Genomanalyse zeichnet Herkunft und Geschichte der Weinrebe nach
Ein chinesisches Forschungskonsortium hat Tausende Weinreben-Genome analysiert und damit interessante Erkenntnisse zur Evolution und Domestizierung zutage gefördert. Das Wildreben-Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) spielte hier eine wichtige Rolle.
Züchtung und Anbau von Weinreben haben die Entstehung der europäischen Zivilisationen stark geprägt, aber woher die Rebe stammt und wie sie sich verbreitete, ist bisher umstritten. In einem umfassenden Genomprojekt klärten Forschende der chinesischen Yunnan Agricultural University Ursprung und Weg des Weines von der Wildrebe zur heutigen Kulturform mithilfe Tausender Rebengenome, die entlang der Seidenstraße von China bis Westeuropa gesammelt und analysiert wurden. Die Wildrebensammlung des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) spielte hier eine wichtige Rolle. Über ihre Ergebnisse berichten die Forschenden im Fachjournal „Science“.
Die Weinrebe zählt zu den ältesten Kulturpflanzen, und Wein war eines der ersten globalen Handelsgüter, das den Austausch von Kulturen, Ideen und Religionen beförderte. Sie entstand am Ende der Eiszeit aus der Europäischen Wildrebe, die heute nur noch in wenigen Reliktpopulationen überlebt hat. Eine davon befindet sich auf der Halbinsel Ketsch in den Rheinauen zwischen Karlsruhe und Mannheim. Wann und wo genau Wildreben domestiziert wurden, ob Weintrauben und Tafeltrauben denselben Ursprung haben und wie Tausende von Rebsorten entstanden sind, ließ sich bislang nicht nachvollziehen.
Seidenstraße war früher eine Weinstraße
Klar war jedoch, dass die Weinrebe teilweise drastische Klimaänderungen erlebt und auch durch frühe menschliche Wanderungsbewegungen zahlreiche Gene aus Asien eingesammelt hat. „In der Tat weiß man seit einigen Jahren, dass die heutige Seidenstraße früher eine Weinstraße war. Sogar das chinesische Zeichen für Alkohol leitet sich von georgischen Weinkrügen, sogenannten Qevri, ab“, erläutert Peter Nick, Professor am Joseph Gottlieb Kölreuter Institut für Pflanzenwissenschaften (JKIP) des KIT. Nick, der bereits zuvor mit chinesischen Forschenden an einem Projekt zur Aufklärung von Rebengenomen gearbeitet hatte, schlug vor, entlang der früheren Seidenstraße Reben zu sammeln und deren Genom zu analysieren.
Bislang detailliertestes Modell der Weinreben-Evolution
Aus dieser Idee entstand ein Netzwerk von Forschenden aus 16 Ländern, die nicht nur zahlreiche Wildreben und alte Kultursorten aus ihrer Region beisteuerten, sondern auch das Wissen um deren Herkunft und Geschichte. Unter teilweise, mit Blick auf die politische Weltlage schwierigsten Umständen konnte die DNS von über 3.500 Reben, darunter mehr als 1.000 Wildformen, an das State Key Laboratory for Conservation and Utilization of Bio-Resources der Yunnan Agricultural University geschickt werden, wo die Genome unter Führung von Wei Chen entziffert und zum bislang detailliertesten Modell der Evolution und Domestizierung der Weinrebe zusammengefügt wurde. Dieses umfassende Bild bringt zahlreiche neue Erkenntnisse. Die Ursprünge des Weinbaus können nun auf über 11.000 Jahre vor Christus im Südkaukasus datiert werden.
Die neue Technologie verbreitete sich sehr schnell über das Mittelmeer nach Westen und Kreuzungen mit lokalen Wildreben schufen in kürzester Zeit eine große Vielfalt von Rebsorten, die durch die Praxis der Vermehrung über Steckhölzer auch aufrechterhalten werden konnte. Aus besonders großbeerigen Sorten entstanden im Nahen Osten vor etwa 7.000 Jahren die Tafelreben. Die Domestizierung fiel mit klimatischen Änderungen, vor allem dem Ende der Eiszeit zusammen, aber auch mit dem feuchtwarmen Atlantikum, einer Klimazeit zwischen 8.000 und 4.000 vor Christus. Die dadurch ausgelösten menschlichen Wanderungsbewegungen hinterließen unmittelbar Spuren im Genom der Reben – beispielsweise finden sich in mittelalterlichen Reben in Südwestdeutschland Gene, die von Reben aus Aserbaidschan und Mittelasien stammen.
Wildrebensammlung des KIT als Ressource
Das KIT steuerte nicht nur die ursprüngliche Idee für dieses Genomprojekt bei, sondern auch seine weltweit einmalige Sammlung der Europäischen Wildrebe, ebenso wie sehr alte mittelalterliche Sorten, die bis vor wenigen Jahren als ausgestorben gegolten hatten. „Die Suche nach den verschiedenen Reben war hochspannend“, so Nick. „Viele Reben stammten beispielsweise aus der hervorragenden Sammlung von Magarach auf der Krim. Die ukrainischen Forschenden waren nach der russischen Annexion 2014 geflohen und nun, nebst Reben, über die ganze Welt verstreut.“
Der Karlsruher Biologe machte sie in russischsprachigen sozialen Netzwerken ausfindig und brachte sie in Kontakt mit dem chinesischen Forschungsteam. Das Genomprojekt kläre nicht nur die Vergangenheit der Weinrebe auf, sondern weise auch in die Zukunft, sagt Nick: „Wir haben damit nicht nur die gesamte Biodiversität dieser Art erfasst, sondern auch die gesamte genetische Information zur Verfügung, um diese gezielt zu nutzen.“ Derzeit werden im Interreg Oberrhein Projekt KliWiReSSe Gene für Klimaresilienz aus den Wildreben in Kulturreben eingekreuzt, um den Weinbau in der Region gegen die Folgen des Klimawandels zu wappnen.
pg