Moose als Vorreiter der Blatt-Evolution
Forscher haben herausgefunden, wie Moose ihre äußere Schutzschicht der Blätter bilden, und haben so einen unerlässlichen Schritt der Pflanzenevolution entschlüsselt.
Damit Urzeitpflanzen aus dem Wasser auf das Land übersiedeln konnten, mussten sie eine Schutzschicht entwickeln, die sie vor der Austrocknung schützt. Diese wachsartige Oberfläche, die sogenannte Kutikula, entwickelte sich bei Pflanzen vor mehr als 450 Millionen Jahren und ermöglichte es ihnen, sich auch auf dem Land auszubreiten und komplexe Ökosysteme auszubilden.
Deutsch-französisches Forscherteam
Ralf Reski von der Universität Freiburg und Danièle Werck-Reichhart vom Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) Institut für Pflanzenmolekularbiologie (IBMP) in Straßburg leiteten das Forschungsteam, das seine Ergebnisse im Fachjournal „Nature Communications“ veröffentlicht hat. Darin beschreiben sie den biochemischen Reaktionsweg, der bei Moosen für die Entwicklung der Kutikula verantwortlich ist.
Die Forscher untersuchten die Entstehung der Kutikula an der Moospflanze Physcomitrella patens, welche Reski bereits vor 30 Jahren zu einem weltweit anerkannten Modellorganismus etabliert hat. Das Besondere an Moosen ist, dass bei ihnen kein Lignin vorkommt. Das Biopolymer Lignin, sowie Cutin und Suberin werden jedoch von den evolutionär jüngeren Samenpflanzen verwendet, um ihre Schutzschicht herzustellen. Vor allem das Lignin führt zu einer Verholzung der Zellwände und ermöglicht es Bäumen, hoch zu wachsen. Bisher war allerdings nicht bekannt, welcher biochemische Reaktionsweg bei Moosen zur Ausbildung der Kutikula führt.
Ein gemeinsamer Vorfahre von Moosen und Samenpflanzen
Im Detail zeigen die Ergebnisse, dass das Enzym CYP98 aus der Familie der Cytochrome P450 eine entscheidende Rolle für die Kutikulaentwicklung spielt: Während es in Samenpflanzen die Produktion von Lignin einleitet, ist es im Moos zuständig für die Ausbildung einer Kutikula, die zu einem großen Teil aus Phenolen besteht. Schalten die Forscher das für die Synthese des Enzyms maßgebliche Gen ab, entwickelt das Moos keine Kutikula. Dadurch ist die Pflanze weder gegen äußere Einflüsse geschützt, noch kann sie komplexe Organe ausbilden. Ein wichtiger Bestandteil des Phenolstoffwechsels ist Kaffeesäure. Wenn Forscher die betroffenen Moose mit Kaffeesäure versorgten, konnten sie den Gendefekt kompensieren.
Die Schlussfolgerung: die Entwicklung der Kutikula bei den Moosen ging der Evolution von Lignin, Cutin und Suberin in Samenpflanzen zeitlich voraus. Somit wurde die Kutikula also vermutlich das erste mal von Ur-Landpflanzen, den gemeinsamen Vorfahren von Moosen und Samenpflanzen, gebildet. Diese Ur-Landpflanzen, konnten auf Grund der Kutikula das Wasser verlassenen, auf Steinen wachsen und so die Grundlage für alle heutigen Ökosysteme auf den Kontinenten schaffen. Neben der Bedeutung für die Pflanzenevolution erhofft sich Reski weitere Vorteile durch die neuen Erkenntnisse: „Zudem ermöglichen sie eine neue biotechnologische Strategie, Biopolymere in Pflanzen herzustellen – abseits der wissenschaftlich gut untersuchten Produktion von Lignin bei Bäumen.“
Moose als Überlebenskünstler
Außerdem strebt Reski unter der Federführung der Universität Freiburg und des zusammen mit dem Korea Polar Research Institute (KOPRI/Südkorea) und mit dem Koreaner Hyoungseok Lee weiterführende Kooperationsprojekte an. In ihrem nächsten Forschungsprojekt untersuchen sie das Genom eines antarktischen Vertreters der Moosart Sanionia uncinata, und vergleichen es mit dem Genom des Modellmooses Physcomitrella patens, das nicht in der Antarktis wachsen kann. Reski erwarten von dieser Kooperation neue Erkenntnisse über die Anpassung der Pflanzen an raue Umweltbedingungen. Denn obwohl die Antarktis mehr als 100 Moosarten beheimatet, ist bisher noch nicht bekannt wie Pflanzen unter solch widrigen Witterungs- und Boden-Bedingungen überhaupt überleben können. „Wir werden in dem Moos nach noch unbekannten Signalmechanismen suchen, die sich seit Millionen von Jahren entwickelt haben, um das Leben in entlegenen und unwirtlichen Orten zu ermöglichen.“
jmr