Hannover Messe mit grünen Innovationen
Digitalisierung, Robotik und KI in der Industrie sind die Topthemen der Hannover Messe. Aber auch die Bioökonomie ist mit zahlreichen Innovationen präsent.
Wie sieht die industrielle Produktion von morgen aus? Das lässt sich eindrucksvoll auf der Hannover Messe besichtigen. Rund 6.500 Aussteller aus über 70 Ländern präsentieren noch bis zum 5. April auf dem Messegelände, wie Hightech die Industrieproduktion der Zukunft prägen wird. Die Topthemen in den Messehallen sind Robotik, Vernetzung und der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der industriellen Fertigung. Impulse für die Zukunft der Industrie liefert auch die Bioökonomie. Und so haben biobasierte Innovationen auch in diesem Jahr in Halle 2 ihren Platz: Im „Schaufenster Bioökonomie", Stand A45, präsentieren sich rund 20 öffentlich geförderte Forschungs- und Entwicklungsprojekte für das biobasierte Wirtschaften. Sie werden vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) unterstützt.
Auch bioökonomie.de ist vor Ort präsent.
Neue Biokunststoffe aus Pflanzenöl
Ein Kernprinzip der Bioökonomie ist die effiziente Nutzung von biobasierten Rest- und Abfallstoffen: So setzt das Verbundprojekt EffiMat des Spitzenclusters Bioeconomy bei der Herstellung von Biokunststoffen auf ein Nebenprodukt der Zellstoffindustrie: Tallöl. Das Pflanzenöl wurde bisher ausschließlich energetisch verwertet. Forschern des Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Biotechnologische Prozesse (CBP) in Leuna ist es gelungen, über verschiedene Aufbereitungsstufen hochwertige Reaktivharzsysteme aus Tallöl herzustellen und damit eine weitere Nutzungskaskade zu etablieren. In Kombination mit einem kalthärtenden Vernetzer entstanden so neue Strukturschaumstoffe, die sowohl für Verpackungen genutzt , aber auch im Hausbau eingesetzt werden können.
Aquaponik-Anlage für daheim
Eine Vielzahl der Exponate im Schaufenster Bioökonomie sind Produkte, deren Entwicklung im Rahmen des Ideenwettbewerbs „Neue Produkte für die Bioökonomie“ durch das BMBF gefördert werden. Dazu zählt der digitale Bienenstock: Forscher der Universität Würzburg haben einen Bienenkasten mit Sensoren und einer Waage ausgestattet und mithilfe eines IT-Systems digital vernetzt. Künftig sollen Imker damit kontinuierlich den Zustand ihrer Bienenvölker kontrollieren können. Mit dem Aquaponik-System „greenhub“ stellen Forscher der Universität Leipzig einen „Biogarten für das Wohnzimmer“ vor. In dieser Indoor-Farm ist der Anbau von Kopfsalat, Mangold und Kräutern mit einem Aquarium kombiniert, das mit Buntbarschen besetzt ist. „Unser Vollspektral-LED-System kann per App gesteuert jedes Lichtspektrum erzeugen, das eine Pflanzensorte zum optimalen Wachstum braucht“, erklärt Kay Plat. Auch das Nährstoffangebot für die Pflanzenkultur soll künftig per App gesteuert werden. Neben interessierten Privatpersonen hat das Greenhub-Team Gastronomen, aber auch Schulen als mögliche Abnehmer im Visier.
Allzeit frisches Gemüse und Fisch liefert die Aquaponik-Indoor-Farm „greenhub".
Eine Alternative zur Styropor-Verpackung präsentieren Fraunhofer-Forscher vom ICT. Die „BioFLiP“-Leichtbaupaletten ähneln äußerlich dem erdölbasierten Pendant, sind jedoch aus Polymilchsäure (PLA). „Eine Deckschicht, ebenfalls aus PLA, macht den Bioschaumstoff besonders hygienisch, wasserdicht und auch recycelbar“, erklärt Robert Schmidt. Anja Kampe von der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde (HNE) stellte ein Fertigungsmuster des „Bambulators" vor: Ein Rollator, der aus Bambusmodulen und Biokunststoffteilen konstruiert wird. Die biobasierte Gehhilfe ist daher sehr leicht und trotzdem robust. „Der Bambulator ist höhenverstellbar, lässt sich leicht zusammenklappen und passt in den Kofferraum eines Autos“, so Kampe.
Flexible Strukturbauteile aus Stroh
Naturfasern aus Stroh sind hingegen die Basis für neue flexible Faserplatten für architektonische Anwendungen, die von Forschern der Abteilung BioMat der Universität Stuttgart entwickelt wurden. Im BMEL-Projekt BioProfile werden die Biokomposit-Platten mittels Extrusionstechnik aus Stroh hergestellt und mit einer Holzfurnierschicht verstärkt. Die Platten sind buchstäblich Leichtgewichte, obendrein recycelbar und biologisch abbaubar. Wie formbar das Material für innovative Konstruktionen ist, wird am Beispiel des 2018 in Stuttgart errichteten Forschungspavillions demonstriert. Er besteht aus 120 gekrümmten Biokomposit-Strukturelementen und wurde von Architekturstudenten der Universität Stuttgart entworfen. Eine Miniaturausgabe des Pavillions ist im „Schaufenster Bioökonomie“ in Hannover ausgestellt.
Modell des Forschungspavillions an der Uni Stuttgart. Er besteht aus 120 Biokomposit-Sandwichplatten. Die gekrümmten Schalen-Elemente basieren auf Stroh.
Formverändernder Biokunststoff
Leichtgewichte der anderen Art wurden ebenfalls von Forschern der Universität Stuttgart im Projekt „Smart-Bio-Structures“ entwickelt. Das textilartige Material besteht aus Cellulosefasern, die auf einer PLA-Trägerschicht aufgebracht sind. „Der Biokunstoff verändert seine Form, wenn er mit Feuchtigkeit in Kontakt kommt“, erklärt Silvia Kliem. Eine Anwendungsmöglichkeit wären Lüftungsklappen. Derartige Lamellen im Bad könnten den Forschern zufolge Sensoren oder anderweitige Technik ersetzen. Dass es funktioniert, haben die Forscher in der Machbarkeitsstudie bewiesen.
Jugend forscht-Bundespreisträger Moritz Hamberger mit seinem selbstkonstruierten Algen-Bioreaktor.
Mit Unterstützung der Landesgesellschaft BIOPRO wird in Baden-Württemberg das Modell einer Bioraffinerie für den Bauernhof vorangetrieben. „Wir sind jetzt dabei, Regionen auszuwählen“, sagt BIOPRO-Geschäftsführer Ralf Kindervater im Gespräch mit bioökonomie.de. „Viele Landwirte wollen aus der klassischen Landwirtschaftskette raus.“ Im Rahmen des EU-Projekts DanuVioValNet werden unter der Federführung von BIOPRO außerdem Kooperationen mit Partnern aus zehn Ländern in der Donau-Region initiiert, um eine biobasierte Wirtschaftsweise in Automobil-, Bau-, Pharma- und Verpackungsindustrie zu verankern.
Auch an anderen Stellen der Hannover Messe finden sich Innovationen für die Bioökonomie. In der Mitte des BMBF-Stands in Halle 2 (B22) hat Moritz Hamberger seinen selbstkonstruierten Algen-Bioreaktor aufgestellt. Damit räumte der Schüler im vergangenen Jahr beim Wettbewerb „Jugend forscht“ den Bundessieg ab. Mit seiner Anlage kann Hamberger aus Lipiden der Grünalge Chlorella vulgaris Biodiesel herstellen. Deutlich mehr Zukunftspotenzial als den Algenkraftstoffen misst der Abiturient jedoch der algenbasierten Produktion von Feinchemikalien oder Biokunststoffen bei. „Wir wollen die Stoffwechselleistungen der Alge nun dafür optimieren“, sagte Hamberger zu bioökonomie.de.
Biobasierte Innovationen für die Automobilbranche
Auch in der Autoindustrie haben biobasierte Werkstoffe und Treibstoffe ihre Nische gefunden. Dafür steht das Bioconcept-Car des Rennstalls Four Motors, ein Dauerbrenner im Schaufenster Bioökonomie. In Halle 5 an Stand C54 können Besucher der Hannover Messe derzeit live erleben, wie Lackkratzer am Auto im Nu verschwinden. Forscher vom Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) und der Universität des Saarlandes präsentieren hier einen Reparaturlack aus Maisstärke, der auf Wärme reagiert und oberflächliche Schrammen selbstständig heilt.
bb/pg