Bio-Stents, Muscheln und Koffein
Muschelkleber für gebrochene Knochen, Bioplastik aus Koffein oder abbaubare Bio-Stents waren nur einige der Ideen, die jüngst in Berlin bei der BIONNALE vorgestellt wurden.
Nicht ganz ohne an das bekannte Filmfestival zu denken, wurde vor 15 Jahren der Name BIONNALE dafür gewählt, wenn sich jedes Jahr die Life-Science-Szene von Berlin-Brandenburg trifft. Die von Berlin Partner und dem Cluster Health Capital ausgerichtete Veranstaltung hat sich inzwischen fest im Kalender etabliert und ist zu einer großen Konferenz gewachsen, auf der von Biotech über Pharma bis hin zu Medizintechnik und Bioökonomie alle relevanten Schwerpunkte der Life-Science-Forschung diskutiert werden. Mit 1.000 Besuchern aus 30 Ländern wurde 2017 zudem ein neuer Besucherrekord aufgestellt.
Facebook für Forscher
Mit 30 Vorträgen und 40 Pitches war das Programm prall gefüllt. In der Keynote am Vormittag stand das Thema „Open Science“ im Fokus. „Der Wissenschaftsfortschritt lebt von der offenen Kommunikation unter Forschern. Sie brauchen die Möglichkeit, sich über Erfolge und Misserfolge auszutauschen“, betonte Ijad Madisch, Geschäftsführer und Gründer der Plattform Researchgate. Im Jahr 2005 ging das „Facebook für Forscher“ erstmals an den Start, inzwischen haben die Berliner bereits zwölf Millionen Nutzer auf der ganzen Welt – Tendenz steigend.
Mit Koffein-Stoff zu Bioplastik
Zu den weiteren Bionnale-Highlights am Abend zählte unter anderem der Speed Lecture Award, der in diesem Jahr von Pitch Doctor Christoph Sollich moderiert wurde. Sechs Wissenschaftler aus der Region Berlin-Brandenburg hatten die Gelegenheit, mit 3minütigen Pitches das Publikum von ihrer Forschungsarbeit zu überzeugen. Das inhaltliche Spektrum war so breit, wie die Life Sciences sein können. Ein Projekt aus der Bioökonomie ließ dabei aufhorchen. Ryan Guterman vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung stellte dabei einen Ansatz vor, wie sich eine eng mit Koffein verwandte Substanz – das Theophyllin – für die Herstellung von Polymeren nutzen lässt. Derart gewonnene Substanzen lassen sich zu hauchdünnen Membranen formen, konnten die Forscher zeigen. Diese sind beispielsweise für neuartige Lithium-Batterien interessant, so Guterman. Zu finden ist Theophyllin in Teeblättern, Kaffeebohnen und Kolanüssen. „Mit unserem Prozess können wir einen pflanzenbasiertes Verfahren zur Polymerproduktion liefern und hier die Abhängigkeit von Erdöl verringern“, berichtete der Forscher in seinem Pitch. Aufs Siegertreppchen des Speed Lecture Awards schaffte es der ursprünglich aus Kanada stammende Wissenschaftler mit seiner Idee am Ende nicht. Am meisten konnte das Publikum ein Team um Constantin Wiesener von der TU Berlin überzeugen: Sie stellten eine spezielle Form der Elektrostimulation vor, durch die Rollstuhlfahrer mit ihren gelähmten Beinen wieder Bewegungen wie Fahrradfahren oder Schwimmen selbst durchführen können.
Die BIONNALE
Die BIONNALE ist eine jährliche Veranstaltung in Berlin, auf der sich Experten aus Biotechnologie, Pharma, Medizintechnik und Bioökonomie zu neuesten Trends austauschen.
Muschelkleber mit synthetischer Biologie industrietauglich herstellen
Ein anderes Team um Matthias Hauf der TU Berlin präsentierte am Nachmittag eine vielversprechende Idee für biobasierte Wundkleber. Den Rohstoff für ihren auch in wässrigen Umgebungen funktionierenden Kleber haben sie in Muscheln gefunden, berichtete Matthias Hauf. Der Clou: Die Klebefunktion lässt sich gezielt durch Licht induzieren. Die Berliner Forscher sehen darin ein großes Anwendungspotenzial bei der Behandlung von Knochenbrüchen, aber auch als Bindemittel für antimikrobielle Oberflächen oder in der Wundversorgung. „Inzwischen haben wir einen Prozess etabliert, mit dem sich das entsprechende Muschelprotein auch mit Bakterien herstellen lässt“, so der Forscher. Dabei kommt wiederum ein spezielles Enzym zum Einsatz, das durch die Arbeiten zu neuartigen Aminosäuren im Team von TU-Professor Nediljko Budisa entstanden ist. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Projekt im Rahmen der Förderinitiative „Neue Produkte für die Bioökonomie“ soll nun das Anwendungspotenzial des Muschelklebers weiter evaluiert werden. Hauf: „Dann entscheiden wir, wie wir das Verfahren gezielt kommerzialisieren können.“
Schnelle Pharmaproduktion mit Enzymen
Bereits ausgegründet hat sich wiederum das Team um Katharina Paulick. Unter dem Dach des Start-ups BioNukleo bringen sie ein neues Verfahren auf den Markt, um bestimmte Nukleosid-basierte Pharmawirkstoffe, die Cladribine, mithilfe von Enzymen schneller und damit kostengünstiger produzieren zu können. „Wo bisherige Verfahren vier Schritte brauchen, geht es bei uns in einem“, berichtete Paulick in Berlin. Nun ist das aus vier Frauen bestehende Gründerteam auf der Suche nach einem Industriepartner, um den biobasierten Prozess so hochzufahren, dass er nicht nur im Labor, sondern auch in der Industrie im großen Maßstab funktioniert.
Auflösender Bio-Stent zur Behandlung von verengten Herzgefäßen
Am Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik (IPK) wird indes an Bio-Stents gearbeitet, die sich innerhalb von 14 Tagen im Körper abbauen. Dies sei eine gute Option für Patienten mit einer Herzkranzgefäßerweiterung, die bisher mit Kathetern oder permanenten Stents behandelt werden müssen. „Diese Behandlungsverfahren führen meist zu winzigen Verletzungen in den Gefäßen, was eine Thrombose-Gefahr erhöht“, berichtete IPK-Forscher Christopher Hein. Ein sich selbst abbaubarer Stent würde nur einmal die Gefäße weiten und sich dann auflösen. Von 2014 bis 2016 konnten die Forscher ihren auf Gelantin-Basis entwickelten Bio-Stent in einem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt bereits an Schweinen testen. Inzwischen wurde auch ein Stent mit dem Biopolymer Polyhydroxybuttersäure (PHB) hergestellt. Dieses Material baut sich laut Hein innerhalb von drei Monaten im Körper ab.
Prozessanalytiker in Berlin gründen neuen Verein
Dass es auch im Berlin-Brandenburger Raum einer stärkeren Vernetzung von Forschern und Unternehmen in der Bioverfahrenstechnik bedarf, stellte Anika Bockisch von der TU Berlin klar. Gerade die rasanten Entwicklungen in der Digitalisierung, der Biosensorik und Automatisierung erfordern aus ihrer Sicht eine enge Kooperation – auch um neue Ansätze möglichst effizient von der Idee bis zum Markt zu bringen. Vor diesem Hintergrund hat sich Bio-PAT organisiert – ein neuer Verein mit Fokus auf die biobasierte Prozessanalysentechnik (PAT), der Mitte 2017 seine Arbeit aufnehmen wird und aktuell 19 Mitglieder aus Wissenschaft und Wirtschaft vorweisen kann. „Wir wollen die Akteure in der Analytik- und Prozesstechnik so vernetzen, dass sie gute Ideen gemeinsam voranbringen können. Wir als Verein können dabei zum Beispiel bei der Antragstellung für nationale oder internationale Förderprogramme unterstützen“, so Bockisch.
sw