Naturfasern statt Braunkohle
Matthias KinneBeruf:
Bioverfahrenstechniker
Position:
Cluster-Manager LaNDER3
Beruf:
Bioverfahrenstechniker
Position:
Cluster-Manager LaNDER3
Matthias Kinne und sein Team wollen mit überholten Technologien in der Lausitz Schluss machen. Im Projekt LaNDER3 setzen die Akteure daher auf regionale Pflanzen zur Herstellung von Hightech-Verbundstoffen.
Die Lausitz steht vor allem für eines: den Braunkohletagebau. Um den Ausstieg aus der Braunkohle wird bis heute hart debattiert. Im Projekt LaNDER3 haben die Akteure um Matthias Kinne eine andere Vision. Sie favorisieren den bioökonomischen Weg und das Potenzial regionaler Pflanzen. Statt fossiler Rohstoffe sollen Nesseln, Flachs oder Grünschnittabfälle zur Herstellung neuer Hightech-Verbundwerkstoffe, aber auch zur Energiegewinnung genutzt werden. Das Bündnis, das Partner aus Forschung und Industrie vereint, arbeitet seit drei Jahren an Verfahren, um aus der heimischen pflanzlichen Biomasse Naturfasern und Biopolymere für neue Kunststoffe nutzbar und konkurrenzfähig zu machen. Haupteinsatzgebiet der neuen naturfaserverstärkten Kunststoffe ist die Fahrzeugindustrie. Der an der Hochschule Zittau/Görlitz etablierte Oberlausitzer Forschungsverbund wird dabei vom Bundesforschungsministerium unterstützt.
Was verbirgt sich hinter dem Namen LaNDER3?
Leben und produzieren auf dem Industrieniveau des 21. Jahrhunderts muss möglich sein mit dem, was die Natur hergibt – Naturfasern, Biopolymere und erneuerbare Energien. Dies wirtschaftlich konkurrenzfähig umzusetzen, um überholte Technologien abzulösen, ist unsere Vision. LaNDER3, das steht für Lausitzer Naturfaser-Verbundwerkstoffe: Dezentrale Energie, Rohstoffe, Ressourcen und Recycling. Die Innovationspartnerschaft beschäftigt sich seit 2017 an der Hochschule Zittau/Görlitz (HSZG) und bei Partnern mit dem Gesamtlebenszyklus naturfaserverstärkter Kunststoffe (NFK). Wir starten beim Beginn, der Fasergewinnung, und optimieren die NFK und ihre Nebenprodukte bis zum Recycling. Als eine von 10 Kooperationen erhielt der Oberlausitzer Forschungsverbund den Förderzuschlag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Programms Starke Fachhochschulen – Impuls für die Region (FH-Impuls). Im Vorhaben entstehen leichte, belastbare Materialien, die energieeffizient in Form gebracht, funktionsgerecht beschichtet und nach Gebrauch recycelt werden.
Welches Ziel verfolgt die Partnerschaft und wer ist daran beteiligt?
Die kunststoffverarbeitende Industrie ist mit vielen kleinen und mittleren Unternehmen in der Oberlausitz fest verwurzelt. Durch den bevorstehenden Braunkohleausstieg kommt der Entwicklung und Stärkung bereits regional verankerter Industrien eine noch bedeutendere Rolle zu. Der Aufbau eines lebendigen, in der Lausitz verankerten Netzwerkes, rund um eine ganzheitliche Material- und Technologieentwicklung, ist das übergeordnete Ziel. Das technologische Alleinstellungsmerkmal der Partnerschaft ist die Betrachtung der gesamten Wertschöpfungskette der NFK: Von der Gewinnung der Naturfaser bis hin zur Verwertung der Bauteile am Ende des Lebenszyklus. Gemeinsam mit rund 25 regionalen Partnern und dem Oberlausitzer Kunststoffzentrum des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik in Zittau werden neue Verfahren und Produkte rund um das Thema entwickelt und zu Marktreife geführt.
Welche heimischen Pflanzen stehen im Fokus der Forschung und wofür können diese genutzt werden?
Neben klassischen Faserpflanzen stehen auch jene im Blickpunkt, die in großen Mengen als Abfallstoff bisher meist ungenutzt sind. Dazu zählen Grünschnitt oder auch Feldabfälle wie Spreu, Stroh, Maispflanzen der regionalen Landwirtschaft. Die in der Biomasse enthaltenen Naturfasern werden mithilfe spezieller Faseraufschlussverfahren extrahiert und biotechnologisch aufbereitet. Anfallende organische Reststoffe werden separiert und in einem speziellen Reaktor in Biogas umgewandelt. Anorganische Reste wie Phosphat werden ebenfalls separiert, aufgearbeitet und weiterverwertet. Haupteinsatzgebiet der NFK ist bisher die Fahrzeugindustrie, aber sie können beispielsweise auch als innovative Filtermaterialien für die Reinigung von Wasser und Luft Karriere machen.
Worauf konzentrieren sich die aktuellen Vorhaben der LaNDER3-Partnerschaft?
Im Fokus steht die Technologieentwicklung aller Prozesse rund um die NFK. Derzeit werden Prozesse zur Verarbeitung von Naturfasern entwickelt, genauso wie neue Methoden der Oberflächenveredlung oder auch des Recyclings. In angedockten Projekten werden aber auch neue Erntetechnologien oder Faseraufbereitungsverfahren mit kombinierter Biogasgewinnung vorangebracht. In den nächsten Monaten werden wir in Kooperation mit unseren Industriepartnern Alltags- und Gebrauchsgegenstände – vom Kinderwagen bis zur Smartphone-Halterung – auf Basis von NFK weiterentwickeln. Auch voll biologisch abbaubare Einwegprodukte ohne Polylactid werden in Zusammenarbeit mit einem eigens gegründeten Start-up entwickelt.
Das Vorhaben läuft seit nunmehr drei Jahren. Auf welche Erfolge kann die Partnerschaft zurückblicken?
Neben der Entwicklung neuer Technologien und Produkte wurden weitere Wegmarken erreicht. Eine ist das neue Partnerschaftslabor, welches mit Unterstützung des Freistaates Sachsen in Zittau errichtet wurde. In ihm finden Personal und Technik aus allen Teilprojekten Platz. Im Sinne einer shared-factory beherbergt die weiträumige Halle auch Maschinen von Industriepartnern. Ein gemeinsamer kreativer Arbeitsraum für neue Ideen und innovative Produkte ist entstanden. Weiterhin wurden diverse Drittmittelprojekte in Zusammenarbeit mit unseren Industriepartnern rund um die Partnerschaft etabliert. Durch die Integration der Partnerschaft LaNDER3 in regionale und überregionale Netzwerke ist es auch gelungen, einen Lausitzer Forschungsverein zu gründen und den Vorteil unserer Lage im Dreiländereck für Kooperationen zu polnischen und tschechischen Partnern zu nutzen.
Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Vorhabens?
Die größte technische und wissenschaftliche Herausforderung besteht vermutlich im Umgang mit der Natur selbst. Naturfasern sind keine genormten Produktionsteile und verändern sich permanent. Hier gilt es Produktionsverfahren zu entwickeln, die bei variierenden Eingangsparametern stets Produkte in gleicher Qualität liefern. Die größte strategische Herausforderung war und ist der Aufbau eines neuen Forschungs- und Innovationsnetzwerkes. Dies bedeutet in erster Linie den Aufbau von Vertrauen zueinander und die Etablierung einer effektiven zielorientieren Organisation. Durch die enge Verzahnung mit unseren industriellen Partnern sind wir als Partnerschaft gefordert, schnelle technische und organisatorische Lösungen zu finden. Eine Produktentwicklung darf keine fünf Jahre dauern und Teilprojekte müssen innerhalb weniger Monate Ergebnisse liefern.
Interview: Beatrix Boldt