren als Charles Darwin entdeckt. Sie faszinierte den Vater der Evolutionstheorie so sehr, dass er umfangreich darüber schrieb. Doch auch Jahrhunderte später blieb ungeklärt, welche genetische und molekulare Basis dem Phänomen Heterostylie zugrunde liegt.
Die Schlüsselblume Primula veris hat den Potsdamer Forschern im wahrsten Sinne des Wortes den Schlüssel für die Lösung des Blüten-Rätsels geliefert. Von der Schlüsselblume, die im Volksmund auch Himmelsschlüsselchen genannt wird, existieren zwei Formen: langgriffelige und kurzgriffelige. Um verantwortliche Gene zu identifizieren, verglich das Forscherteam an der Universität Potsdam sämtliche aktiven Gene in den Blüten der kurzgriffeligen Form mit denen in der langgriffeligen Form. Dieser Vergleich führte die Forscher auf die Spur eines Gens, das nur in der kurzgriffeligen Form vorhanden ist, wo es spezifisch im sich entwickelnden Griffel aktiv ist. In der langgriffeligen Form fehlt das Gen komplett.
Ein Enzym baut Wuchsstoffe ab
Das Gen kodiert für ein Enzym, welches ein wachstumsförderndes Pflanzenhormon abbaut. Dieses Hormon, ein Brassinosteroid, fördert vor allem die Zellstreckung. Der Unterschied in der Griffellänge beruht auf unterschiedlicher Zellstreckung. Um zu zeigen, dass das Kandidaten-Gen tatsächlich für den Unterschied in der Griffellänge verantwortlich ist, untersuchten die Wissenschaftler eine Reihe von Fällen aus Schlüsselblumen und nahe verwandten Primel-Arten, bei denen die Blüten untypischerweise sowohl lange Griffel als auch lange Staubblätter bilden.
Wie erwartet, fehlte das Gen mit dem kryptischen Namen CYP734A50 in allen diesen Fällen entweder ganz, war mutiert und inaktiv oder wurde nicht abgelesen. Wie erwartet fand sich in den kurzen Griffeln im Vergleich zu den langen nur geringe Mengen des wachstumsfördernden Pflanzenhormons. Träufelten die Forscher das Pflanzenhormon gezielt auf die kurzgriffeligen Blüten, so ließ sich die Griffellänge auf den Wert der langgriffeligen Blüten anheben.
Mögliche Anwendung in der Hybridzüchtung
Die Funde der Potsdamer und Gaterslebener Pflanzengenetiker sind nicht nur wichtig, um die Evolution der Heterostylie zu rekonstruieren. Auch eine Anwendung der Ergebnisse für die Pflanzenzüchtung ist denkbar, zum Beispiel für die sogenannte Hybridzüchtung. Um den Ertrag von Nutzpflanzen zu steigern, verwendet die moderne Landwirtschaft sogenanntes Hybridsaatgut, das immer wieder durch Kreuzen unterschiedlicher Eltern hergestellt werden muss. Wäre es möglich, auch in Nutzpflanzen zwei Formen wie bei den Schlüsselblumen zu schaffen, die sich nur miteinander, aber nicht untereinander selbst fortpflanzen können, könnte das die Erzeugung von Hybridsaatgut deutlich erleichtern und dadurch direkt der Landwirtschaft zugute kommen.
pg