Schleimpfeile faszinieren Materialforscher
Mit Schleimfäden geht der Stummelfüßer auf Jagd. Wie Materialforscher entdeckten, werden die Fäden erst durch das Zappeln der Beute zu festen Polymerfasern.
Die Natur ist für Forscher von jeher ein guter Ratgeber. Vor allem Materialforscher und Bioniker ließen sich in der Vergangenheit öfters von Tieren inspirieren. So lieferten Fliegen, Spinnen und Muscheln die Vorlage für stahlharte Fasern oder Unterwasserkleber, die Medizin und Industrie bereicherten. Mit dem Stummelfüßer bekommt die Liste der natürlichen Vorbilder einen neuen Kandidaten. Forscher der Universität Kassel und dem Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam konnten bei dem wurmähnlichen Tier mit raupenhaften Beinen einen spannenden Mechanismus beobachten, der Anregung für neue Polymermaterialien liefert. Wie die Forscher im Fachjournal „Nature Communications“ berichten, handelt es sich dabei um ein klebriges Sekret, das der Stummelfüßer verspritzt, um Feinde abzuwehren und Beute zu fangen.
Schleimfasern versteifen bei Krafteinwirkung
Was die Forscher besonders faszinierte: Die Schleimfäden werden für das erbeutete Tier zum Gefängnis, sobald es sich bewegte. „Die bei der Bewegung auf den Schleim wirkenden Scherkräfte sorgen dafür, dass dieser zu steifen Fäden aushärtet“, erklärt Alexander Bär von Universität Kassel, das Phänomen. Der Biologe hatte gemeinsam mit Potsdamer Wissenschaftlern das schleimige Sekret einer australischen Stummelfüßer-Art genauer untersucht. Dabei interessierte sie besonders, wie sich Zusammensetzung und Struktur des Sekrets während der Fadenbildung verändern.
Präzise Kette aus Fett- und Eiweißmolekülen
Bekannt war, dass der Schleim aus großen Proteinmolekülen und Fettsäuren besteht. Am Potsdamer Max-Planck-Institut fanden die Forscher nun heraus, dass Eiweiße und Fette gemeinsam winzige Kügelchen formen. „Die Stummelfüßer produzieren die Protein- und Fettmoleküle sowie weitere Komponenten separat. Außerhalb der Drüsenzellen formen sich die Nanoglobuli dann eigenständig und sorgen für die fadenbildenden und klebrigen Eigenschaften“, erläutert Bär. Das Besondere dabei ist die Präzision, mit der diese Kügelchen gebildet werden. Sie waren im Durchmesser immer etwa 75 Nanometer groß.
Recycelbare Polymerfasern: Der Schleim von Stummelfüßern enthält Nanokugeln aus Fetten und Proteinen. Scherkräfte bewirken, dass die Proteine Fasern bilden, die von einer fettreichen Schicht eingehüllt werden. Diese lösen sich in Wasser wieder zu den ursprünglichen Nanopartikeln auf, aus denen sich das Polymer erneut formen kann.
Schleimfäden so fest wie Nylon
Sobald die Scherkräfte auf den Schleim wirkten, wurden Proteine und Fettsäuren voneinander getrennt, so dass die Kette der Nanoglobuli zeriss. Die Steifigkeit der Fäden blieb aber erhalten. „Während Proteine sich im Inneren des Schleimfadens zu langen Fasern formieren, werden die Fett- und Wassermoleküle nach außen verdrängt und bilden dort eine Art Ummantelung“, erklärt Bär. Die Forscher stellten auch fest, dass der Proteinstrang im Inneren eine Steifigkeit aufweist, die der von Nylon ähnelt, was die Besonderheit der Fäden erklärt.
Beispiel für neue reversible Materialien
Weitere Untersuchungen zeigten, dass sich die ausgehärteten Schleimfäden nach dem Trocknen relativ schnell wieder in Wasser auflösen ließen und der zurückgewonnene Schleim sich erneut zu klebrige Fäden weben ließ. Außerdem: Unter Krafteinwirkung versteiften sich diese neuen Schleimfäden wie das ursprüngliche Sekret und das bei ganz normalere Umgebungstemperatur. „Das ist ein schönes Beispiel für einen vollständig reversiblen und beliebig wiederholbaren Regenerationsprozess“, sagt der Potsdamer Biochemiker Matt Harrington. Die Forscher sind überzeugt, dass der Mechanismus die "Jagdwaffe" des Stummelfüßers Materialforscher zu neuen Biomaterialien inspirieren könnte.
bb