Synthetische Biologie: Künstliche Zelle, die sich bewegt
Premiere in der synthetischen Biologie: Forscher aus München haben eine künstliche Zelle gebaut, die sich selbst bewegt und verformt.
Schon lange haben Bioingenieure die Absicht, künstliche Zellen zu schaffen – sei es, um Wirkstoffe und Biomaterialien herzustellen oder die Zellen eines Tages für die regenerative Medizin zu nutzen. Biophysiker der Technischen Universität München sind nun gemeinsam mit US-Forschern einen entscheidenden Schritt weiter gekommen: Dem Team um Andreas Bausch ist es erstmals gelungen, ein einfaches zellähnliches Modell zu erzeugen, das sich von allein bewegt und verformt. Über ihre Ergebnisse berichten die Forscher jetzt im Fachjournal Science (2014, Online-Veröffentlichung).
Die Forscher haben sich am Modell der synthetischen Biologie orientiert und ihr Zellmodell minimalistisch angegangen. Normalerweise ist eine Zelle ein komplexes Gebilde mit einem ausgeklügelten Stoffwechsel. Ihr evolutionärer Vorfahr, die Urzelle, bestand hingegen nur aus einer Membran und wenigen Molekülen. Aus Sicht der Forscher ein perfekt arbeitendes System, das sie sich zur Vorlage genommen haben.
Auch die Münchener setzen lediglich auf einer Membranhülle aus Lipiden, zwei verschiedenen Sorten von Biomolekülen und einem Kraftstoff. Innerhalb der Lipidschicht befinden sich Bestandteile des Zytoskeletts, sogenannte Mikrotubuli. Diese sind aus sogenannten Kinesinen aufgebaut, die innerhalb natürlicher Zellen Moleküle am Zellgerüst entlang transportieren. Befeuert wird dieser molekulare Motor mit dem Zellkraftstoff ATP. Die Mikrotubuli-Röhrchen bilden im Experiment direkt unter der Membran einen zweidimensionalen Flüssigkristall, der ständig in Bewegung ist. „Man kann sich diese Flüssigkristallschicht vorstellen wie Baumstämme, die auf einem See treiben", erklärt Felix Keber, Erstautor der Studie. „Wird es zu dicht, ordnen sie sich parallel an und können doch noch aneinander vorbeitreiben."
Bewegungsmechanismus entschlüsselt
Die Bausteine in der Kristallschicht bewegen sich periodisch und folgen einer bestimmten Geometrie. Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten, die dahinterstecken, haben die Wissenschaftler entschlüsselt. Sie werden künftig für die Erschaffung komplexerer Zellsysteme nützlich sein. Die Kunst-Zelle bewegt sich übrigens nicht nur einfach hin- und her: Ihr Modell konnten die Forscher sogar dahingehend verformen, dass sie stachelige Fortsätze bildet, wie sie Einzeller zur Fortbewegung nutzen. „Mit unserem synthetischen biomolekularen Modell haben wir eine ganz neue Möglichkeit geschaffen, um minimale Zellmodelle zu entwickeln. Es ist ideal geeignet, um modular die Komplexität zu erhöhen und so kontrolliert zelluläre Prozesse wie Zellmigration oder Zellteilung nachzubauen “, erklärt Biophysiker Andreas Bausch. Dass das künstlich geschaffene System vollständig physikalisch beschrieben werden kann, nährt bei den Forschern auch die Hoffnung, dass bei den nächsten Schritten auch die physikalischen Gesetzmäßigkeiten der vielfältigen Zellverformungen analysiert werden können, so Bausch.
Finanziert wurden die Arbeiten unter anderem im Rahmen des Exzellenzclusters Nanosystems Initiative Munich (NIM), der 2006 im Rahmen der Exzellenz-Initiative der Deutschen Forschungsgemeinschaft als Excellenzcluster ausgewählt und von dieser seither gefördert wird. Im Projekt arbeitet ein interdisziplinäres Team von Physikern, Biophysikern, Biochemikern, Biologen, Elektrotechnikern und Medizinern zusammen, um ihr Wissen über künstliche und biologische nanoskalige Systeme zu bündeln. Ihr Ziel ist es, verschiedene künstliche und multifunktionale Nanosysteme zu entwickeln, kontrollieren zu lernen, und für Anwendungen in der Informationstechnologie, der Biotechnologie oder deren Kombination zu erschließen. Darüber hinaus gehört Bausch zu jenen Forschern, die eine millionenschwere Förderung des European Research Council ergattern konnten.