Zellsystem als Alternative zum Tierversuch

Zellsystem als Alternative zum Tierversuch

Tobias May

Beruf:

Biochemiker

Position:

Mitgeschäftsführer des Braunschweiger Start-ups Inscreenex

Tobias May
Vorname
Tobias
Nachname
May

Beruf:

Biochemiker

Position:

Mitgeschäftsführer des Braunschweiger Start-ups Inscreenex

Tobias May

Tobias May hat ein neuartiges Zellliniensystem geschaffen, dass die Medikamentenentwicklung effektiver und günstiger macht. Die über seine Firma Insreenex angebotene Technologie könnte zukünftig eine Alternative zu Tierversuchen sein.

Tobias May ist mit Leib und Seele Forscher. Seine Passion die Zelllinien-Entwicklung. Dass der gebürtige Niedersachse irgendwann seine eigene Firma haben würde, war für ihn noch vor zehn Jahren weder gewollt noch vorstellbar. Seit 2011 ist der promovierte Biochemiker Mitgeschäftsführer des Braunschweiger Start-ups Inscreenex, einer Ausgründung des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI). Das Start-up bietet von ihm entwickelte neuartige gewebsähnliche Zellkulturen zur Wirkstoffidentifizierung an. Der Clou: die gewebeähnlichen Zellkulturen für Leber oder Lunge könnten langfristig helfen, Tierversuche in der Pharmaindustrie zu minimieren oder zu ersetzen. Bei der Entwicklung der Technologie kam der Firma auch eine Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen der Initiative „KMU-innovativ: Biotechnologie“ zugute.

Die Entwicklung neuer Wirkstoffe in der Pharmaindustrie ist extrem aufwendig und die Erfolgsquote mit zehn Prozent eher gering. Das heißt, 90 Prozent aller Wirkstoffkandidaten bleiben während der klinischen Studien auf der Strecke. „Das ist ein wesentlicher Grund dafür, dass die Zahl der neuen medizinisch wirksamen Substanzen, die auf den Markt gelangen, in den letzten Jahren abgenommen hat. Diese enorme Ausfallquote macht deutlich, wie ineffizient der derzeitige Wirkstoffidentifizierungsprozess ist“, sagt Tobias May. Über zehn Jahre seiner wissenschaftlichen Laufbahn hat der promovierte Biochemiker nach einem Weg geforscht, die teure und aufwendige Medikamentenentwicklung zu verbessern. Seine Ausdauer wurde belohnt. Eine von ihm mitentwickelte Technologie steht inzwischen Forschern, Pharma- und Biotechfirmen zur Verfügung. Sie wird von der Inscreenex GmbH angeboten, deren Mitgeschäftsführer May seit 2011 ist.

InSCREENeX

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May, in Gifhorn aufgewachsen, sah sich derweil lange nicht als Geschäftsmann oder gar Inhaber einer eigenen Firma. „Bis Ende 2006 lag mir nichts ferner als eine Firma zu gründen“, resümiert der Forscher rückblickend. Während der Schulzeit liebäugelte der Sohn eines Richters und einer Lehrerin noch mit einer Karriere beim Film als Regisseur oder einer Tätigkeit als Journalist. Diese Jugendträume verloren jedoch seinen Reiz, als er in der elften Klasse erstmals mit biochemischen Stoffwechselwegen konfrontiert wurde. „Seitdem war klar, das will ich machen“. Er ging nach Halle, um an der Martin-Luther-Universität Biochemie zu studieren, wo er 2001 seine Diplomarbeit zum Thema „Zelltypspezifischer Gentransfer mit Virus-analogen Partikeln“ schrieb.

Zellen unsterblich machen

Hier war es Rainer Rudolph, der ursprünglich vom Pharmaunternehmen Boehringer Mannheim kam und mit seinen Vorlesungen den Blick des jungen May auf andere Dinge fernab chemischer Gleichungen lenkte. „Das war der entscheidende Punkt. Da merkte ich erstmals, dass die Biochemie mehr ist als nur Formeln ist, sondern, dass man damit auch Geld verdienen kann“. Bis dahin sollten allerdings noch viele Jahre vergehen. Nach dem Studium zog es May wieder nach Niedersachsen zur damaligen Gesellschaft für Biotechnologische Forschung, dem heutigen Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung (HZI) in Braunschweig. Dort beschäftigte er sich mit Zellkulturen und forschte nach Möglichkeiten, Zellen unsterblich und so für die Medikamentenentwicklung fit zu machen. Während seiner Doktorarbeit und der anschließenden Postdoc-Zeit in der Arbeitsgruppe Genregulierung und Differenzierung stand er unter den Fittichen von Hansjörg Hauser. „In seiner Gruppe habe ich die Idee entwickelt. Ich sollte ein System kreieren, das möglichst nah an der in-vivo-Situation ist“, berichtet der Biochemiker.

Mit dem neuartigen System können Wirkstoffe bereits in der Petrischale fast wie am Menschen getestet werden.

Pipette

Test simuliert körperähnliche Bedingungen

Daraus entstand ein völlig neuartiges Werkzeug für das Screening, welches die heutige Wirkstoffentwicklung revolutionieren könnte. „Das System ist insofern einzigartig, dass es ermöglicht, von jeder Säugerzellart neue Zelllinien zu generieren“, erklärt Tobias May. Das Besondere daran: die Zelllinien behalten ihre Eigenschaften, sodass sie der in-vivo-Situation, also den körperähnlichen Bedingungen, sehr nahe kommen. „Wir oder unsere Kunden können damit Medikamente testen, wie sie am Menschen wirken.“ Vergleichbare Tests an Mäusen liefern dagegen in vielen Fällen keine Aussagen, die auf den Menschen übertragbar sind, so May.  Aus seiner Sicht bietet seine Technologie damit auch kleineren Unternehmen die Chance, wieder in die Wirkstoffentwicklung einzusteigen. „Wir wissen: Entwicklungszeit und Risiko sind begrenzt. Mit unserer Technologie können wir bisherige Aufwände deutlich minimieren.  Auch die Entwicklungskosten sind geringer.“

Zellmaterial unbegrenzt verfügbar

Ein weiterer, aus Sicht von May, entscheidender Vorteil der neuartigen Zelllinientechnik liegt jedoch in der prinzipiell unbegrenzten Verfügbarkeit des Zellmaterials: Blutgefäß-, Haut-, Leber oder Nervenzellen können in jeder benötigten Menge generiert werden.  Zudem lassen sich Zelllinien von unterschiedlichen Spendern – also Patienten, ob krank oder gesund – herstellen, sodass auch individuelle Unterschiede in die Medikamentenentwicklung mit einfließen könnten. Damit wiederum liefert Mays Technologie auch die Basis für neue Ansätze in der personalisierten Medizin.

Im Jahr 2009 fiel schließlich die Entscheidung, die Technologie in einem Unternehmen zu kommerzialisieren. Der heutige Mitgeschäftsführer Roland Schucht gründete damals die Inscreenex GmbH. Das heute sechsköpfige Team hat seither seinen Sitz auf dem Gelände des HZI im Braunschweiger Stadtteil Stöckheim. 2011 stieg May mit ein. Damals gelang es auch, eine Förderung im Rahmen der BMBF-Initiative „KMU-innovativ: Biotechnologie“ zu erhalten. Bis zum Jahr 2014 wurden hier 270.000 Euro in die Entwicklung von Leberzelllinien gesteckt. Anders als früher muss Tobias May nun als Geschäftsführer häufiger seinen Laborkittel gegen den Platz am Schreibtisch tauschen und auch Kundengespräche führen.

Alternative zu Tierversuchen

Nach einer schleppenden Anlaufzeit verschaffte der Großauftrag einer europäischen Pharmafirma dem jungen Braunschweiger Start-up den lang erhofften Aufwind. Seither zählen mehrere, vor allem kleine Unternehmen aus der Pharma- und Biotechbranche zu den Kunden. Mit seiner Technologie hat May auch eine Alternative zu den viel kritisierten Tierversuchen in Forschung und  Pharmaindustrie geschaffen. Dies muss allerdings auch nachgewiesen werden. „Dafür fehlen uns leider noch die erforderlichen Daten, die wir in Ringstudien sammeln müssen“,  sagt der Biochemiker. Er ist jedoch zuversichtlich, dass sich das System auch außerhalb der Braunschweiger Labore bewähren wird. In drei bis fünf Jahren könnten Wirkstofftests auf Basis seiner Technologie als Alternativmethode zum Tierversuch zugelassen sein. Viel Zeit für Hobbys bleibt dem 40-Jährigen derzeit jedenfalls nicht.  „Was einen schnell einnordet, wenn man nach Hause kommt, sind meine Kinder. Durch sie bekomme ich den Blick für das Wesentliche“, sagt der zweifache Familienvater.

Autorin: Beatrix Boldt