Blattläuse als Bioelektroden: Grünem Strom auf der Spur
Würzburger Pflanzenforscher haben mithilfe eines ungewöhnlichen Messgehilfen entdeckt, dass Pflanzen auf Kälte und Verletzungen ganz unterschiedlich reagieren. Sie nutzen Blattläuse als Biosensoren.
Haben Pflanzen ein Nervensystem und somit Empfindungen wie der Mensch? Würzburger Pflanzenforscher sind davon überzeugt. Für den Beweis dieser These fehlte es bisher jedoch an geeigneten Werkzeugen. Nun hat das Team um Rainer Hedrich eine elegante Lösung für das Problem gefunden. Um zu messen, wie in Pflanzen elektrische Signale weitergeleitet werden, holten sich die Forscher einen tierischen Helfer: Sie nutzen Blattläuse als Biosensoren. Mit deren Hilfe stellten sie fest, dass Pflanzen auf verschiedene Schädigungen ganz unterschiedlich reagieren, wie das Team im Fachjournal Trends in Plant Science (2016; Online-Veröffentlichung) berichtet.
Bei einer Verletzung reagiert der menschliche Körper binnen von Millisekunden. Der durch Schnitt oder Sturz ausgelöste Reiz wird blitzartig über Ionenkanäle von Zelle zu Zelle weitergegeben, so dass der Schmerz spürbar wird. Dass auch Pflanzen solche Empfindungen haben können und eine Art "Pflanzenneurobiologie" existiert, wurde einst als Spinnerei abgetan. Einige Forscher, darunter Hedrich, sind seit Langem überzeugt, dass auch Pflanzen über elektrische Signale Informationen zwischen den Organen ihres Körpers austauschen.
Blattläuse messen Signale der Pflanze
An der Venusfliegenfalle hatte der Würzburger Biologe schon vor einigen Jahren beweisen können, dass die fleischfressende Pflanze die gesendeten elektrischen Signale zählen kann und danach entscheidet, ob die Falle zuschnappt oder nicht. Entsprechende Signale waren in den Siebröhren messbar – einem Leitungssystem aus miteinander gekoppelten Zellen, das Nährstoffe wie Zucker durch die Pflanze transportiert. Haben Pflanzen ähnlich wie der Mensch also doch ein Nervensystem, dass in Gestalt der Siebröhren daherkommt? Diese These ist umstritten und war bisher nur schwer zu beweisen, weil geeignete Messmethoden fehlten, um die Weiterleitung elektrischer Signale über größere Entfernungen in Pflanzen zu messen. Gemeinsam mit Kollegen der Universität Würzburg hat Hedrich dafür nun eine Lösung gefunden. Um festzustellen, wie in Pflanzen elektrische Signale weitergeleitet werden, nutzen sie Blattläuse als Bio-Sensoren. Der Grund: Blattläuse stechen sehr zielgenau in die Siebröhren von Pflanzen und saugen dort den zuckerhaltigen Saft auf.
Mit dem in der Pflanzenphysiologie seit den 1960er genutzten Blattlaus-Trick erzeugten die Würzburger Forscher nun zwischen Insekt und Pflanze einen elektrischen Stromkreis. Dafür wurde den Tierchen ein feiner Draht an den Körper geklebt und dieser mit einer Elektrode verbunden, die in der Erde einer Topfpflanze steckte. Auf diese Weise konnten sie die Ausbreitung elektrischer Signale in den Siebröhren der Ackerschmalwand genau messen.
Schmerzreaktionen zeitlich sehr verschieden
Das Ergebnis: Die Pflanzen reagieren auf Schädigungen wie eine Schnittverletzung am Blatt oder einen Kälteschock völlig verschieden. In beiden Fällen legten die Signale zwar größere Strecken von zehn Zentimeter und mehr zurück. Dabei liefen die Signale von der beschädigten Stelle in alle anderen Organe, die dann passend reagierten, in dem sie beispielsweise Proteine synthetisieren, die Pflanzen vor Kälte schützen. Bei einer Schnittverletzung dauert es jedoch mehrere Minuten, ehe die Pflanze elektrischen Impulse auslöste – also reagierte. Bei Kälteeinwirkung kam der elektrische Impuls schon nach etwa 15 Sekunden. „Diese Unterschiede sind für uns ein Hinweis darauf, dass die elektrischen Signale jeweils eine spezielle Bedeutung haben“, sagt Hedrich.
Neue Einsätze der Blattlaus als Biosensor
Mit der Blattlaus als Biosensor wollen Hedrich und sein Team nun klären, wie und wo die Signale entstehen, welche Informationen transportiert und wo diese registriert werden aber auch wie die Pflanze letztlich reagiert. „Wir wollen aber auch versuchen, die Bioelektroden zu entlasten, indem wir Gene für Membranpotential-sensitive Reporterproteine im Phloem exprimieren und so die elektrischen Ereignisse des gesamten grünen Schaltkreises einer Pflanze überwachen können“, so Hedrich.