Komplexe Peptide designen
Sonja BerensmeierBeruf
Biotechnologin
Position
Professorin für Selektive Trenntechnik der Fakultät für Maschinenwesen der Technischen Universität München
Beruf
Biotechnologin
Position
Professorin für Selektive Trenntechnik der Fakultät für Maschinenwesen der Technischen Universität München
Sonja Berensmeier will mithilfe von Computermodellen komplexe Peptide für technische Anwendungen designen.
Die computergestützte Modellierung und Simulation von Prozessen ist vielerorts heute Standard. In der Biotechnologie werden derartige Computermodelle bisher eher selten genutzt. Sonja Berensmeier will das ändern. Die Münchner Biotechnologin nimmt sich dafür die Multitalente unter den Biomolekülen vor: die Peptide. Im Rahmen der Initiative "Nächste Generation biotechnologischer Verfahren - Biotechnologie 2020+" untersucht sie die Biomoleküle und deren Wechselwirkung mit verschiedenen Materialien. Mithilfe von Computermodellen will die Forscherin Peptide funktionalisieren und so für technische Anwendungen maßschneidern.
Was verbirgt sich hinter der Idee der rationalen Entwicklung von Peptid-Oberflächen-Interaktionen?
Obwohl die Wechselwirkungen zwischen Peptiden oder Proteinen mit Oberflächen allgegenwärtig sind und ein riesiges Potenzial für Medizin, Diagnostik und Biotechnologie bieten, sind sie bisher wenig erforscht. Die Idee ist es, die Wechselwirkungen einzelner Aminosäuren mit unterschiedlichen Materialien systematisch bottom-up zu verstehen und mithilfe von Computermodellen komplexe Peptide zu designen, die gezielt technisch genutzt werden können. In erster Linie geht es in dem Projekt um Peptide, die als sogenannte Markierung Zielmolekülen eine neue Funktionalität geben. Zum Beispiel können diese unter bestimmten Umgebungsbedingungen so gezielt und sehr selektiv an die Oberflächen gebunden und auch wieder gelöst werden.
Wo liegen die Schwierigkeiten bei der Herstellung von Peptidbindungen für technische Anwendungen und wie können Computermodelle dabei helfen?
Während in vielen Branchen, wie der Automobilindustrie und der Entwicklung elektronischer Komponenten, neue Produkte fast vollständig mihilfe von Modellierung und Simulation entwickelt werden, stehen diese Ansätze für Probleme der Biotechnologie noch am Anfang einer Entwicklung. Es müssen transferierbare Struktur-Eigenschaftsmodelle entwickelt werden, die jedoch wegen der Komplexität der Peptide und der heterogenen Materialien in einer meist salzhaltigen wässrigen Lösung nicht trivial und nur wenig verstanden sind. Aufgrund des großen bis nahezu unendlichen Parameterraums sind experimentelle Arbeiten nur ein Tropfen auf den heißen Stein, die durch immer besser werdende Computermodelle unterstützt werden müssen, um eine möglich robuste Vorhersage machen zu können.
Welche Vorteile bieten Modellierung und Simulation, um die Interaktion von Biomolekülen und Oberflächen zu verstehen?
Die Anzahl der möglichen Biomoleküle steigt astronomisch mit der Größe der verwendeten Moleküle. So übersteigt die Anzahl der möglichen Peptide der mit einer Länge von 20 Aminosäuren die Anzahl der Atome im Universum. Da die verfügbare Rechenleistung ständig steigt, können Modelle und Simulationen signifikant dazu beitragen eine größere Anzahl von Biomolekülen systematisch zu untersuchen, sodass nur die wirklich erfolgversprechenden Moleküle unter vergleichbar größerem Aufwand experimentell hergestellt und getestet werden müssen. Darüberhinaus können Computermodelle helfen, wissenschaftliche Modelle für die Funktionalisierung von Oberflächen zu etablieren, die unser Verständnis für die Wechselwirkung zwischen Biomolekülen und Oberflächen auch außerhalb einer spezifischen Anwendung weiterentwickeln.
Nennen Sie ein Beispiel, wo die Funktionalisierung rationaler Peptide mittels eines Computermodells schon heute funktioniert?
Wir konnten in gemeinsamen Arbeiten durch Wiederholung experimenteller Untersuchungen und Simulationen Peptide entwickeln, die spezifisch an magnetische Nanoteilchen binden und unter bestimmten Umgebungsbedingungen getrennt werden können. Durch die Kombination von Experiment und Computermodellen konnten eine Vielzahl von Umgebungsparametern systematisch variiert werden, um die optimalen Biomoleküle für spezifische, industriell relevante Anwendungen zu finden.
Könnten solche Interaktionen auch mittels Künstlicher Intelligenz vorhergesagt werden?
Verfahren der Künstlichen Intelligenz können helfen, die bestehenden Simulation-basierten Computermodelle weiter zu beschleunigen. Hierbei werden aufwendige, auf physikalischen Gesetzen basierende Simulationen durch neuronale Netze ersetzt, die den Ausgang dieser Simulationen auf Basis bestehender Daten erlernen. Eine weitere wichtige Anwendung von Verfahren der Künstlichen Intelligenz besteht darin, die Simulationen nicht vollständig zu ersetzen, aber die Richtung im hochdimensionalen Suchraum vorzugeben, in dem das Verfahren vollautomatisch nach optimierten Biomolekülen sucht.
Interview: Beatrix Boldt