Pflanzen-Biodiversität: Viele kleine Verlierer, wenige große Gewinner
In den vergangenen hundert Jahren haben sich die Pflanzenbestände in Deutschland stark verändert. Unter dem Strich steht ein Verlust.
Das Artensterben ist neben dem Klimawandel die zweite große globale Krise unserer Zeit. Ein Forschungsteam der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung Halle-Jena-Leipzig hat nun aufgearbeitet, wie sich diese Krise an den Pflanzen in Deutschland zeigt. Demnach haben deutlich mehr Arten Bestandsverluste zu verzeichnen, als es Gewinner gibt, wie die Forschenden im Wissenschaftsjournal „Nature“ berichten.
1.800 Pflanzenarten seit 1927 erfasst
Das Team hat dazu lokale Erhebungen der pflanzlichen Artenvielfalt von mehr als 7.700 Flächen für den Zeitraum 1927 bis 2020 zusammengetragen und ausgewertet. Rund 1.800 Pflanzenarten waren darin erfasst, was etwa der Hälfte aller bekannten heimischen Arten entspricht. Meist sind die Erhebungsflächen nur zehn bis 20 Quadratmeter groß. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Pflanzen dort unbemerkt verschwinden oder neu auftauchen, ist gering“, betont Ute Jandt von der MLU eine Stärke dieses Ansatzes. Auf der anderen Seite ist es möglich, dass Bestände kurzlebiger Arten nur wenig gewandert sind und nun plötzlich neu oder nicht mehr auf diesen Erhebungsflächen auftreten, was das Bild im Einzelfall verzerren kann.
1.011 Pflanzenarten schrumpfen in ihrem Bestand
Unter dem Strich ist das bundesweite Bild jedoch klar: 1.011 der untersuchen Arten sind in ihren Beständen seit 1927 geschrumpft. Hingegen weisen 719 Arten einen positiven Bestandstrend auf. Dabei fällt jedoch ein Muster auf, wie Geobotaniker Helge Bruelheide von der MLU herausstellt: „Überraschender war, dass sich die Verluste viel gleichmäßiger verteilen.“ Damit meint er, dass viele Arten kleinere Verluste zu verzeichnen hatten, einige wenige jedoch große Gewinne. Unter diesen Gewinnern sind Bäume wie die Spätblühende Traubenkirsche und die Roteiche, die beide ursprünglich aus Nordamerika stammen, und die frostempfindliche Stechpalme, der das Überwintern infolge der Klimaerwärmung immer leichter fällt. Verlierer sind vor allem viele Acker- und Wiesenwildkräuter wie Kornblume und Acker-Witwenblume sowie Feuchtwiesenarten wie der Teufelsabbiss.
Zusammenhang mit der Intensivierung der Landwirtschaft
Für die Verluste deuten die zeitlichen Faktoren auf eine wesentliche Ursache: Sie waren am stärksten seit dem Ende der 1960er-Jahre und damit seit der starken Intensivierung der Landwirtschaft. Zugleich weisen die Daten darauf hin, dass dieses Problem erkannt worden ist: „Inzwischen aber zeigen sich auch die Erfolge von Naturschutzmaßnahmen, so dass sich der nach wie vor anhaltende negative Trend etwas abgeschwächt hat“, berichtet Bruelheide.
Weil bislang derartige Zeitreihen nur für wenige Länder der Erde ausgewertet wurden, sind vor alle regionale Trends der pflanzlichen Artenvielfalt oftmals noch unbekannt. Die Projektbeteiligten werben daher eindringlich dafür, vergleichbare Studien auch mit Datensätzen aus anderen Teilen der Welt zusammenzustellen und auszuwerten. Denn die für Deutschland beobachtete ungleichmäßige Verteilung von Gewinnern und Verlierern könne ein frühes Warnzeichen dafür sein, dass sich die biologische Vielfalt in einer Weise wandelt, die letztlich zum Verlust von Arten führen würde.
bl