„Wir entwickeln Prozesse für Fleischproduktion im Labor“

„Wir entwickeln Prozesse für Fleischproduktion im Labor“

Julius Che Ngwa

Beruf:
promovierter Molekularbiologe 

Position:
Gruppenleiter "Cultured Meat" am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Aachen

Che julius Ngwa
Vorname
Julius
Nachname
Che Ngwa

Beruf:
promovierter Molekularbiologe 

Position:
Gruppenleiter "Cultured Meat" am Fraunhofer-Institut für Molekularbiologie und Angewandte Oekologie IME in Aachen

Che julius Ngwa

Eine Arbeitsgruppe um Julius Che Ngwa am Fraunhofer IME forscht an neuen Zellträgern und Bioreaktoren, um die Produktion von kultiviertem Fleisch in der Industrie voranzutreiben.

Aspekte wie Tierwohl und Umweltschutz spielen beim Kauf von Fleischprodukten eine immer größere Rolle. Mit Hochdruck wird gegenwärtig an sogenanntem Laborfleisch geforscht, das sowohl geschmacklich als auch von der Struktur her mit dem tierischen Original mithalten kann. Im Labor kultiviertes Fleisch wird mithilfe biotechnologischer Verfahren aus Stammzellen tierischer Muskelzellen gewonnen und in einem Nährmedium kultiviert. Doch die Vorbehalte gegen zellbasiertes Fleisch sind noch immer groß. Daneben gibt es zahlreiche Hürden, die eine industrielle Produktion erschweren. Ein Team um den Aachener Molekular- und Zellbiologen Julius Che Ngwa vom Fraunhofer IME will diese Hemmnisse abbauen und damit der sogenannten Cultured-Meat-Industrie zum Aufschwung verhelfen.

Frage

Für die Herstellung von kultiviertem Fleisch werden tierische Stammzellen im Bioreaktor kultiviert. Ihre Arbeitsgruppe Cultured Meat hat sich zum Ziel gesetzt, die Herausforderungen der Cultured-Meat-Industrie zu lösen.
Welche Herausforderungen stehen der Produktion von kultiviertem Fleisch in der Industrie im Weg?

Antwort

Die kultivierte Fleischindustrie sieht sich in der gesamten Produktionskette mit zahlreichen Herausforderungen konfrontiert. Dazu gehören der Mangel an immortalisierten Zelllinien, die sich weiter vermehren, um die Produktion zu skalieren, der Mangel an geeigneten Zellträgern für die Kultivierung der adhärenten Zellen sowie der Mangel an effizienten Bioreaktoren, die eine Massenvermehrung und Zelldifferenzierung zu geringen Kosten ermöglichen. Auch die für das Nährmedium verwendeten Wachstumsfaktoren, die in einigen Fällen aus Tieren gewonnen werden, sind sehr teuer. Um das volle Potenzial von kultiviertem Fleisch auszuschöpfen und es zu einem wettbewerbsfähigen und erschwinglichen Produkt zu machen, müssen diese Hindernisse überwunden werden.

Frage

Worauf zielt die Forschung Ihrer Arbeitsgruppe ab? Welcher Aspekt steht im Fokus?

Antwort

Unsere Arbeitsgruppe am Fraunhofer IME widmet sich diesen Fragen durch Spitzenforschung zur Etablierung stabiler, immortalisierter Zelllinien von landwirtschaftlich relevanten Tieren, pflanzlicher essbarer Zellträger sowie tierfreier, kostengünstiger Zellkulturmedien. Wir haben einen neuartigen patentierten Bioreaktor entwickelt, der ein Gefäß mit einem essbaren porösen Zellträger enthält, an die sich die Zellen anlagern und dann vermehren können. In diesem Gefäß befindet sich ein Mechanismus, der das Gerüst, das die Zellen enthält, abwechselnd zusammendrückt und entspannt. Dadurch wird das Medium gemischt und die Zellen werden mechanisch zur Differenzierung in Muskelfasern angeregt.

Frage

Skalierbare Bioreaktorkonzepte spielen beim Transfer zellbasierter Nahrungsmittel eine wichtige Rolle.
Woran scheitern aktuelle Konzepte und wie will Ihre Arbeitsgruppe dieses Problem lösen?

Antwort

Im Gegensatz zu großvolumigen Bioreaktoren, die erhebliche Anfangsinvestitionen erfordern, ermöglicht der patentierte Bioreaktor des Fraunhofer IME ein Scale-out, indem mehrere Bioreaktoren parallel eingesetzt werden, anstatt einen großen Bioreaktor zu verwenden. Dieser neuartige Ansatz verbessert die Prozessleistung und senkt die Betriebskosten im Gegensatz zum Einsatz eines großen Bioreaktors. Die Arbeit eines großen Bioreaktors wird in der Regel aufgrund des eingeschränkten Gas- und Nährstofftransfers, des Scherstresses und der Instrumentensterilisation mit Problemen wie Zelltod und Kontamination behindert. Unser Bioreaktor führt auch zu einem Endprodukt aus Fleisch, ohne dass eine weitere Verarbeitung erforderlich ist, um die Herausforderung einer kosteneffizienten und skalierbaren Prozessentwicklung zu bewältigen.

Frage

Was hat Ihre bisherige Forschungsarbeit ergeben? Wie geht es weiter?

Antwort

Wir haben gezeigt, dass die mechanische Stimulation der Zellen im Bioreaktor die Differenzierung zu Muskelfasern fördert. Unsere Gruppe hat auch einige pflanzliche Proteine als günstigen und nachhaltigen Ersatz für tierische Proteine als Adhäsionsmatrizen für die Zellkultur in vitro identifiziert. Da die Proteinextrakte auch lebensmitteltauglich sind, nutzen wir sie für die Entwicklung von essbaren Zellträgersubstanzen.

Frage

Neben den technologischen Hürden zeigen Umfragen, dass kultiviertes Fleisch mit Vorurteilen behaftet ist und daher noch wenig Akzeptanz findet. 
Woran liegt das? Und was muss Ihrer Ansicht nach getan werden, um Vorurteile abzubauen?

Antwort

Ja, kultiviertes Fleisch wird immer noch mit Vorurteilen in Verbindung gebracht, und dafür gibt es eine Reihe von Gründen. Einer dieser Gründe ist kultureller Natur, denn der Verzehr von Fleisch ist ein fester Bestandteil einiger Kulturen auf der ganzen Welt, sodass die Menschen denken könnten, dass kultiviertes Fleisch ihre Kultur zerstören würde. Ich komme ursprünglich aus Kamerun, wo viel Fleisch gegessen wird. Wenn ich meinen kamerunischen Mitbürgern gegenüber von kultiviertem Fleisch spreche, sehen sie mich an, als sei ich verrückt. Ein weiterer Grund ist, dass manche Menschen es mit der Krankheit Krebs verbinden, was nicht der Fall ist. Der einzige Weg, dieses Vorurteil abzubauen, ist meiner Meinung nach die Aufklärung. Die Gesellschaft muss über die Vorteile von kultiviertem Fleisch aufgeklärt werden. Wenn die Menschen wissen, wie vorteilhaft es ist, werden sie es akzeptieren.

Interview: Beatrix Boldt