Öko-Kühe so häufig krank wie anderes Milchvieh

Öko-Kühe so häufig krank wie anderes Milchvieh

Kasseler Forscher haben Kühe in 200 Ökobetrieben in der EU untersucht. Die ernüchternde Bilanz: Trotz Öko-Standards sind die Tiere genauso häufig krank wie in konventionellen Betrieben.

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In Ökobetrieben haben Milchkühe mehr Platz und Auslauf, aber sie sind genauso häufig krank wie bei konventioneller Tierhaltung.

Humpelnde Kühe, kaputte Klauen, entzündete Euter – diese Diagnosen zählen zu den gefürchteten Erkrankungen in Milchviehbetrieben. Leider gehören sie zum Alltag der Milchhöfe, in denen Tiere kontinuierlich Höchstleistung bringen müssen und in denen bisweilen übermäßig Antibiotika eingesetzt werden. Agrarexperten wie auch die Verbraucher setzen daher Hoffnungen in die ökologische Tierhaltung, die mit ihren deutlich besseren Haltungsstandards – etwa mehr Platz und Auslauf – der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Kühe eigentlich zugutekommen sollte.

Ernüchternd hoher Krankenstand

Doch gerade mit diesem Bild hat das kürzlich zu Ende gegangene EU-Projekt „IMPRO“ aufgeräumt. Das von dem Tiermediziner Albert Sundrum von der Universität Kassel geleitete Projekt hat ernüchternde Erkenntnisse zutage gefördert: „Die Erkrankungsraten auf ökologischen Milchviehbetrieben sind genauso hoch wie in der konventionellen Haltung“, sagt Susanne Hoischen-Taubner im Gespräch mit bioökonomie.de. Die Agrarwissenschaftlerin hat das EU-Konsortium zusammen mit Sundrum koordiniert.

Zu dem internationalen Forscherkonsortium gehörten Partner aus Frankreich, Schweden, Niederlande, Spanien und Großbritannien. In dem mit 3,2 Mio. Euro geförderten EU-Projekt wurde gezielt untersucht, wie sich die ökologische Milchviehhaltung auf die Tiergesundheit auswirkt. Über den Zeitraum von einem Jahr haben die Agrarforscher dazu das Auftreten bestimmter Produktionserkrankungen auf mehr als 200 Öko-Betrieben in Deutschland, Frankreich, Schweden und Spanien analysiert. „Produktionserkrankungen sind so etwas wie die Berufskrankheiten der Milchkühe, dazu zählen etwa Lahmheit oder entzündete Euter“, erläutert Hoischen-Taubner. „Für diese Erkrankungen gilt aber auch: Sie sind beeinflussbar durch das Betriebsmanagement“.

Der Schlüssel liegt in der Betriebsführung

Bemerkenswert seien die enormen Unterschiede zwischen den untersuchten Öko-Betrieben, sagt die Kasseler Wissenschaftlerin. Sie ließen sich weder durch regionale Gegebenheiten noch durch die Betriebsgröße erklären. „Vielmehr sind Erkrankungsraten zuallererst das Ergebnis einer suboptimalen Betriebsführung“, so die Forscher. Vielen Betrieben fehle der Anreiz, Zeit und Geld in die Verbesserung der Gesundheitssituation zu investieren. Denn alle Lieferanten einer Molkerei erhalten – trotz sehr unterschiedlicher Gesundheitsleistungen - den gleichen „Premium-Preis“ für ihre Bio-Milch. Auch können die Kosten für Verbesserungen der Tiergesundheit die Ausfallkosten durch Erkrankungen übersteigen. „Eine unfaire Wettbewerbssituation“, konstatieren die Forscher. Durch die gesetzlich verankerten Regelungen sollte diese ja eigentlich unterbunden werden.

Analyse-Werkzeuge für die Ökobetriebe entwickelt

Im Rahmen des EU-Projektes wurden mehrere Werkzeuge entwickelt, mit deren Hilfe die Öko-Landwirte Produktionskrankheiten ihrer Milchkühe angepasst an die jeweilige betriebliche Situation möglichst effektiv und kostengünstig reduzieren können. Dazu wurden betriebswirtschaftliche Faktoren untersucht und in ein Softwareprogramm für eine vereinfachte Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen verarbeitet. Hoischen-Taubner: „Die Tierarzt- und Medikamentenkosten sind für die Landwirte nicht bedeutend. Relevant sind dagegen die Verluste durch geringere Milchleistung kranker Kühe oder deren vorzeitiger Schlachtung.“

Im Verlaufe des Projekts habe sich gezeigt, dass viele Landwirte, aber auch ihre Berater, diese Kosten unterschätzten. Mit dem Computerprogramm können interessierte Öko-Landwirte nun künftig besser kalkulieren. „Unsere Software beinhaltet auch ein Tool, das Öko-Milchbauern zeigt, welche vorbeugenden Maßnahmen sich in ihrem Betrieb wirtschaftlich am ehesten rentieren.“ 

Flächendeckende Erfassung gefordert

Für die Kassler Agrarforscher ergibt sich aus ihren Ergebnissen klarer Handlungsbedarf: Sie fordern eine flächendeckende Erfassung von ausgewählten Produktionskrankheiten in Ökobetrieben. Zudem sollten konkrete Zielvorgaben abgesteckt werden, an denen sich alle Beteiligten orientieren können, um die unbefriedigende Situation in der Öko-Milchwirtschaft zu verbessern.

pg