Parabelflug: Härtetest für Pflanzen
Forscher der Frankfurter Goethe-Universität untersuchen derzeit bei Parabelflügen, wie Pflanzen auf Schwerelosigkeit reagieren.
Mit 810 Stundenkilometern donnert der Airbus A310 „Zero-G“ der Firma Novespace über die Startbahn in Bordeaux, steigt in einem Winkel von 47 Grad steil an, um kurz darauf ebenso steil in die Tiefe zu fallen: Der Sturz im freien Fall dauert 22 Sekunden und sorgt für pure Schwerelosigkeit. Dieses waghalsige Manöver findet während eines sogenannten Parabelfluges statt und ist nicht nur bei Abenteuersuchenden beliebt. Vor allem Forscher schätzen das Manöver als Härtetest, um neue Techniken, Materialien, Therapien und Pflanzen im schwerelosen Zustand zu untersuchen. Unter der Leitung von Maik Böhmer vom ZERO-G-Labor der Goethe-Universität in Frankfurt am Main wurden Anfang November etwa 60.000 Pflanzen in einer Serie von Parabelflügen diesem Stresstest ausgesetzt.
Pflanzenforschung unter Schwerelosigkeit
Das Experiment findet an Bord der ehemaligen Kanzlermaschine „Konrad Adenauer" statt, die zu Forschungszwecken umgebaut wurde und seit 2015 bei der französischen Firma Novespace im Namen der Wissenschaft unterwegs ist. Im Fokus der Untersuchung: Arabidopsis thaliana. Die Pflanze, auch unter dem Namen Ackerschmalwand bekannt, ist in der Gravitationsbiologie ein beliebtes Modellsystem. Das Team um Böhmer will mithilfe der Parabelflüge herausfinden, wie diese Pflanzen auf Schwerelosigkeit reagieren. „Obwohl die Zeit der Schwerelosigkeit mit 22 Sekunden noch recht kurz ist, erwarten wir aufgrund von Vorversuchen im Fallturm bereits erste Erkenntnisse über entsprechend schnelle Primärprozesse bei der Schwerkraftwahrnehmung“, so Maik Böhmer.
Molekulare Prozesse im freien Fall messen
Unter dem Einfluss der Gravitationskräfte wachsen Pflanzenorgane sehr verschieden: Während die Wurzel zum Erdmittelpunkt wächst, bewegt sich die Sprossachse davon weg. Verantwortlich dafür sind Zellen, die mit einem Stärkekörper ausgestattet sind, sogenannten Statolithen. Mithilfe der Parabelflüge wollen die Forscher nun klären, welche molekularen Prozesse in der Schwerelosigkeit gesteuert werden. Sie wollen wissen, was in diesen Zellen passiert, und ob es einen Rezeptor in Pflanzen gibt, der bei Gravitation wirkt. Dafür haben die Frankfurter eigens eine Hardware entwickelt, welche die Pflanzen während des Parabelfluges in verschiedenen Phasen fixiert, sowohl bei einfacher und doppelter Schwerkraft als auch unter Mikrogravitation. Im Labor werden später die aktiven Signalprozesse mit moderner Massenspektrometrie sichtbar gemacht.
Grundlage für Züchtung neuer Pflanzen
Die achterbahnartigen Flugmanöver finden im Rahmen des Projektes IMPACT statt, das vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) als Projektträger des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) für drei Jahre mit 350.000 Euro gefördert wird. Projektleiter Enrico Schleiff und seine Arbeitsgruppe an der Goethe-Universität haben bereits mehrfach Arabidopsispflanzen veränderten Gravitationsbedingungen ausgesetzt. Neben Parabelflügen kann das Verhalten unter Schwerelosigkeit auch im Fallturm gemessen werden. Hier dauert der freie Fall etwa 4,7 Sekunden. Voruntersuchungen mit Arabidopsis thaliana im Fallturm zeigten bereits nach 2,7 Sekunden erste messbare Veränderungen in den frühen Signalprozessen. „Mit einem längeren Zeitfenster und mehr Messpunkten hoffen wir, nun ein Modell der pflanzlichen Schwerkraftperzeption und frühen Signaltransduktion aufstellen zu können“, sagt Schleiff. Das Team ist zuversichtlich, dass mithilfe eines besseren Verständnisses der molekularen Prozesse unter Schwerelosigkeit, die Züchtung neuer kompakter und ertragreicher Pflanzen möglich wird.
bb