Baden-Württemberg startet Bioökonomie-Forschungsverbünde

Baden-Württemberg startet Bioökonomie-Forschungsverbünde

In Baden-Württemberg sind die ersten Projekte gestartet, die durch das Landesforschungsprogrammm Bioökonomie gefördert werden.

inisterpräsident Winfried Kretschmann (2. v. r.) und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (2. v. l.) berichten über das Forschungsprogramm Bioökonomie Baden-Württemberg.
inisterpräsident Winfried Kretschmann (2. v. r.) und Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (2. v. l.) berichten über das Forschun

Vor einem Jahr hat die Landesregierung Baden-Württemberg das Forschungsprogramm Bioökonomie beschlossen. Nun sind die ersten der mit insgesamt 13 Millionen Euro geförderten Projekte gestartet. So will das Ländle fit werden für eine Zukunft auf Basis nachwachsender Rohstoffe. Heimische Forschungseinrichtungen sollen stärker untereinander und mit der Wirtschaft vernetzt werden – und so künftig auch international beachtete Kooperationspartner werden. Drei große Themenbereiche stehen in Baden-Württemberg auf der Agenda: Biogas, Lignocellulose-Bioraffinerien und Mikroalgen.

Insgesamt 45 Projekte in drei großen Themenblöcken wurden der baden-württembergischen Landesregierung von externen Gutachtern zur Förderung empfohlen. Vor allem Vorhaben, die standortübergreifend und interdisziplinär angelegt sind, trafen auf Zustimmung. So stiege die Chance, Bundes- und EU-Mittel im Bereich der Bioökonomie einwerben zu können, betonte Ministerpräsident Winfried Kretschmann: „Mit dem Forschungsprogramm Bioökonomie erreichen wir so eine Hebelwirkung der eingesetzten Fördergelder und unterstützen internationale Kooperationen, wie sie bereits mit China und Brasilien angelegt sind“. Bis 2017 stehen zunächst 9 Millionen Euro bereit. Die verbleibenden Mittel, etwa 4 Millionen Euro, sind für die daran anschließende zweite Förderperiode reserviert. Sie soll – basierend auf einer Zwischenevaluation – im Jahr 2016 starten.

Das Förderprogramm basiert auf Empfehlungen, die ein von Baden-Württembergs Wissenschaftsministerin Theresia Bauer im Jahr 2012 einberufener Strategiekreis Bioökonomie erarbeitet hat. Von der Förderung profitieren nun neben den Universitäten Hohenheim, Stuttgart, Freiburg, Heidelberg und Ulm das Karlsruher Institut für Technologie KIT sowie der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches e. V., die Forstliche Versuchs- und Forschungsanstalt BW, das Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie und das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung. Gefördert werden nicht nut Naturwissenschaftler und Ingenieure, auch Wissenschaftler aus den Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und der Ethik kommen zum Zuge. Zum Sprecher des Lenkungskreises, in welchem die Forscher alle Arbeiten koordinieren, wurde Thomas Hirth, Leiter des Instituts für Grenzflächenverfahrenstechnik und Plasmatechnologie (IGVP) der Universität Stuttgart und des Fraunhofer-Instituts für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik (IGB) berufen.

Computermodellierung soll Entscheidungen erleichtern

Neben drei großen Forschungsverbünden fördert das Land den Aufbau eines Kompetenznetzes zur Modellierung der Bioökonomie. So soll eine systematische Berechnung sowie den Vergleich von Folgewirkungen der Biomassenutzung in verschiedenen Nutzungspfaden möglich werden. Die Koordination liegt bei Harald Grethe, dem Leiter des Fachgebiets Agrar- und Ernährungspolitik an der Universität Hohenheim. Zudem wird ein „Graduiertenprogramm Bioökonomie“ eingerichtet, in dem 40 bis 60 Promovierende betreut werden. Geleitet wird das Programm von Thomas Rausch, Leiter der Forschungsgruppe „Molekulare Physiologie der Pflanzen“ am Center for Organismal Studies (COS) der Universität Heidelberg sowie Jochen Weiss, dem  Prorektor für Forschung der Universität Hohenheim.

Flexible Biogas-Anlagen ergänzen Wind- und Stromkraftwerke

Im Forschungsverbund „Nachhaltige und flexible Wertschöpfungsketten für Biogas in Baden-Württemberg“ sollen Anlagen entwickelt werden, die nicht nur deutlich effizienter arbeiten als die bisherigen, sondern auch eine neue Funktion als Energiespeicher und bei der Verknüpfung von Strom- und Gasnetz übernehmen. Dies ist heute wichtiger denn je: Denn je mehr Strom durch Photovoltaik und Windenergie gewonnen wird, desto häufiger kommt es zu Situationen, in denen die Produktion den Bedarf übersteigt. Sogenannte Power-to-Gas-Systeme könnten helfen, dies Problem zu lösen. Mittels elektrolytischer Verfahren wird dabei mit dem Strom zunächst Wasserstoff erzeugt. Dieser könnte zunächst gespeichert werden um ihn dann bei Bedarf Biogasanlagen zuzuführen. Außerdem sollen Biogasanlagen künftig auch bisher ungenutzte Ausgangsstoffe umsetzen können, zum Beispiel holzige Biomasse oder Küchenabfälle. Die verbliebenen Gärreste sollen bestmöglich verwertet werden. Koordiniert wird das landesweite Forschungsnetzwerk, das insgesamt aus 13 Teilprojekten besteht, von Enno Bahrs, dem Leiter des Fachgebiets Landwirtschaftliche Betriebslehre an der Universität Hohenheim.

Holz und Fasern als Rohstoff für die Bioraffinerie

Der Forschungsverbund „Lignocellulose – Wechsel zu einer alternativen Rohstoffplattform für neue Produkte und Materialien“ zielt auf die ganzheitliche Nutzung holzartiger Biomasse. Pflanzen mit einem hohen Anteil an Fasern und holzigen Bestandteilen, die viel Lignocellulose enthalten, werden bisher fast ausschließlich angebaut, um daraus Energie zu produzieren oder Baumaterialien zu gewinnen. Dies könnte sich jedoch bald ändern. Neue Verfahren ermöglichen es, Lignocellulose als Ausgangsstoff für eine Reihe weiterer biobasierter Produkte mit höherer Wertschöpfung zu nutzen, wie zum Beispiel Bioplastik oder Reinigungsmittel. Ein großer Teil des bisher hierfür verwendeten Erdöls könnte damit eingespart werden. Um der Technik zum Durchbruch zu verhelfen, nehmen die den gesamten Stoffstrom vom Acker bis zum Produkt in den Blick. Die Auswahl, Züchtung und Kultivierung der Lignocellulose-liefernden Pflanzen spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Weiterentwicklung der in den Bioraffinerien ablaufenden Umsetzungsprozesse.

Mikroalgen für Futter- und Lebensmittel

Das Anwendungsspektrum von Mikroalgen zu erweitern, ist Ziel des dritten großen Forschungsverbundes „Integrierte Nutzung von Mikroalgen für die Ernährung“. Da Ackerflächen weltweit knapp werden und Mikroalgen in sehr großen Mengen kultiviert werden könnten, sind sie als Rohstoffquelle für die Bioökonomie und besonders interessant.  Vielversprechend sind vor allem Misch-Produkte, bei denen tierische Proteine zum Teil durch Inhaltsstoffe von Algen ersetzt werden. Rückstände, die bei der industriellen Produktion anfallen, könnten anschließend außerdem in der Tierernährung Verwendung finden. Ziele des Forschungsverbunds sind die Auswahl geeigneter Mikroalgen, deren Kultivierung, Ernte und Aufarbeitung und Prozessketten zur Herstellung hochwertiger Produkte. Daneben stehen auch Nachhaltigkeit, ethische Evaluierung und Akzeptanz seitens der Verbraucher im Fokus. Jochen Weiss, Inhaber des Lehrstuhls Technologie funktioneller Lebensmittel ist Sprecher des Forschungsverbunds.