Spinnenseide-Fäden aus dem Labor
Erstmals hat die Firma AMSilk biotechnisch hergestellte Spinnenseide zu Fasern verarbeitet. Wie das natürliche Vorbild sind sie extrem belastbar, prädestiniert für den Einsatz in Hightech-Textilien.
Das erste rein von Menschenhand hergestellte Spinnennetz ist in Martinsried aufgespannt. In seinen Materialeigenschaften steht das Kunstwerk seinem natürlichen Vorbild, dem Netz der Gartenkreuzspinne, in nichts nach. Das Spinnennetz ist ein Produkt des Biotechnologie-Unternehmens Amsilk. Nach vielen Jahren Tüftelei ist es dem Spin-off der TU München gelungen, biotechnologisch hergestellte Spinnenseide zu Fasern zu verarbeiten – und das in einem Spinnprozess, der sich für die Produktion im industriellen Maßstab eignet. Der am 11. März 2013 erstmals vorgestellte Zwirn ist außergewöhnlich reißfest und verträglich. Unter dem Namen „Biosteel“ sind die Fasern für den Einsatz in Hightech-Textilien, etwa für Sport, Medizin und Militär, vorgesehen.
Es ist ein Meilenstein, den selbst Thomas Scheibel lange nicht für möglich gehalten hat. Der Biomaterialforscher von der Universität Bayreuth hatte einst die biotechnologische Produktion des Spinnenseide-Proteins durch die Mikrobe Escherichia coli entwickelt und so die Grundlagen für die Gründung von Amsilk gelegt. „Aber ich habe immer proklamiert: Niemand wird es schaffen, den Spinnfaden in seinen mechanischen Eigenschaften nachzubauen“, erzählt Scheibel.
Technischer Spinnprozess von der Natur inspiriert
Heute ist er stolz, dass er sich getäuscht hat – und der Nachbau in Eigenregie nun geglückt ist. In enger Kooperation mit den Bioingenieuren von Amsilk hat Scheibel bei Spinnen erforscht, wie die Tiere das flüssige Seidenprotein in wenigen Millisekunden zu einem festen Faden formen, der nicht verklumpt. Unter anderem wurden diese Arbeiten auch durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt.
Das rekombinante Spinnseidenprotein von Amsilk ist als Rohmaterial ein weißes Pulver, das ohne großen Aufwand in Fässern gelagert werden kann. Soll aus dem weißen Staub ein Faden werden, wird im Labor zunächst eine Spinnlösung hergestellt und diese kann dann in einem technischen Prozess zu einem endlosen Mono- oder Multifilament gesponnen werden.
Auf Spulen aufgewickelt harren die künstlichen Spinnseide-Fäden ihrer weiteren Verarbeitung. „Wir haben den skalierbaren Prozess im Labormaßstab etabliert“, bilanziert Amsilk-Geschäftsführer Axel Leimer. Im Laufe dieses Jahres solle nun eine Pilotanlage aufgebaut und die Faserproduktion im Technikumsmaßstab optimiert werden.
Die Biotech-Spinnenseiden-Faser eignet sich für Textilien, die extremen Anforderungen genügen müssen.
Im Leistungstest haben die Faserprototypen bereits überzeugt: „Hinsichtlich der Belastbarkeit und Zugfestigkeit sind sie mit den Gartenkreuzspinnen-Fäden vergleichbar“, sagt Leimer. Ihre außergewöhnlichen mechanischen Eigenschaften, aber auch die gute Verträglichkeit und Geschmeidigkeit machen die Hightech-Fasern für verschiedene Branchen interessant. So seien Anwendungen in technischen Hochleistungstextilien in Sport und Medizin denkbar, aber auch chirurgische Fäden oder Wundauflagen könnten daraus entstehen.
Hightech-Faser für Schutzwesten
Auch Militär und Polizei könnten dereinst von dem extrem leichten und dehnbaren Werkstoff profitieren: „In Kombination mit Keramikmaterialien ist die Verwendung in kugelsicheren Westen denkbar. Diese hätten einen deutlich höheren Tragekomfort“, so Leimer. Laut dem Amsilk-Chef haben bereits Akteure aus verschiedensten Branchen Interesse an den Super-Fasern aus Martinsried bekundet. Amsilk hofft, an solche Firmen Lizenzen zu vergeben. „2015 könnten Produkte, in denen Spinnenseidefasern stecken, den Markt erreichen“, prognostiziert Leimer. Bis dahin wollen die Biotechnologen auch noch weiter an dem Moleküldesign ihrer Kunstfasern tüfteln und sich dabei mehr und mehr von dem natürlichen Vorbild Gartenkreuzspinne lösen. So sollen schon im nächsten Jahr verschiedene Varianten von Biosteel entwickelt werden, maßgeschneidert etwa für die Anwendungen in der Medizintechnik oder eben in der Ballistik.
Auch der Bayreuther Biomaterialforscher Scheibel sieht da noch jede Menge Potenzial: „Im Labor haben wir bereits Indizien, dass wir die natürlichen Eigenschaften der Spinnenseide noch übertreffen können.“ Auch in der Natur sind die Forscher auf der Suche nach neuen Vorbildern bereits fündig geworden. Wie Scheibel berichtet, lebt auf Madagaskar eine Spinne, die ihre Fäden über Flüsse hinwegspannt. „Sie produziert einen Faden, der die mechanischen Eigenschaften unserer Spinnfäden nahezu um das Dreifache übersteigt."
Autor: Philipp Graf